Masse, Maske
und Betrug.
Expression und Depression im Pop.
Von Diego Castro
Der große Unterschied
zwischen den Ausdrucksformen der öffentlichen Erscheinung im
ausgehenden 20.Jahrhundert und danach, besteht im Vergleich zum 19.
Jahrhundert in Sichtbarkeit oder Unterdrückung von Expressivität.
Mit der bürgerlichen Revolution und der Auflösung tradierter
Wiederwerkennungsmerkmale ständischer Kultur, gewannen neue
Unterscheidungen von Klassenzugehörigkeit an Wichtigkeit. Diese
konnten sich an Variationen des bürgerlichen Bekleidungstils
manifestieren oder an Benimmcodes und anderen Äußerungen des
Geschmacks. So entstand beispielsweise die höfliche Zurückhaltung
als Ausdruck einer gewissen Finesse. Überhaupt galt öffentliche
Expressivität bald als vulgär. Herrschte zunächst noch im Theater
eine klassenlose Gesellschaft, in der es Gang und Gäbe war, den
Spielfluss mit wilden Zwischenrufen und Wiederholungen besonders
beliebter Stellen zu unterbrechen, so wurden mit der Einführung des
wagnerianischen Gesamtkunstwerks spontane Gefühlsausdrücke und eine
Unterbrechung des totalen Kunstwerks als unfein angesehen. Mit der
„Maske der Tugend“1
wurde das Gesicht zur Fassade und die Gefühle hatten sich in die
Totalität des Kunstwerks zu transzendieren. Ausgehend von Richard
Sennetts Konzept der Stadt als Theater, war die gesamte öffentliche
Erscheinung im viktorianischen Zeitalter von einer Tabuisierung der
Lust, des Genusses und Gefühlen jeglicher Art geprägt. Gewährt
wurde sie den Kunstcharaktern (Romanfiguren, Schauspielern, Sängern)
und den Kunstschaffenden. Disziplin und Triebunterdrückung wurden
zum Ausdruck von Kultur. Selbstkontrolle wurde so zum Merkmal der
Klassenunterscheidung. In der Oberklasse dominierten klassistische
und rassistische Vorurteile, die hierauf basiert waren. Hierbei wurde
die „Zivilisiertheit“, welche sich durch standesübergreifende
Gleichbehandlung auszeichnete, durch die „Kultiviertheit“
ersetzt, welche Unterschiede in dem Sinne nicht erlaubte, wie
homogenen Kulturkonzeptionen widersprach.2
Triebunterdrückung und
autoritäre Disziplinierungstechniken sollten schließlich zu
integralen Bestandteilen, gar zur Essenz totalitärer
Herrschaftsstrukturen des ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden.
Dabei war das bei den totalitären Massenbewegungen eine viel
gepflegte und essentielle Technik: die symbolische eruptive Befreiung
von autoritären Zwängen als Teil des Unterwerfungsapparats. Die
Befreiung ist dabei jedoch nicht revolutionärer oder überhaupt
politischer Natur. Sie ähnelt in ihrer Funktion, die angestaute
entweichen zu lassen, eher der Schrei- Therapie. Lustfeindlichkeit,
Anti-Expressivität und Triebunterdrückung wurden so im Faschismus
in einer inszenierten Entfesselung auf Geheiß zum dynamischen und
vitalen Element in einer Kultur der Askese. Der Triebstau wurde zum
wirksam eingesetzten Werkzeug der Massenaffizierung bis zum Krieg.
Was zur Partizipation motivierte war also eine Mixtur aus Entsagung
und formeller Strenge und Homogenisierung einerseits, sowie der
kulminierende Überschwang des Wir-Gefühls und die Externalisierung
des Selbsthasses auf das Feindbild andererseits.
Auch der Stalinismus hat
ähnliche Instrumente der Massenaffizierung gekannt, wenn auch
Motivlage, Funktion und Technik anders zu bewerten wären. Bei der
rabiaten Durchsetzung unitärer Staatsästhetik spielte weniger die
Unterdrückung der Sexualität denn Devianzparanoia eine Rolle. Sehr
wohl sind aber die formalen Homogenisierungen der Massen in beiden
Systemen vergleichbar. Doch der Stalinismus hat nie mit dem Motiv des
„Volkszorns“ operiert. Eine kontrollierte Deregulierung der
Staatsgewalt gab es hier nicht, trug sich doch der Ausdruck der
Linientreue bis in die kleinste Pore. Wo alles Ausdruck des Geistes
der Revolution bedeutete, war die Triebunterdrückung war kein
zentrales Element der Machtausübung. [...]
Auch die demokratisch
geprägten, kapitalistischen Staaten verfügten über autoritäre
Züge, die gerade mittels -auch religiös motivierter-
Lustunterdrückung, kulturtechnisch umgesetzt wurden. Diese sind vor
allem einer protestantischen Arbeitsethik geschuldet, welche sich vom
Aufschub der Jouissance ins Jenseits ernährte.
Als Rock'n'Roll in der
westlichen Welt aufkam, war es genau das Gegenteil: die irdische
Einlösung paradiesischer Freuden und eine Unterminierung einer
Hegemonie der Sittenstrenge. Und sei es in „sündhafter“ Form.
Rock'n'Roll ist in diesem Sinne ebenso revolutionär wie katholisch.
Ob Auflehnung gegen Establishment und Elterngeneration oder damit
gerade auch teuflische Verführung, die nach 3 Ave Maria und 5
Vaterunser schreit. Wo sich Sympathy for the Devil breitmachte,
schrumpfte die alte Welt und chaotische Masseninszenierungen von den
Stränden von Brighton zu den Äckern von Woodstock bis zum Altamont
Speedway wurden zur Gegeninszenierung von Militärparaden und
Stechschritt. Doch, wie wir heute wissen, birgt auch die aufgeklärte
Welt ihr Tücken: Auch der Rock'n'Roll war imstande, Hegemonien zu
errichten, in denen Unvermögen zu jedweder Expressivität bestraft
wird. Weiter wissen wir auch um das subtile Sex-Appeal der
Lustverweigerung. Punkrock in seinen Anfangstagen und später New
Wave konnten gerade in der Lustverweigerung Autonomie vermitteln und
Eros entfalten. Ian Curtis ist hierfür nach wie vor mein
Lieblingsbeweis. Zwischen Maskenhaftigkeit oder Expressivität fällt
sich sowohl die Wahl der Erscheinung wie die Wahl nach einer Form der
Unterwerfung.
- Der Expressionist. Ihm kommt eine Stellvertreterfunktion bei, die das bürgerliche Unvermögen, sich öffentlich und ungehemmt auszudrücken, kompensieren soll. Er lässt seiner Emotionalität sowie seiner Sexualität zumindest (oder meist?) symbolisch freien Lauf. Er verkörpert ihre Zustände ganz und gar betont. Nicht aber nur um seiner selbst Willen oder als Effekt einer übersteigerten, das Selbst transzendierenden Form der Selbstverwirklichung. Vergessen wir für einen Moment das immanente Starsystem, das uns unermüdlich bedeutet, auf der Bühne stünde ein Mensch und kein Schauspieler. Sehen wir den (Pop-) Expressionisten als das, was er für uns eigentlich ist: ein Image. Dieses Bild steht für die jähe und umfassend erschöpfende Verausgabung von Lebensenergien. Für entfesseltes Sein, absolute Freiheit und radikale Autonomie. Es verkörpert sich in den frühen Gemälden der Brücke, im Pollock'schen Malgestus, in Jim Morrisson's Lederhose, in Iggy Pop's nacktem, von Glasscherben zerschundenem Oberkörper, in Sid Vicious blutender Nase, aus der das Blut über die provokativ hochgezogene Oberlippe läuft, in Janis Joplins Whisky-geschwängerten Schweissperlen, die über ihr schmerzverzerrtes Gesicht tropfen oder in Kurt Cobains gezielt selbstverletzenden Sprüngen ins Schlagzeug-Set. Also Inszenierungen körperlicher Entgrenzung, Überwindung von Hemmungen durch und mit Schmerzen. Sie erinnern uns an archaische Rituale. […] Befreiung vom Tabu der Schmerzes und Autonomie durch Selbstbestimmtheit im Schmerz. Dann unvermeidlich: Die Jesus-Nummer: Der Popstar als drogenabhängiger, selbstzerstörerischer Martyrer: Dave Gahan als Heroin-Jesus. Amy Winehouse und Pete Doherty als neue Variationen über ein altes Thema. Auch Sportivität kann durchaus eine vergleichbare Symbolkraft entfalten. Ausdauer und Höchstleistungen bringen den Performer an die Grenzen seiner Möglichkeiten, während der Zuschauer staunt.Geschwindigkeitsrekorde im Grindcore, mit Taktgeschwindigkeiten von 180 bpm und mehr, ebenso sehr wie dem Bodybuilding ähnliche Posen im amerikanischen Hardcore eines Ray Cappo oder Henry Rollins, oder bei der klassischen Metalband „Manowar“. Ebenso die choreographierte Aerobic der Madonna stellen immer wieder Höchstleistungen als Überschreitungen dar. Stets geht es um eine Verschiebung des körperlich Möglichen und eine Angleichung des Vorstellbaren. Dabei sind die Inszenierungen dem Charakter nach sehr unterschiedlicher Ideologie. Verschreibt sich Grindcore extatisch-anarchischer, gar absurder Höchstleistung, steht Madonna mehr für ein kapitalistisches Leistungsprinzip, auch wenn sie selbst Konventionen zu brechen sucht. So ist ihr Feminismus, wie beispielsweise in „Express yourself“ eher als ein Appell an die sexuelle Leistungsfähigkeit des Mannes3 und eine Exploration konventioneller Unterwerfungsschemata zu interpretieren. Die New York Dolls, Lou Reed oder Pete Shelley standen hingegen spezifisch für Sprengung der männlichen sexuellen Normativität, ohne sich -im Gegensatz zu Madonna- auch an ein schwules Publikum zu richten.Allen gemein ist die wenig Spielraum für Interpretationen lassende Performance, in der Lebensenergien ungeahnten Ausmaßes öffentlich verbrannt werden, explosionsartig und expressiv. Der überhitzte Popstar -um ein altes Bild von Marshall MacLuhan zu bedienen- dessen Exothermie sich mit einem Verhältnis zwischen Feuersbrunst und Pyromanen beschreiben liesse: Der Pyromane ergötzt sich am Feuer, wird aber niemals in es hineintreten. Er guckt gerne zu und vollführt zum „Hey Hey, My my“ seinen Freudentanz: Out of the blue into the black.
- Der Depressionist: Dieser Typus ist gewisser Hinsicht subtiler. Er entsagt sich der Sinnenfreuden, ohne dabei jedoch ohne Libido zu sein oder asexuell zu wirken. Im Gegenteil. Wie bei Pygmalion und Galatea erwächst die erotische Ausstrahlung dem von den Frauen enttäuschten Pygmalion bei der Schaffung seiner Skulptur. Die passive Skulptur erwacht schließlich durch die Liebkosungen ihres Erschaffers zum Leben. Wie sich die zum Menschen gewordene Skulptur wirklich fühlt, wird nicht befragt. Der Depressionist verweigert sich der Expressivität und überhaupt der Selbstverwirklichung in einer Gesellschaft, die sich selbige Motive zu Eigen gemacht hat und in der sie als ein dominantes, perfides und beeinträchtigendes Rollenmodell dienen. Sie sind Bestandteil von Normalisierungen, in denen stellvertretend für tatsächliche Übertretungen gesellschaftlich längst erreichte Übertretungen entfesselt werden. Diese „Übertretungen“ werden somit zu affirmativen Akten. Der Depressionist erkennt diesen Druck und verweigert sich ihm. Und zwar, indem er die Entgrenzung nicht als erreichten Zustand herzeigt, sondern in dem er sich als Sisyphos inszeniert. Das Drama des Gehemmten, der sich als unrealisiertes Selbst präsentieren muss, der seine Wunden offenlegt. Auf das Parkett der Bühne getreten, um exemplarisch die innere Anspannung bis zur Explosion zu bringen, ohne dass es zum Knall je kommt. Den Bogen aufs Äußerste gespannt, ohne den Pfeil abzuschießen oder der Spannung des Bogens auch nur eine Sekunde lang nachzugeben. Immer bleibt die selbst gewählte Maske auf, und wir können erahnen, wie das Gesicht darunter kocht. Der Depressionist wird die Maske nicht absetzen. Und keiner -wünscht er es sich insgeheim auch noch so sehr - möchte diese Entzauberung wirklich sehen. Und gerade die Maske ermöglicht es, uns hinein zu versetzen in die kältesten Sterne: Ian Curtis. Nur die Maske ermöglicht es uns, die Intensität der Abwesenheit von Intensität voll zu spüren. Die Verneinung der Expressivität geschieht indes stets mit vollem Ausdruck, sozusagen als als anti-expressive Intensität. Ein Paradoxon, welches sich mit einer unterschwelligen Emotionalität ansammelt, deren Ausdruck aber kalt bleiben muss. Dafür steht die öffentlich exemplifizierte Unterdrückung der eigenen Sexualität bei Morrissey bis hin zur Verneinung der sexuellen Identität. Die inszenierte Asexualität war natürlich eine Reaktion auf die sexuelle Befreiung. Aber noch entschiedener als asexuell wurden die anti-sexuellen Posen des Punk zum Ausdruck der Befreiung vom Terror der Körperlichkeit der Hippies. Die unterdrückte Körperlichkeit der Nazis wurde auf links gedreht, übergestülpt und vorgeführt. Und wem das noch nicht genügte, dem bot sich die Verneinung des Menschseins überhaupt: John Foxx, Kraftwerk, David Bowie oder Gary Numan, der sich in einem Interview mit dem Guardian so äußerte: "[I] got really hung up with this whole thing of not feeling, being cold about everything, not letting emotions get to you, or presenting a front of not feeling". Das Ergebnis ist eine kulturelle Form, in der affektive Störungen, die sich aus einem Verhältnis zu einer kaputten Gesellschaft, welche die normativen Formen und Grenzen für Gefühlsäußerungen steckt, emanzipatorisch zur Kunst erheben. Dieses ließe und lässt sich problemlos in einen kulturellen Kontext übertragen, der wie heute in der westlichen Welt Expressivität in der Form wie wir sie heute kennen (Expressivitäts-Terror) normalisiert. Dadurch ist der entgrenzende Depressive gegenüber dem Expressiven heutzutage im Vorteil, denn dieser hat -wie bereits gesagt- nichts mehr zu entgrenzen. Dem Depressiven gelingt nach wie vor das Kranken am Zwang der Expressivität.
Wir konnten uns früher
von Mick Jagger, Janis Joplin, Jimi Hendrix, Iggy Pop und all den
anderen nur wünschen, ihnen nah zu sein, in der Hoffnung ihre
Energie ginge auf uns über. Die Intensität können wir nur teilen,
miterleben oder einfach bewundern, falls es uns doch nur gelänge,
ganz und gar bei uns zu bleiben. Niemals konnten wir an ihre Stelle
treten, außer wir wurden selber zu Schmerzensfiguren, zu Künstlern
der Veranschaulichung von Hemmungslosigkeit. Dem Depressionisten
können wir bis heute nicht nah sein. Er trägt für immer seine
Maske. Er registriert uns, er stellt sich vor uns, um uns unsere
Trennung vorzuführen. Wir können ihn nicht bewundern. Wir können
ihn nicht berühren. Berührten wir ihn, würden wir seine
Aufführung, würden wir ihn selbst zerstören und auch uns selbst
gleichzeitig dabei auslöschen. Wir können nur dem Depressionisten
nur erlauben, daß er uns berührt, indem wir zulassen, dass er sich
weigert, uns zu berühren. Indem wir die Abwesenheit der Berührung
intensiv und schmerzhaft fühlen. Wie in dem Witz über den Sadisten
und dem Masochisten, in dem letzter winselnd um Schläge bettelt und
der Sadist die Arme verschränkt unter sardonischem Gelächter die
Hiebe verweigert.
Nur indem wir versuchen,
die Rolle des Depressiven als unser Schicksal für 5 Minuten
anzunehmen, können wir ihm Nahe sein. Nicht indem wir UNS in IHN
hineinversetzen. Vielmehr indem wir IHN in UNS hinein versetzen,
können wir ihn spüren mit der Übelkeit des Frischverliebten, mit
dem pulsierenden Blut des Rasenden und den tonnenschweren Füßen
einer Sphinx. So wird die Begegnung zweier Seelen in all ihrer
Immaterialität zu einem erotischen Rendez-vous mit sich selbst.
Eine Gemeinsamkeit im
Erleben von Popkultur oder einer Kunst, die Schnittmengen mit ihr
bildet, steht immer im Konflikt mit Definitionen von der
Authentizität des Erlebens. Nicht nur um ihrer Momente von
Wiederholbarkeit und Reproduzierbarkeit Willen. So kann das bewusst
anti-authentische mitunter authentischer wirken als etwas, das
Authentizität für sich beansprucht, oder als etwas, das
Authentizität gar zu seiner Raison d'être erhebt. Eben weil es sich
dem Risko einer durchschaubaren Verlogenheit oberflächlich nicht
aussetzt. Das ist möglich weil sich hier ein Geheimnis gestaltet und
aufführt. Das ist Magie. Was dahinter steht, mitunter ein
Taschenspieler, interessiert nicht. Der perfekte Zaubertrick,
verschleiert stets den Ursprung seiner Technê.
So steht die Masse, die
sich mit erhobenen Feuerzeugen im Takt der Ballade schwingt oder sich
zu manischem Hey-Ho Gebrüll, Stage Diving und dergleichen von
sogenannten charismatischen Frontmännern anstiften lässt. Im
krassen Gegensatz dazu, der statische, sich sichtlich Unwohl
fühlenden Neurotiker oder emotionsarme Android gegenüber einem
gelähmten Publikum. Trägt letzter offensichtlich eine Maske,
täuscht der Expressionist das Publikum mit der angeblichen
Unmittelbarkeit seiner Regungen.
Der
Expressionist führt angeblich sein Selbst auf. Ob dem so ist
oder nicht, er unterwirft sich gesellschaftlicher Norm, anstatt sie
zu überwinden, indem er sich dem Intimitätsterror unterwirft und
selben auch exerziert. Die Einschreibung in das Vorgegebene und die
Ausformulierung dessen, worin der Rezipient in Unterwürfigkeit sich
einzuschreiben hat, bringen dem Pop-Expressionisten mitunter den
Vorwurf mangelnder Authentizität ein. Durch Verweigerung gängiger
Pop-Codes mag dem Pop-Werk ein gewisses Moment an Authentizität
gelingen. Gerade indem es seine eigene Artifizialität als potenziell
brüchig darbietet, oder -noch perfider- die Korrumpiertheit der
eigenen Authentizität offenlegt. Der Star, der keiner sein will,
bzw. der Star im vermeintlichen Kampf gegen die Kulturindustrie oder
das Spektakel. Perfekter könnte der Expressionist sein Spiel nicht
spielen.
Wo Expressionist und sein
expressiver Gegenpart, der Depressionist scheitern müssen, nimmt die
Auflösung des Stars in der elektronischen Musik ihren Ursprung, dem
in den 1990er Jahren viel diskutierten Tod des Autors brav folgend.
Trat somit die Autorenschaft hinter die funktionalistische
Maschinenmusik zurück, und zwar bis zu einem Punkt, in dem die
Einförmigkeit der Produktionen Aufschluss gab über die verwendeten
Programme und Betriebssysteme, so setzte sich die Diktatur der
Künstler-Identitäten auf den Dancefloors letztlich doch durch.
Jedoch möchte man anmerken, dass hier die Hierarchie von Schöpfern
und Rezipienten ins Wanken geraten war und sich die Betrachtung von
personifierten Oberflächen in den Bereich der Technik verschiebt.
Mit selbstredend vielen Ausnahmen, kommt die elektronische Musik ohne
den Verweis auf Schöpfungs- und Darstellungsvermögen der Erschaffer
zum Ausdruck. Aber Ausdruck wovon? Zunächst einmal fällt die
Abwesenheit von Textlichkeit, bzw. dessen Reduktion auf. Und die
Frage danach, wovon Techno eigentlich spricht, bleibt letzlich schwer
zu beantworten, weshalb ich den, zugegebenermaßen polemischen,
Begriff der Funktionsmusik gebrauchen möchte. Zumindest aber muss
selbiger eine Ablehnung von Expressivität oder überhaupt von
Diskursivität eingestanden werden. Zu Unterscheiden wären hier aber
die „kalten“, durchaus expressiven Qualitäten des New Wave oder
Elektro-Pop von der Inhaltsarmut des Techno. Interessanterweise war
die, wie immer wieder betont wurde, absolut ernst gemeinte Botschaft
„Love, Peace and Unity“ Anrufung eines konfliktfreien, aber
zwingenden Gemeinsinns. Die Eintracht als Negation von Diversität,
die Bedingungslosigkeit der Liebe als Auslöschung gedanklicher
Begegnung und absoluter Verkörperlichung des Zusammenseins und der
Frieden als Ausblendung von Konfliktualität, anstelle von
Bewältigung der Selben.
In Antononi's Blow-up
gibt es diese Szene: da steht ein emotionsloses Publikum vor den
verkrampft wirkenden Yardbirds. Als Jeff Beck. scheinbar in Wut über
ein technisches Problem, seine Gitarre zerstört und die Einzelteile
ins Publikum wirft, stürzt sich die bis dahin regungslose Masse auf
das augenblicklich zum Fetisch gewordene Objekt. Neben der Frage nach
dem Fetisch, steht hier für mich die Frage der Aktivierung im
Vordergrund. Die Ölgötzen vereinen sich im feindschaftlichen Kampf
um das Ergattern des Relikts. Sie lassen ihrerseits ihre Masken
fallen und entpuppen sich als Meute. Was sie vereint, ist eine
animalische Konkurrenz. David Hemmings, Hauptdarsteller des
Streifens, ergattert den Gitarrenhals und flüchtet mit ihm nach
draußen. Alle Verfolger abgehängt, verliert das Relikt seinen
Kontext und somit seinen Wert. Er wirft das wertlose Ding auf die
Strasse. Ein Passant hebt es auf, erachtet es als wertlos und
schmeißt es ebenfalls auf die Strasse. Hemmings wiederum, Fotograf,
Beobachter, Außenstehender unter Außenstehenden, legte die
Wolfsmaske an, und stürzte sich in die Mitte des Kampfes. Einmal aus
ihrer Mitte befreit, legte er die Maske wieder ab und wurde vom
Beobachter und vom Rollenspieler wieder zu sich selbst. Typisierten
im antiken Spiel Masken die Persona und legten einerseits das zu
erwartende Emotionsspektrum fest, so war die Maske spätestens seit
dem Barock Symbolbild der Täuschung, gar des Betrugs.
1Richard
Sennett, „Civitas“, deutsche Ausgabe, S. Fischer, Frankfurt am
Main, S. 128 ff
2Ebd.
3
Marco Antonic: „Madonnas
Express yourself: Die Dominanz der weiblichen Sexualität einer
postmodernen Femme fatale“, Kp.4. GRIN2000
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