Sonntag, 25. Oktober 2009

Aktuelle Ausstellung: Agent Double, Genf

Egonomie.

Der Künstler als homo œconomicus.

annette hollywood (D), Klaus Baumgartner (D), Pauline Bonard (CH),
Sylvie Boisseau & Frank Westermeyer (F/D), Diego Castro (CH/D)

Ausstellungskonzept von Diego Castro (siehe unten)

Eröffnung am 22.10.2009 um 18 Uhr,

Ausstellung vom 23.10. bis zum 31.10.2009
Öffnungszeiten: Di-Sa, 11-18 Uhr
Ort: Agent Double, 23, Bd du Pont d'Arve, 1205 Genf, Schweiz
www.agentdouble.ch, info@agentdouble.ch

Die im Zuge der sogenannten 68'er Revolte gestellten Forderung nach Individualisierung und Entmassung der Gesellschaft beantwortete der Kapitalismus in seiner späten Phase mit der endgültigen Akzeptanz dieser Ansprüche. Dies geschah durch die Einbeziehungen der hier gestellten Forderungen nach Individualität und die Beantwortung selbiger mit neuen Produkten, beziehungsweise einer neuen psychologischen Aufladung von Produkten. Dinge, die vorher ausserhalb der Reichweite des ökonomischen Systems standen, erfuhren eine neue Ökonomisierung. An solcher Einbeziehung der Kritik erstarkte das kapitalistische System letztlich. So erklärt sich zum Beispiel das in der Werbung zu beobachtende Phänomen des Wechsels von der Qualitätsanpreisung zum reinen Transport von Images, die persönliche Freiheit und Emanzipation symbolisieren sollen.

Die hier eingeführten differenzierten Warenangebote versprechen dem Konsumenten ein Mass an Individualität, die auch in dem Produkt Kunst ihre Entsprechung finden können: Schon Freud charakterisierte die künstlerische Tätigkeit als Sublimierung, als Überführung nieder Triebregungen in höhere Bereiche. Hier begegnet aber der Eigennutz des Künstlers dem Geltungsdrang des Sammlers oder des Kurators, der auf seine Art versucht, durch sein spezifisches Konsumverhalten einen gewissen Status zu erreichen. Ebenso wie die Individualität des Künstlers auf den Verkäufer oder Vermittler übergehen soll, verspricht sich der Künstler durch diesen Austausch einen Zuwachs an Signifikanz, die der Selbstdarstellung, über die rein künstlerische Seite dieses Aspekts hinaus, auch im sozio-ökonomischen Sinne dient. In diesem Sinne erklärt sich zum Beispiel der reziproke Altruismus des Künstlers auch als Investition. Man erwartet also als Gegenwert für die Selbstaufreibung Möglichkeiten zu einer komplexen Selbstdarstellung, die auf Individualismus, sozialem Status und zu einem gewissen Teil natürlich auch auf Geld beruht.

Egonomie untersucht oder kommentiert die Fallen einer ökonomisierten Kunstrezeption; ökonomisch im Sinne einer Bewertung allen Nutzens künstlerischen Handelns und Rezipierens durch einen wirtschaftenden Geist: Der positive Egoismus des Künstlers steht dabei immer auf der Kippe. Die ursprüngliche ausser-ökonomischen Ziele des Künstlers fallen zunehmend dem spätkapitalistischen Geist zum Opfer. Dieser ist streckenweise so verinnerlicht, dass auch dieser positive Egoismus unter Verdacht gerät.

Egonomie versucht das Verhältnis des Künstlers zu den Akteuren der Kunstwelt, zur Leistungsgesellschaft und nicht zuletzt zum eigenen Werk zu sehen. Egonomie gibt aber auch dem unliebsamen Kippenberger'schen Einwand nach, dass jeder Künstler, in Verdrehung des Beuy'schen Theorems, auch ein Mensch sei: Der Künstler als Mensch ist im Bezug auf die Konstruktion und Durchsetzung seines Egos den selben Zwängen ausgesetzt wie Otto Normalverbraucher. Er verfügt allerdings durch das Werkzeug des Künstlers über besondere Mittel zur Darstellung und Durchsetzung seines Egos gegenüber der anonymen Masse. So kann bei Egonomie auch der Blick auf das Selbst dem sparsamen Wirtschaften, dem Groschenzählen, dem Häusle-Bauen anheim fallen und doch, als lohnende Investition, den Output des Künstlers vergrössern.

(english)

Egonomie

The so-called 68-revolt demanded an individualisation of society. The response to the demands from capitalism in its late phase was their definitive acceptance through integration and through answering them with new products, or rather with psychologically charging products. Things that before stood outside the reach of the economic system, were now subject to marketisation. By incorporating critique in this way, the capitalist system was strengthened. This explains, for example, the shift seen in advertising from emphasising quality to a pure communication of images, supposedly symbolising personal freedom and emancipation.

These differentiated ranges of goods promise the consumer a measure of individuality, which also has its parallel in art: already Freud characterised artistic practice as sublimation, as the transposition of lower drives into higher domains. Here, the self-interest of the artist confronts the desire for recognition of the collector or curator, who attempts to reach a certain status through his/her behaviour as consumer. Just as the individuality of the artist should transfer to the seller or mediator, the artist expects a gain in significance through this exchange. A gain, which will serve his/her self-staging, not only with respect to its artistic side, but also in socio-economic terms. In this way, the artist’s reciprocal altruism can also be explained as investment. It is expected that as countervalue for self-sacrifice, one gets the possibility for a complex self-staging, which is based on individualism, social status and, to a certain extend, also on money.

Egonomie investigates or comments on the case of an economical reception of art. Economical in the meaning of a valuation of all benefits of artistic action and reception through a spirit of business: the positive egoism of the artist is constantly balancing on a knife’s edge. The originally non-economic aims of the artist increasingly fall victim to the spirit of late capitalism. This effect is at times so internalised that also the positive egoism falls under suspicion.

Egonomie attempts to observe the relationship of the artist to the actors of the art world, to the meritocracy and not least to his/her own work. But Egonomie also concedes to the disagreeable objection of Kippenberger – turning the Beuysian theorem upside down – that every artist is also a human being. The artist as human being is, when it comes to the construction and implementation of his/her ego, subject to the same restraints as the average consumer. However, through the tools of the artist, he/she possesses specific means for representing and asserting his/her ego vis-à-vis the anonymous masses. Thus, in Egonomie the look at oneself can also fall prey to economising, penny-pinching, but still, as profitable investment, increase the output of the artist.

sculpture by Annette Hollywood, photos by Pauline Bonard, other images: wall painting by Diego Castro, videos by Annette Hollywood, Frank Westermeyer & Sylvie Boisseau.

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