Die
Frage beim partzipativen Kunstwerk, ob es konstativ oder performativ
sei, stellt sich nicht. Das Kunstwerk tut nie so, als würde es
nicht gesehen. In seiner Präsenz ist es voll und ganz von dem
Bewusstsein geprägt, wahrgenommen und erlebt zu werden oder in
Erwartung dessen zu verharren. Es hängt an der Wand, steht auf dem
Sockel und wiegt sich in der Gewissheit, betrachtet zu werden. Wie
wenig also das Kunstwerk in seiner klassischen Medialität sich
selbst genügen kann, so wenig genügt das soziale Kunstwerk sich
selbst. Mehr als noch einfach gesehen, eventuell reflektiert zu
werden, vielleicht sogar dem Betrachter ein Ozean zum versinken zu
sein, ragt das Verlangen des partizipativen Kunstwerks über das
Eintauchen hinaus ; es verlangt von den Betrachtern kollektive
Efferveszenz2.
Auch geistig ein Teil von ihm zu sein war dessen Ziel, es gleichsam
physisch zu aktivieren und sich seinen Gesetzen in einem Umfang zu
beugen, der mehr verlangt, als nur die Unterwerfung unter den
mitunteren Totalitätsanspruch eines solchen Werks, welche in der
Demut vor der Kunst endend, sich in Wohlgefallen ausnehmen könnte.
Mehr als oft verlangt es aber nach einer Veränderung der
Lebensgewohnheit und Einstellung, kurzfristig oder auch nachhaltig.
Dabei
besteht aber ein immenser Unterschied zwischen erstens dem Werk, das
Gegenentwurf ist, und zweitens jenem, welches Antinomie nicht
erlaubt. Wo selbst die Totalkunst ihren Widerspruch zum Betrachter
affirmieren kann, ohne dabei ihren Absolutheitsanspruch einzubüßen,
setzt die Zweite der genannten Charakteristiken des sozialen
Kunstwerks eine normative Nähe zum Betrachter, der dieser sich
anzugleichen hat. Die Gestalt dieser Angleichung ist dann die
Optimierung. Folgt erstes Verhältnis zwischen Werk und Betrachter
also der Möglichkeit einer dialektischen Beziehung zwischen der
Absolutheit des Werks und der durchaus affirmierten, dem Werk
gegenüber stehenden Identität des Betrachters, so negiert der
zweite Entwurf die Identität des Betrachters, sowie den Unterschied
zwischen Werk und Betrachter. In diesem Zusammenhang gerät eben
dieser Unterschied zur Anomie, die solch ein Werk auszumerzen sucht.
Zentral
ist dabei also oft meist das Motiv, sich selbst zu verbessern.
Bemerkenswert ist hierbei der Unterschied zwischen Veränderung und
Verbesserung. Der erste Entwurf birgt zwar eine oppositionelle Idee,
beispielsweise die einer Verbesserung der Welt, zu welcher man sich
zu Verhalten habe, zu der man beizutragen habe. Jedoch gewährt er
die Möglichkeit, sein falsches Verhalten durch Taten zu verändern,
oder durch Erweiterung des Denkens, immer jedoch auf die Formung des
Motivs „Welt“ hinauslaufend. Sie ist das Subjekt dieses
Veränderungswillens. Die Autonomie des Betrachters bewahrt sich
alldieweil. Das Individuum ist hier also nicht zwangsläufig Subjekt
des Werks. Zweiter Entwurf hingegen setzt ein Grundmuster voraus, das
neoliberale Funktionsstandards des zum Subjekt gewordenen Individuums
zur globalen Norm, sogar zum Naturgesetz erhebt und die Differenz zur
Insuffizienz des Unterworfenen wandelt. Gleichzeitig gelingt es
diesem Konzept, den Eindruck der Selbstverwirklichung zu vermitteln,
wo es doch nur um Optimierung zugunsten eines entfremdenden
gesellschaftlichen Konzepts geht. Selbst wenn es, auch Moral
anrufend, um Weltverbesserung geht, so steht doch meist im
Vordergrund, dass man durch persönliche Angleichung seiner
Performance und seiner Lebenseinstellung dieses Ziel verinnerlichen
sollte, als wenn das Projekt Weltverbesserung im Übermaß auf die
Verantwortung des Einzelnen fallen würde oder sogar davon abhinge.
Findet eine solche starke Betonung der individuellen Verantwortung im
Werk statt, kann man, die ideologischen Umwälzungen der
post-keynesianischen Welt im Hinterkopf, wohl nicht umhin, die starke
ideologische Färbung desselben zu konstatieren. Nie aber steht das
Individuum allein und unschuldig neben den Gemeinheiten der Welt.
Stets fordert sie - diesen ideologischen Vorgaben folgend - den
Einzelnen ein, wo die Welt ihre Schuldigkeit ausbügeln muss, um der
benötigten Unterstützung einzuholen. Hinter diesem Werkcharakter
verbirgt sich ein weltgestaltendes Projekt, das vor allem eines nicht
gebrauchen kann: die Existenz von Politik. So wie es bei Rancière
zur Kongruenz der Begriffe Politik und Demokratie kommt, bedeutet die
Internalisierung der Politik, also die Verschiebung des politischen
ins Private, Postdemokratie3.
Kaum
eine weltformende Ideologie hat sich je so beflissen gezeigt, ihre
Existenz zu rechtfertigen wie der Neoliberalismus. Wenn Gemeinschaft
angerufen wurde, fiel es selbst den reaktionärsten Ideologien
leicht, sich unter Berufung auf die Gemeinschaft darzustellen. Der
Neoliberalismus kann sich, nach dem Siegeszug der Demokratie, hierauf
wohl kaum berufen. Daher entbehrt die Dichotomie von Anrufung von
Teamgeist einerseits und Betonung der Individualität andererseits
auch nicht eines schizophrenen Attests. Der Imperativ, sein Leben zu
ändern, ist vielleicht die Geißel des neoliberalen Ethos und
Ausdruck der mit ihm verbundenen Ästhetik. Dabei ist das, was „das
eigene systematische Denken wieder vermehrt auf das Individuum
aus[richtet]“4,
ganz gleich, ob es sich auf eine Anpassung an die
Leistungsgesellschaft oder eine gesteigerte Spiritualität im Sinne
des New Age und tantrischem Sex bezieht, allzu oft mit dem Motiv
belastet, "biografische Lösungen für Systemwidersprüche zu
finden"5.
Die zentrale Frage hierbei ist: Ist der Lauf der Welt dermaßen
vorbestimmt, dass eine Verbesserung der Welt nicht mehr
externalisiert werden kann und immer nur das Individuum sich nach der
eigenen Insuffizienz angesichts der Probleme der Welt fragen muss?
Anders gesagt: Welch dunkler Macht wollen wir uns unterwefen, die uns
verbieten will, die Frage nach der Verbesserung der Welt zu Stellen
und setzt an ihre Stelle die Optimierung des Individuums? Ein oft
zitierte Frage ist bei der Behandlung der Probleme der Welt, was der
Einzelne tun könnte. Dabei hofft die Ideologie, die sich zur
Beantworterin dieser Frage selbst erkoren hat, auf die Wirksamkeit
einer Symbolik, die -einem Fischschwarm gleich- durch den inpekablen
Glanz der Handlung Einzelner auf ein schwarmintelligentes Handeln des
Kollektivs übertragen soll. Der eigentliche Zweck ist aber bei der
Anrufung der Einzelinitiative die radikale Ausblendung jeglicher
systemischer Anomie. Nur der Einzelne trägt die Verantwortung für
alles Ungemach der Erde
und soll sich daher in einer zum Projekt geschrumpften Welt (wobei
Projekt eine finite Lösbarkeit impliziert) in allerhand „Übungen6“
bewähren. Diese Übungen, die Peter Sloterdijk in seinem Plädoyer
für Selbstoptimierung beschreibt, entsprechen der geradzu
biologistischen Hayek'schen Idee von konstanter, kreativer Anpassung
an eine unsteuerbar gewordene Umwelt, die nicht mehr Resultat
menschlichen Eingreifens sei, sondern der spontanen Ordnungen der
Märkte7.
So
kann man zwischen der sozial-interventionistischen Form des sozialen
Kunstwerks der 1970er Jahre und der Esthétique rélationelle
einen Wandel verzeichnen, der sich wie eine Analogie des
weltbildlichen Wandels vom Keynesianismus zum Neoliberalismus
ausnimmt.
Die
Frage jedoch nach dem Demonstrationsgehalt des sozialen Kunstwerks
nachdem historischen Einbruch des Neoliberalismus in die Kunst, lässt
sich mit der Augenscheinlichkeit eines Fingerzeigs8
beantworten. Der aufgezeigte Betrachter ist ins Werk vorgerückt und
verbessert sich zunächst durch seine Aktivierung und dann durch
kreative Anpassung. Aller Tendenz zum Trotz bleibt jedoch ganz
grundsätzlich immer die Frage, auf wen das Kunstwerk zeigt, bzw.
wohin es zeigt. Zeigt es auf den Betrachter und stellt es sich ihm
immer noch als Gegenentwurf zur Wirklichkeit gegenüber? Verweist es
aus seiner Realität ins Außen, welches es mit seiner Realität
anklagt ? Ist es gar - statt Gegenwelt - doch nur selbstgenügsam
atmende, durch Menschenhand nicht gestaltbarer Weltgeist ? Oder
befinden wir uns eben in einem Parralleluniversum der Kunst, jenseits
von gut und böse? Krümmt sich der Zeigefinger der Kunst lockend, um
den Betrachter in die Falle zu locken, in ein Paralleluniversum, das
sich gegen die Außenwelt dergestalt abschottet, dass sie deren
Existenz verneint ? Lockt es nicht eben mit der Option der
Gestaltbarkeit der Welt, welche es als Fazit verneint, wenn es das
Individuum als potenziell nicht wettbewerbsfähig aufzeigt?
Für
das Verhältnis zwischen Betrachter und Werk scheint ausschlaggebend,
ob das Werk sich jeweils in seiner Didaktik oder in seiner
Künstlichkeit zu erkennen gibt. Verschleiert es seine Künstlichkeit,
so tappt man in die Falle, ganz gleich wie freiwillig dieser Akt ist,
beziehungsweise wie benevolent der Betrachter sich der Täuschung
ergibt. Dabei gilt: die Didaktik kann die Künstlichkeit überflügeln
und umgekehrt. Die Frage stellt sich, ob der Charakter des
Kunstwerkes per se der einer Falle ist. Die Künstlichkeit ist
die Falle, die Lehrhaftigkeit der Köder. Umgedreht, kann die
Künstlichkeit der Köder sein und das Versprechen einer Lehre die
Falle. Wie auch immer, prinzipiell wird das didaktische Werk sich zu
erkennen geben müssen, will es seinen erzieherischen Wert nicht
verspielen. Sonst handelte es sich bei ihr schlechtenfalls nur um
Erbauung. Bäumt das Werk sich nicht zum Antagonismus auf, erhält es
die Täuschung aufrecht, so wird es nicht vermögen, einen
erzieherischen Wert zu entfalten.
Streckt
sich also ermahnend der Finger aus dem Gemälde, wie in einer
Karikatur von Ad Reinhard von 19469,
in der die unmittelbare künstlerische Hermetik des Kunstwerks den
wenig wohlwollenden Betrachter spöttisch ausrufen lässt :
« Ha, ha ! What does this represent ? » und das
Bild auf einmal humanoide Gesichtszüge bekommt, auf den Spötter
zeigt und fragt : « What do you
represent ? ». Die Kunst zeigt auf den Betrachter und
reklamiert den Unterschied zwischen sich selbst und dem Betrachter.
Die Rhetorik des Kunstwerks liegt frei. Der Betrachter muss sich ihr
stellen. Ist die Rollenverteilung diffus, womit sie übrigens schon
wieder neoliberaler Führungstechnik entspricht, so können zweierlei
Dinge passieren. Entweder der Betrachter wird zum Künstler oder zum
Werkstoff. Wird dem Betrachter Co-Autorenschaft zugebilligt, so muss
im Einzelfall entschieden werden, in welcher Weise dieses Verhältnis
im einzelnen ein gleichberechtigtes ist.
Mit
der Symbolik der hierarchischen Verflachung und vermeintlicher
Mitbestimmung wird aber, unter Zuhilfenahme also von
Bindungsstrategien des Toyotismus, der Betrachter in ein geradezu
ausbeuterisches Rezeptionsschema gezwungen. Seine unentgeltliche
Mitarbeit wird gebraucht. Oder schlimmer noch, wenn wir an die
horrend gestiegenen Eintrittspreise in Kunstinstitutionen denken,
auch noch die Bereitschaft, für diese Arbeit zu bezahlen, ohne dass
daraus ein konkreter Nutzen für den Kunstliebhaber zu erwarten wäre.
Dabei ist die « ästhetische Erfahrung » und der « Sense
of community », noch das Magerste, was hier mitgenommen wird.
Die ästhetischen Qualitäten partizipativer Kunstwerke halten sich
ja bekanntermaßen in Grenzen. Das Versprechen der Mitbestimmung
ersetzt eine erforderliche Kongenialität der Rezeption. Diese jedoch
würde ja eine Genialität des Werks erfordern. Kann aber ein
unfertiges, noch zu aktivierendes Werk diese besitzen ?
Sagen
wir also, es ginge im sozialen Kunstwerk um die soziale Erfahrung der
Begegnung und der Mitgestaltung. Warum sollte man diese in die Kunst
verschieben ? Die hiermit beantworteten gesellschaftlichen
Defizite, nämlich Vereinzelung und Mangel an Demokratie, sind Teil
eines Erbauungs-Pakets. Die Ethisierung der kapitalistischen
Gesellschaftsordnung, kennt zwei Wege. Den einer Obrigkeit, die sich
betont bürgernah gibt und kollektiven Mitbestimmungsgefühlen bis
zum Populismus hin Ausdruck verleiht. Oder den der
Selbstorganisation, die durchaus oppositionellen Ursprungs sein kann,
aber der Konstitution des Neoliberalismus in dem Punkte entspricht,
mit Privatinitiative und dem bürgerlichem Engagement auf die
sozialen Probleme, die sich aus Deregulierung und dem Abbau des
Sozialstaats ergeben, zu reagieren. So verhüllt das Soziale sein
Verschwinden in einem Brokatmantel mit einem Dekor von
Gesellschaftsszenen.
Ist
zwischen Chefs und Angestellten, Herrschenden und Beherrschten,
Diskursgebern und -nehmern, und natürlich zwischen Künstlern und
Betrachtern nur noch schwer zu unterscheiden, mulitplizieren sich
Manipulationsmöglichkeiten und Verwirrung. „
1Jack
Finney: The Body Snatchers, Dell Publishing, New York, 1955.
2Vgl.
Durkheim
3Jacques
Rancière: Demokratie und Postdemokratie. In: Alain Badiou et
al.: Politik der Wahrheit. 1997. S. 94–122.
4Der
Dreizehnrekordhalter, Rezension von Peter Sloterdijks Du mußt
Dein Leben ändern,
Andreas Platthaus in der FAZ vom
23. März 2009
5Siehe :
Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere
Moderne. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1986, siehe auch Claire Bishop
6Vgl.
Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern. Suhrkamp,
Frankfurt am Main 2009, S. 14 ff.
7Ralf
Ptak, Grundlagen des Neoliberalismus, in: Butterwegge,
Lösch, Ptak Kritik des Neoliberalismus, VS
Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2007, S.53
ff.
8Claude
Gandelman, Der Gestus des Zeigens, in : Der
Betrachter ist im Bild, Hg. Wolfgang Kemp, D. Reimer Verlag,
Berlin 1992, S.71 ff.
9Ad
Reinhard, How to look at modern art in America, PM, New York
City, 1946
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