Montag, 30. September 2013

Eran Schaerf erhält Käthe Kollwitz Preis
(unveröffentlicht)

Der seit 1985 in Berlin ansässige israelische Künstler erhielt am 20. September die mit 12.000,- Euro
dotierte Auszeichnung. Nach längerer Zeit ging der Käthe Kollwitz-Preis somit wieder an eine künstlerische Position mit politischem Gehalt. Im Zentrum von Eran Schaerfs konzeptuelle Arbeit steht die Auslotung sozio-kultureller Konstrukte. In verschiedenen Medien reagiert er künstlerisch auf aktuelle Fragestellungen einer sich täglich offenbarenden visuellen, sprachlichen und performativen Kultur des Politischen. Mit der Entscheidung der Jury fiel die Wahl nicht nur auf eine in Künstlerkreisen ungemein einflussreiche Position, sondern man besann sich auch auf die Namensgeberin Käthe Kollwitz und ihre politische Kunst. Die Jury würdigte ein Werk, das - nach eigenen Worten - in großer Distanz zu einer Kunst stehe, die sich allzu bereitwillig von den Agenturen ihrer Vermittlung abhängig gemacht habe. Dabei sei die Vermittlung selbst ein zentrales Thema in Eran Schaerfs Arbeit.
Eran Schaerfs Arbeiten sind Materialsammlungen und Anordnungen aus Foto, Text, Video, gesprochenem Wort, Objekt und Display. Sie sind Versuchsanordnungen, ohne abschließendes Ergebnis, in denen sich die Betrachter Inhalte auch erarbeiten müssen. Seine Autorenrolle, so Schaerf, sei keine strenge. Mit der Offenheit des Werks ist auch ein Teil der Autorenrolle in Umlauf gebracht. Bilder, Sprachfetzen, Objekte, Relikte stehen zu Aufnahme und Bearbeitung bereit. Neue Bilder zu  schaffen, interessiere den Künstler indes wenig. Davon, so Schaerf, gebe es bereits genug. Mit dem sogenannten Visual Turn behaupten Bildwissenschaftler eine Autonomie des Bildes. Mit ungeahntem Eigenleben ausgestattet, soll es Diskurse ersetzen, Fakten schaffen. Wo einst Politik war, stehe das mediale Bild und installiere seine ihm eigene Herrschaftsform. Eran Schaerf misstraut jedoch diesem Konstrukt und verweist auf die Kontextualität eines jeden Bildes. Keines stehe nur für sich und immer rankte sich Sprache um das Bild. Hieraus bilden sich Kontexte. Diese können sich verschieben und dabei sowohl Verständlichkeit wie Glaubwürdigkeit einbüßen. Wie vielfältig, gar paradox diese Bedeutungsebenen sein können, zeigt Scharf anhand von Diashows, Hörstücken und Videoarbeiten, in denen Bilder, anhand der vielfachen über sie kursierenden Interpretationen, Übersetzungen und Bildunterschriften, die Verlässlichkeit ihres Informationsgehaltes preisgeben. Die Instrumentalität des Bildes ist untrennbarer Bestandteil von Bildpolitik. Seit je her ist sie ein Charakteristikum von Propaganda.

Spielt man die verschiedenen, widersprüchlichen Aufladungen des Bildes gegeneinander aus, wie Eran Schaerf es in seinen Arbeiten tut, so entsteht zunächst Zweifel. Folgend werden die Betrachter aus diesem Zweifel in eine Lage versetzt, in der sie die Bildanalyse nicht dem Künstler oder gar den Medien allein überlassen können. Selbstgenügsame Rezeptivität und Mediengläubigkeit kann es hier nicht geben. Dabei ist es gerade der Akt des Aufzeigen von Material, der zur Befragung von politischen Inszenierungen auf ihre visuelle Kultur dient. Found Footage, original oder inszeniert, verweist bei Schaerf auf die neuerlichen Aufführungspraktiken von Protestkulturen. Wo es im alten Disziplinarstaat den Protestbewegungen nur widerfuhr, anhand von Bildern Politik zu machen oder Ikonen der Protestbewegungen zu erschaffen, arbeiten sie im Zeitalter von Facebook, Twitter und Youtube direkt auf das Bildereignis hin. Doch ist die Deregulierung der Bilderregimes auch demokratisch? Findet Politik in und mit Bildern überhaupt statt oder ersetzten sie demokratische Prozesse ? Die bereits von Jean Beaudrillard lamentierte Agonie des Realen durchzieht dabei längst nicht mehr die Oberstübchen der Bild-Dichter und Bild-Denker, der protestierenden Massen, der Bildproduzenten und -konsumenten. 

Aber ist die Faktizität, die wir Bildern nunmehr aufgrund ihres medialen Eigenlebens zusprechen nicht eine Täuschung über die Möglichkeit von Realität innerhalb der Bilder ? Diese interessanten Fragen weiß Schaerf zwar nicht zu beantworten, wohl aber zu stellen. Dabei geht es nicht um gelenktes Denken. Schaerfs lautes Nachdenken macht den Betrachter zum Mitdenker. Warum - fragt man sich - zeigen sich beispielsweise palästinensische Aktivisten in Hebron beim Obama-Besuch in den Westbanks mit Fotos von Rosa Parks, der Ikone der schwarzen Bürgerrechtsbewegung?

Kontextverschiebungen lassen neue Identitäten erstehen und Vertrautes positioniert sich neu. Entliehene Geschichte und Geschichten verdichten sich hier nicht zur Einheit. Gerade in ihrer Aufsplittung erzeugen sie Ahnungen von der Komplexität eines Bildes, sei es ein Stück aus den Medien, ein Kunstwerk oder Inszenierung einer kreativ gewordenen Protestkultur.

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