Mittwoch, 19. März 2014

Verdacht, Kunst und sexuelle Denunziation im sub-medialen Raum

Schönheit und Verbrechen liegen im Auge des Betrachters
von Diego Castro

Der Verdacht, also die Annahme, jemand habe übel gehandelt, hat seinen sprachlichen Ursprung in der « Vordacht ». Gerne wird diese Nähe zur Vorverurteilung oder gar zum Vorurteil vergessen. Im Falle Edathy, in der Causa Wulf oder bei Uli Hoeneß schwingt die Vordacht mit, Politik und Institutionen hätten Dreck am Stecken. Dieser Argwohn kann in einer Demokratie hilfreich sein. Zieht er aber die Gültigkeit rechtsstaatlicher Prinzipien und Weisungen in konstanten Zweifel, so kann eine Inflation der Skandale ebenso symptomatisch für eine Krise der Demokratie sein wie das Fehlen solcher. Aufgabe der Presse ist es, die Demokratie zu kontrollieren, nicht ihre Legitimität in Abrede zu stellen. In den drei genannten Fällen betrieben Teile der Presse eine Affizierung der öffentlichen Meinung, der es an demokratischer Kultur mangelt.

Hinter jeder mediatisierten Medialität lauert der sub-mediale Raum. Dieser liege, wie der Philosoph Boris Groys beschreibt, hinter der medialen Oberfläche und unsereins käme nicht umhin, hinter jeder normativen Oberfläche einen Abgrund der Lüge zu vermuten. Je banaler der Anschein, umso stärker der Verdacht. Der Populismus einschlägiger Medien hat sich die detektivische Praxis von Medienwissenschaftlern bis Verschwörungs-theoretikern längst angeeignet und modelliert damit die Einschlagskraft ihrer Nachrichten. Stets spüren Kolporteure die Möglichkeit zum Skandal auf. Volkszorn gegen Wellen der Sympathie. Was sozialen Unfrieden auch schürt ; für den Nachrichtenmarkt ist es immer gut.

Im Fall Edathy ist bis heute vieles unklar. Der Mutmaßung, es könne sich bei den Bildern, die Edathy im Internet bestellte, um Kinderpornografie handeln, reichte dank „gutem“ Timing bereits für die mediale Guillotine. Dass es sich bei den Bildern um Darstellungen nackter Kinder im Grenzbereich zur Pornografie handeln könnte, erfuhr man später. Die Justiz aber kann Grenzwertigkeit nicht verurteilen. Wo es keinen Verstoß gegen Gesetze gab, entbrannten erst Moraldebatten, dann der Ruf nach schärferen Gesetzen. Verdacht ist ein stumpfes Beil. Früher hat man versucht, durch Unterstellung von Homosexualität, das Ansehen politischer Gegner zu beschmutzen. Die Affäre Kißling war ein tragischer Fall. Ronald Schill versuchte später, Ole von Beust durch sexuelle Denunziation zu erpressen. Er scheiterte. Die öffentliche Meinung hatte sich geändert. Heute lautet der terminale Vorwurf: Pädophilie! Von ihm kann man sich nicht reinwaschen.

Edathy verteidigt sich strategisch. Er behauptet nun, bei den von ihm bestellten Bildern handle es sich um Kunst. Das ist geschickt, denn er stellt damit der öffentlichen Meinung eine Falle. Sein Gegenverdacht : Hinter der entfesselten Moral lauere die Doppelmoral. Da man die betreffenden Bilder nicht gesehen hat, findet die Debatte anhand eines Phantoms statt. Über die Grenzwertigkeit einiger Darstellungen kann man sich durchaus auch mit dem Blick auf den bürgerlichen Kunstgeschmack streiten. Die Gemälde eines Balthus, mit ihrer obsessiven Darstellung sich räkelnder, halbwüchsiger Mädchen, eindeutiger noch die jüngst ausgestellten, privaten Polaroids, offenbaren den lüsternen Blick von Opa Pervers. Der Kunstgehalt ist diskutabel, die juristische Situation unklar. Die öffentliche Meinung ist aber der gnadenloseste aller Richter. So beschloss das Essener Folkwang Museum im Februar die angekündigte Ausstellung der Balthus-Polaroids lieber abzusagen.

Verselbständigt sich der zum gesellschaftlichen Medium gewordene Verdacht hier, wird er zum gelenkten Instrument dort. Das Boulevard ist bei der öffentlichen Meinungsbildung stets an vorderster Front. Man erinnere sich an die peinliche Geschichte 2004 im Kunstraum Kreuzberg, als B.Z. und Bild-Zeitung anlässlich der Ausstellung « When love turns to poison » zum Thema Pädophilie einen Skandal herbeiführen wollten, wohl mit dem Ziel, die damalige PDS-Bürgermeisterin zu Fall zu bringen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema wurde ins Gegenteil interpretiert. Doch der Skandal war ein Rohrkrepierer. « Wollita », hieß ein Werk von Françoise Cactus, auch bekannt als Sängerin von Stereo Total. Die große, nackte Strickpuppe mit dem Sex-Appeal des Topflappens wurde vermeintlich zum Indiz für Pädophilieverharmlosung. Dabei wurde sie nach dem Vorbild einer Sexanzeige in der B.Z. geschaffen. Abgründe der Manipulation taten sich auf, als der stadtbekannte Kirchenstörer Roy im rein zufälligen Beisein der Presse Teile der Ausstellung zerstörte. Der Zwergenaufstand des christlichen Fundamentalisten wurde zum Bildersturm einer aufgebrachten Kirchengemeinde umgedichtet.


Als habe man nichts dazu gelernt, plante das Boulevard vor zwei Wochen die aufgeheizte Stimmung um Edathy mit einem weiteren Pädophilie-Verdacht zu befeuern. In einer Ausstellung in der Galerie des Lichtenberger Rathauses waren auf Bildern der Malerin Claudia Clemens nackte Kinder zu sehen. Die üblichen Organe streuten den Verdacht, im SPD-geführten Rathaus werde Kinderpornographie gezeigt. Das triefte vor Sensationalismus. Aber leider wieder nur Fehlanzeige. Als wolle man es betonen, zensierte man für den Abdruck in der B.Z. den Genitalbereich in zwei Kinderdarstellungen. Es handelte sich bei den Bildern aber nicht um Pornografie. Wer jedoch in einer Darstellung eines nackten Kindes partout etwas pornografisches entdecken möchte, könnte der nicht selbst eines perversen Blicks verdächtigt werden? Ich selbst habe in meiner Zeit an der Kunsthochschule beobachten können, wie Gemüter hoch kochten, als ich ein Foto von einem Jungen zeigte, der in Unterhosen auf einem Ehebett saß und dessen Augenpaar mit einem schwarzen Balken anonymisiert wurde. Mit schlimmen Vorwürfen konfrontiert, konnte ich nur grinsend antworten, dass es sich bei dem Jungen um mich selbst handelte und verwies, nicht ohne Häme, auf den Titel des Bildes : « Schönheit und Verbrechen liegen im Auge des Betrachters. »

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