Montag, 15. Juli 2013

Applausverweigerung

Nicht erschienener Artikel:
Applausverweigerung
...und was sie bedeutet. 
Konzertbericht zu Crave, Blue Stork und De Mara im West Germany
von Diego Castro

Wenn hier einer klatscht, kommt er dann in den Himmel?“ ätzt ein älterer Besucher über das versammelte Publikum.

Was zuerst nur ein hämisches Grinsen hervorbrachte, wächst sich zur komplexen Frage aus: Eigentlich ziemt es sich nicht, einen Konzertbericht über das Publikum zu schreiben und die Auftritte der Bands so stiefmütterlich zu behandeln. Ohne die musikalischen Darbietungen der Bands „Crave“, „Blue Stork“ und „De Mara“ schmälern zu wollen, die heute abend im West Germany -einem Kreuzberger Undergroundladen- spielten, so scheint das überaus junge Publikum doch aus einer gewissen Warte bemerkenswerter als das, was sich heute Abend -um Neologismen nicht verlegen- „Ethereal Tek“ nennt und eigentlich nur eine Wiederbelebung von Shoegazer, Ethereal- und Dark Wave ist. Am Kottbusser Tor, in einer entkernten ehemaligen Arztpraxis im Sozialbaumonster „Zentrum Kreuzberg“ liegt das „West Germany -Büro für post-postmoderne Kommunikation“, die Kreuzberger Institution für Kunst und Musik jenseits des Mainstreams.

Hier versammelt sich heute Abend eine Szene aus trendbewussten Nachtschattengewächsen, die einen eigentlich nicht als tot, eher als untot geltenden Stil wie jede andere Retrokultur zelebrieren und -Neologismus sei dank!- ganz und gar post-postmodern sein kann. Wissen, was die Postmoderne ist, scheint heute abend überflüssig. Der neueste Aufguss des Dark Wave wird sorglos in ein kontextverschobenes, konsumistischeres Format überführt: Hipster-Goth. Alte Zeichen tauchen auf und bedeuten doch etwas anderes. Wie zum Besipel: Applausverweigerung.

Warum klatschen auf einem New Wave Konzert in den 1980er als uncool galt, lässt sich primär mit der Ganzheitlichkeit erklären, mit der Gefühlskälte verstärkt, ja zelebriert wurde. Sie kann vielleicht auch unmittelbar auf die weltpolitische Starre des nuklearen Patts zwischen den Großmächten zurückgeführt werden: Der kalte Krieg hatte seinen Höhepunkt erreicht und die Sinnlichkeit des Rock'n'Roll hatte sich zu einer ausgedehnten Schockstarre umgestülpt. Nachdem der Punkrock den postivistischen Gemeinschaftssinn des Pop-Mainstreams zersprengt hatte, zelebrierte New Wave eine unterkühlte, ins Innere gerichtete Emotionalität. Diese Rückkehr ins Innere und die Inszenierung der eigenen Vergänglichkeit spiegelte den Abbau der Sozialstaaten Europas und die damit einhergehende neoliberale Individualisierung der Gesellschaft in einer Welt vor Glasnost, die man in puncto Umweltzerstörung, Thatcheristischer Kälte und drohendem nuklearen Schlagabtausch als nicht mehr zu retten einstufte. Was noch nach außen drang, war wenig und wirkte depressiv oder unterkühlt. Es lag in der Natur der Sache, bei den Feiern des eigenen Untergangs, in denen sich das „gemeinsam Einsamsein“ kultivierte, spontane, positive Gefühlsäußerungen nichts zu suchen hatten: Wer bei einem Dark Wave oder Gothic Konzert klatschte, war erst mal nicht cool. Wer demonstrativ nicht klatschte auf eine gewisse Weise schon.

Warum aber überhaupt klatschen? Der Applaus, die Nahrung des Künstlers, ist zunächst ein positives Feedback. Er ist Ausdruck des Gefallens an einer künstlerischen Darbietung. Der Applaus kennt viele Formen, vom akademischen Tischeklopfen über frenetische Beifallsstürme, „Bravo!“-Rufe, bis zum so genannten „eisernen Klatschen“ auf kommunistischen Parteikongressen. Das Ausbleiben von Applaus könnte mitunter als rüde interpretiert werden. Dabei gehörten spontane Gefühlsäußerungen nicht immer zum guten Ton.

Im 19.Jahrhundert vollzog sich -wie der amerikanische Soziologe Richard Sennett beschreibt- ein Wandel in Bezug auf den öffentlichen Ausdruck. Gut zu beobachten war er im Theater, wo der lautstarke Ausdruck von Gefühlsäußerungen zunächst Gang und Gäbe war, dann aber bald als unfein galt. Je mehr sich die Zurückhaltung als guter Ton durchsetzte, desto mehr grenzte sie Provinz von Haupstadt, Unterklasse von Oberklasse ab. Die früher noch in den Stadttheatern, später nur noch in den weniger klassengetrennten Provinztheatern übliche Unterbrechung des Spielflusses durch expressive Emotionsäußerungen, die Applaus und Encores inmitten der Vorstellung beinhalteten, wurden alsbald zum Ausdruck von Unkultiviertheit.
Sie führten zu einer Polarisierung des Publikums, welche bald die Oberklasse ins Theater und die Unterklasse ins Fussballstadion schicken sollte. Interessant hieran ist zunächst wie mit der Tabuisierung öffentlicher Expressivität, eine aktive Teilhabe des Publikums an der künstlerischen Aufführung verschwand. Entweder verzog sie sich in eine kontemplative Innerlichkeit, die den Kunstgeniessenden ganz auf sich selbst und auf sein privates, geheimes Repertoir sinnlichen Erlebens zurückwarf.
Oder aber sie bedeutete demjenigen, der über keine so fein ausgebildete Innerlichkeit und Fähigkeit zur Selbstkontrolle verfügte, am falschen Platz zu sein: Die öffentliche Gefühlsregung war verpönt. Das Verlassen einer passiven und maskenhaften Erscheinung somit Eintritt in ein unfreiwilliges Kultur- und Klassenbekenntnis. Diese Unterscheidung prägt den Kulturgenuss bis in unsere Tage. Dabei ist aber nicht nur die Zurückhaltung im bürgerlichen Theater oder in der Oper ein Ausdruck von sozialer Zugehörigkeit.
Auch überschwängliches Klatschen, Jubel oder Buh-Rufe in einem Rockkonzert erfüllen nebenbei die selbe bestätigende Funktion. Übertretungen wie ein "Yippie-yeah!" aus dem Wilden Westen hätten auf den Bayreuther Festspielen wohl eher ausschließende Wirkung. Was aber heute abend als demonstratives Nicht-Klatschen auf dem Konzert der Neo-Dark-Bands im West Germany registiriert werden konnte, verdrehte die Sache: Hier ist der demonstrative Nicht-Applaus eine bestätigende subkulturelle Referenz, gegenüber einer Retrokultur, die Emotionslosigkeit, sei sie auch eine noch so lahme Geste, einfordert.
Die Schwierigkeit, die man vielleicht von Facebook kennt, daß man einen Post nur "liken", nicht aber "disliken" kann stellt sich selbstverständlich bei Inhalten, die man nur schwerlich undifferenziert mögen und bestätigen kann. Singt eine Band über die Unmöglichkeit, die Welt oder aber sich selbst mögen zu können, fällt diese Art von Bestätigung folglich eher schwer. Wen mir jemand ins Gesicht brüllt: "Die Welt ist zum Kotzen und ich fühle mich beschissen!", kann ich ihm kaum entgegnen: "Mir gefällt das!" Applaudiere ich nicht, so identifiziere ich mich in diesem Fall mit dem Sänger oder der Band. Vorausgesetzt, ich bezeuge in irgendeiner Form Interesse, also: Das Konzert beginnt, ich gehe zur Bühne, sehe und höre zu. Ich nehme eine bestimmte Haltung ein, die mir der Rhetor zugewiesen hat und die ich gerne einnehme. Im Einnehmen dieser Position liegt eine mehr oder weniger spielerischen Unterwürfigkeit, die Logik von Sprecher und Zuhörer zu akzeptieren.
Was aber an diesem Abend im West Germany stattfand, war auch hiervon weit entfernt. Vielmehr scheint es, das hier anwesende Publikum hat sich auf ein Miteinander verständigt, das weitaus unfreundlicher wirken mag, als bloße Applausverweigerung: Man straft sich durch Nichtbeachtung ab.
Unsichtbarkeit trotz Anwesenheit, so der Philosoph Axel Honneth, war in der Kulturgeschichte ein Ausdruck der Geringschätzung. Das Hindurchsehen des Hausherren durch anwesende Bedienstete war hier ein Ausdruck der Missachtung, der Klassenhierarchien klarmachte. Was aber, wenn das Hindurchsehen ein gegenseitiges ist, wie auf dem hier besprochenen Konzert? Gelten Gesten der gegenseitigen Missachtung, des gegenseitigen Ignorierens hier als cool? Offensichtlich schon. Aber warum, vor allem bei hyper-individualistischen Kids wie den Goth-Hipsters? Was treibt sie dazu, sich weder als Freund, noch als Feind zu erkennen und sich -ganz unhierarchisch- gegenseitig zu ignorieren?
Die neue Gothic-Szene, altgediente Vertreter der Szene würden sie vielleicht nicht so nennen, die sich heute abend hier versammelte, verteilte sich in Grüppchen im Raum, der Bühnenraum blieb merkwürdig ungefüllt, die Bands unbeachtet. Die Rolle des Künstlers bleibt als Dispositiv bestehen: Die Künstler sind auf der improvisierten Bühne aus Bierkästen, das Publikum unten. Nur die durch sie zugewiesenen Rollen werden nicht eingenommen. Aber das ist viel weniger als ein Aufstand gegen sie.
Die Hipster Goth-Szene, mit ihren teuren Markenklamotten in Schwarz, referiert also einen Gestus des Dark Wave -der Unterkühltheit- in größtmöglicher Ikonenhaftigkeit, ohne jedoch, daß ein tatsächliches Wechsel- und Verwirrspiel von Expressivität und Anti-Expressivität und introvertierter Emotionaltät stattfindet. Und das entspricht auch einem Kritikpunkt, der gegenüber Hipstern immer wieder hervorgebracht wurde: Sie könnten sich in die Authentizität von Subkulturen zwar einkaufen, diese Authentizität aber nie erleben. Sie seien letztlich nichts anderes als eine eigentlich emotionslose Shopping-Kultur, in diesem Fall eine sinistre.
Sind die Hipster-Kids im Zeitalter neoliberaler Aktivierungen des Individuums mit den an sie herangetragenen Aufgaben einfach nur überfordert? Eine zum Zwang gewordene Selbstverwirklichung, die Abkehr von der Coolness hin zu einer zur Norm gewordenen öffentlichen Expressivität sind für so manchen too much. Warum nicht gerade für diejenigen Erdenmenschen, die in der Phase der Selbsfindung einen schwer zu bewältigen Katalog von Identifikationsmodellen ins Gesicht geklatscht wird?
Findet sich hier nicht die Zuspitzung auf das, was Richard Sennett bereits in den 1970er Jahren Intimitätsterror nannte? Ohne -im Sinne Ödon von Horvath- ein neues Zeitalter des Fisches herbeireden zu wollen und ganz ohne es zu loben, frage ich: Lässt sich in der Verquickung von Todes-Fetischismus, Konsumismus und Autismus nicht symptomatisch die Schwierigkeit einer ganzen Generation ablesen, einem Regime ausgeprägter Emotionen zu trotzen, unter das sie die Konsumwelt unterwirft? Dabei ist in einer Welt hypersexualisierter Duschgels, terminaler Erfrischungsgetränke und aller Sinne ansprechender Bausparverträge, paradoxerweise die Lebensverneinung kein Refugium vor der Käuflichkeit von Begehrlichkeiten. Das Lebensgefühl käuflicher Weinerlichkeit untersteht der Verteilungsgewalt der Kulturindustrie genauso, wie alle anderen Formen von Devianz. Aber verstehen wir es in Gänze: Die Kolonisierung des Körpers durch Strartegien der Vermarktung und der Selbstvermarktung befördert diejenigen, die diesen Mechanismen verstärkt ausgesetzt sind sind oder sich verstärkt diesen aussetzen, nicht in die Passivität einer Opferrolle. Denn auch diese Rolle verlangt zu ihrer Vervollkommnung eine Aktivierung. Und diese verkehrt die Ökonomie körperlicher Verschwendung an das Gegenüber von der Ohnmacht in eine Verwahrungsgeste die bedeutet: Du hast Dir meine Aufmerksamkeit nicht verdient. Indem ich Akte der Expressivität an Dich verweigere, erhöhe ich meinen Marktwert.
"Der Gedanke, daß expressive Akte der Anerkennung eine Metahandlung darstellen, läßt sich in einer leicht gewandelten Terminologie auch als Hinweis auf die Art der bekundeten Motivation verstehen: Der Aktor bringt in der befürwortenden Geste zum Ausdruck, daß er die höherstufige (...) Motivation bestitzt, gegenüber dem Adressaten nur solche Impulse und Motive zu realisieren, die einen wohlwollenden Charakter besitzen." (Honneth) Dabei gebe "die Tönung der jeweiligen Geste zumeist schon recht genau zu erkennen, welcher Art die wohlwollende Handlung sei". (ebd.)
In der Verkehrung der Hierarchie, in der sich Performer und Publikum hier begegnen, ändert auch das Wohlwollen die Vorzeichen: Die alles andere als primär wohlwollende Geste der Applausverweigerung, verweist die auf der Bühne stehenden Künstler auf ihre Bringschuld gegenüber einem zahlenden Publikum, daß von der Einlösung der Ware nicht abhängig, die Darbietung ostentativ verschmäht und sich dadurch personal-ökonomisch als unerreichbar inszeniert.
Auf einen weiteren Aspekt macht uns der österreichische Philosoph Robert Pfaller in seiner „Ästhetik der Interpassivität“ aufmerksam: Die Auflösung der Rollenverteilung zwischen Künstlern und Publikum, verweist auf ein undistanziertes, intimes Miteinander, in dem man nur man selbst sein kann und keine Person spielt. Eine kritische Distanz – zu sich selbst und zu den Anderen- wird so erschwert. Wer sich also aus der Hölle einer kritiklosen Welt befreien will, der klatsche bitte in die Hände!

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