Montag, 15. Juli 2013

Edward Snowden auf der Flucht

Jäger und Gejagte

von Diego Castro
leicht gekürzt erschienen im Neuen Deutschland vom 25.6.2013
Edward Snowden ist auf der Flucht. Spannend wie ein Agententhriller, verfolgen Geheimdienste
und Weltöffentlichkeit das Katz und Maus-Spiel des abtrünnigen CIA-Manns mit den USErmittlungsbehörden.
Der Mann, der die illegale Ausspähung des Internets durch die
Geheimdienstsoftware PRISM ans öffentliche Licht brachte, hat eines verstanden : Wie man durch
Veröffentlichung falscher Informationen, unter Einbeziehung der Presse, sowie durch die
Herbeiführung diplomatisch heikler Situationen, die Geheimdienste narren kann und eine
Großmacht in Verlegenheit bringt. Nicht nur der Verlust von Geheimnissen, sondern auch drohender
Gesichtsverlust, versetzten die USA in Bedrängnis. Nachdem Snowden der Presse das geheime
Material zuspielte, flüchtete er nach Hong Kong, nutzte dort das diffizile Spannungsverhältnis aus
chinesischen Interessen und der in der südchinesischen Sonderverwaltungszone wichtigen
Symbolik von Meinungsfreiheit, um sich später gar mit Glückwünschen im Lichte der
Öffentlichkeit nach Russland ausfliegen zu lassen. Dort mit Spannung erwartet, lässt er bereits die
US-Propagandamaschinerie heiß laufen und versorgt die Medien mit gestreuten Gerüchten über
seinen Verbleib in Russland oder eine Auslieferung nach Kuba oder Venezuela. Dabei düpiert er die
US-Diplomatie und zwingt sie zum Balanceakt mit ihrem eigenen öffentlichen Selbstbild gegenüber
den Russen. Nach Ecuador ginge es, heißt es in letzter Sekunde. Ein Asylantrag sei bereits gestellt.
Die Amerikaner sind beleidigt. Gekriegt haben sie ihn bislang nicht.
Die Projektionsleinwand dieses Agententhrillers ist die aktuelle Medienlandschaft. Die Projektoren
sind die Nachrichtenticker und der Hauptdarsteller ein „Running Man“, unter stetiger Beobachtung
von NSA und CIA, der Nachrichtendienste, Presseagenturen und der Weltöffentlichkeit. Die sich
hier verquickenden Beobachter berichten, verfolgen oder jagen und fiebern mit. Eine öffentliche
Flucht, die Spielfilmreife besitzt. Ähnlich wie in dem Science-Fiction Film « Running Man » mit
Arnold Schwarzenegger, in dem Delinquenten vor laufenden Kameras um ihr Leben rennen, weiß
Snowden um die maximal ausgedehnte Beobachtung seiner selbst und dreht den Spieß kurzerhand
um.
Mit jeweils sehr verschiedenem Instrumentarium folgen die Augen der Überwachungstechnologie
dem Mann, der wegen dem Besitz von unliebsamen Wahrheiten gesucht wird. Snowden hatte
ausgerechnet Informationen über die Geheimdienstsoftware PRISM mit Hilfe von Wiki-Leaks an
die Öffentlichkeit gebracht. Das Programm dient der Ausspähung von Benutzeraktivitäten im
Internet. Facebook, Google, etc. übermitteln dabei private Daten, Benutzerprofile oder
Suchanfragen an die Geheimdienste. Diese versuchen dann über die so gewonnen, komplexen
Nutzeridentitäten, präventiv zu agieren. Regelmäßig erreichen uns Nachrichten über vereitelte
Terroranschlage vermeintlicher Extremisten. Auf welche Weise es gelingt, potenzielle Attentäter
dingfest zu machen, ganz im Gegensatz zu potenziellen Amokläufern, entzieht sich unseres Wissens
und vor allem oft auch unserer Kontrolle. Hierüber hüllt sich der Schweigemantel der
Geheimdienste. Kaum scheint es möglich, diejenigen Informationen und Bilder zu verifizieren,
welche die Geheimdienste ihrerseits an die Öffentlichkeit übermitteln. Die Domäne über den
Handel mit geheimen Informationen scheint bei den Regierungen zu liegen, so glauben wir. Wo die
Staatlichkeit sie veruntreut, reagieren wir empört. Wenn Internetkaufhäuser uns aufgrund unserer
vermeintlichen Vorlieben Kaufvorschläge unterbreiten, die durch ganz ähnliche Mechanismen
erhoben werden, entlockt es nur Schulterzucken. Staatliche Kontrolle hin oder her- liegt die
Schnittstelle zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit nicht ganz an anderer Stelle?
Anders, als in Orwells « 1984 », gibt es derzeit noch keine Gedankenpolizei und keine
präventivsaatliche Bestrafung von Gedankenverbrechen durch einen präventiven
Überwachungsstaat, repräsentiert durch den sprichwörtlichen „Großen Bruder“. Aber im Gegensatz
zu diesem Szenario aus der Orwellschen Dystopie, haben wir heute selbst aktiv daran Teil, welche
Daten von uns im Umlauf sind. Über soziale Netzwerke, Suchanfragen und dergleichen versorgen
wir die Informationsmaschinen bereitwillig mit Daten, die längst weit über das hinausgehen, was im
Rahmen der bundesrepublikanischen Volkszählung 1983 noch auf massiven Protest stieß. Doch was
einst Kritik an einem neu erstehenden Überwachungsstaat entzündete, gehört schon lange in die
Mottenkiste alter Disziplinarstaatlichkeit. Im Gegensatz zu ihr lebt unsere heutige
Kontrollgesellschaft von der selbstverantwortlichen Einspeisung von Informationen in
Datensysteme. Die Teilhabe an ihnen durch die Benutzung des Internets setzt den normativen
Standard, an dem sich Abweichungen etikettieren lassen. « Labeling » nennt sich das in der
Kriminalsoziologie. So benutzen heutzutage Geheimdienste den Effekt der sich auf die interaktiven
Systeme überschreibenden Kontrollmacht dergestalt, dass sie als Vertreter einer zentralen Macht
unsichtbar werden. Die Benutzeroberfläche ist zum halb-durchlässigen Spiegel geworden, der
Cyberspace zum Verhörraum, die Komissare hinter besagtem Spiegel versteckt. Doch durch das
Publik werden vom PRISM wurde diese geheime Kontrolle enttarnt. Die Offenbarwerdung
geplanter Verletzungen von Persönlichkeitsrechten, sowie der Missbrauch von
Überwachungssystemen zu Zwecken geopolitischer Interessenwahrung machen den zum
Datenschützer umgepolten Agenten Snowden zum derzeit meist gesuchten Mann.
Wer selber schon alte Schulfreunde oder auch sich selbst gegoogelt hat, wird wissen, wie vielfältig
und teilweise sensibel die Informationen sind, die man allein durch die Internetsuchanfrage schon
erhält. So wie Benutzer bereitwillig Informationen über politische Einstellung, Tagesablauf,
Arbeitsmoral, Freizeitaktivitäten oder sexuelle Orientierung geben, ist mittlerweile fast jedem die
Verarbeitung solcher Daten möglich. Wie gut oder wie schlecht das funktionieren kann, hängt
einerseits von der Qualität der Daten ab. Andererseits von der Qualität ihrer Verarbeitung. Bei der
Verhaftung etwa des Berliner Soziologen und Gentrifizierungskritikers Andrej Holm aufgrund eines
Labelings, entpuppte sich die Qualität der Datenverarbeitung durch den Verfassungsschutz als
defizitär. Ob Überwachung durch den Verfassungsschutz, Cyber- Mobbing oder Abfrage der
Employability durch Arbeitgeber dabei herauskommt : Wir sind zum Teil unseres eigenen Glückes
Schmied. Mittlerweile ist ja das Operieren mit erfundenen Datensätzen in sozialen Netzwerken
Usus geworden. Wer als 183-jährige schwule Frau, Typ Bodybuilder, auf Facebook unterwegs ist,
führt unter Umständen Kontrollmechanismen in die irre. In einer Welt, in der jeder jeden
beobachtet, kann die Vorspiegelung falscher Tatsachen zu Gesichtsverlust führen : Sie kann die
eigene Identität verbergen, sie kann das Selbstbild in Bedrängnis bringen. Hinter dem Spiegel kann
die Wahrheit liegen und der Spiegel kann eine schützende Waffe sein. Der Spiegel, den Snowden
gerade den Amerikaner vorhält, muss ein Eulenspiegel sein.

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