Montag, 15. Juli 2013

Doppelte Ökonomien

Rezension im ND http://www.neues-deutschland.de/artikel/826272.verflochtene-systeme.html?sstr=diego|castro

»Doppelte Ökonomien« - Ansichten zum DDR-Fotoarchiv des Reinhard Mende

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Das Foto von Reinhard Mende, das am 8. Juni 1971 in Zella Mehlis entstand, ist archiviert 
Die Ausstellung »Doppelte Ökonomien« widmet sich einem 19 500 Fotografien umfassenden Archiv mit Arbeiten des im letzten Jahr verstorbenen Fotografen Reinhard Mende. Der 1930 im niederschlesischen Riesengebirge geborene freie Fotograf gilt als wichtiger Dokumentar der DDR-Arbeitswelt. Er arbeitete von 1967 bis 1990 als Auftragsfotograf in Volkseigenen Betrieben und als Werbefotograf auf der Leipziger Messe. Mehr als 20 Jahre lang fotografierte er im Auftrag der Werbeabteilung von AKA ELECTRIC und HEIM ELECTRIC in den Kombinaten der VEB Elektrogerätewerke Suhl, VEB Leuchtenbau Leipzig und des VEB Fahrzeugelektrik Ruhla und insgesamt fast 100 Betrieben.
Ein Teil des Archivs dokumentiert Arbeiter in den volkseigenen Betrieben der DDR, was ein in seiner Fülle beeindruckendes Porträt der sozialistischen Produktionsbedingungen ergibt. Der andere Teil zeigt internationale Delegationen an den Produktständen der DDR-Konsumgüter auf der Leipziger Messe. Dabei spielt deren Repräsentation auf der Leipziger Messe eine besondere Rolle, denn sie war Marktplatz und Begegnungsstätte für Handelspartner aus dem Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet sowie aus den sozialistischen Bruderstaaten. Es ist eben dieses Scharnier, dem die Ausstellungsmacher von »Dop-pelte Ökonomien« besondere Aufmerksamkeit zuteil werden ließen.
Das von Estelle Blaschke, Armin Linke und Doreen Mende als Gruppe PRODUZIEREN initiierte Ausstellungsprojekt befragt die weitreichenden Verflechtungen zweier ökonomischer Systeme und insbesondere, wie die Arbeits- und Produktästhetik der DDR sich auf dem Plateau einer kapitalistischen Warenrepräsentation inszenierte. Gefragt wird, wie sich Realsozialismus und Kapitalismus in Bezug auf die Warenform auf der Bildebene begegneten.
Widersprüche und ungeahnte Gemeinsamkeiten der Bildproduktion und des Designs werden hier offenbart. So dienten die Bilder einer Selbstdarstellung des ökonomischen Systems der DDR und seiner Errungenschaften, nicht zuletzt zugunsten von Handelsbeziehungen mit dem Westen. Aus der historischen Distanz und im Kontext der Kunst erhalten wir ein komplexes Bild einer widerspruchsreichen Kommunikation zwischen realsozialistischer Produktion und kapitalistischer Repräsentation.
In einer Wanderausstellung setzen sich bekannte Künstler mit dem Archiv oder angrenzenden Fragen auseinander. Dabei sind die Arbeiten meist beinahe wie ein Postskriptum des Kommunismus anzusehen. Aus dem Blickwinkel des heute kriselnden europäischen Kapitalismus stimmen die künstlerischen Arbeiten weniger melancholisch denn nachdenklich. Verweisen sie doch nicht nur auf das untergegangene politische und ökonomische Projekt des Kommunismus. Das vom neoliberalen Philosophen Francis Fukuyama einst proklamierte »Ende der Geschichte« nach dem Zusammenbruch des Ostblocks vergegenwärtigt sich unversehens für das übriggebliebene System.
So verweisen die Arbeiten teils auf eine längst abhandengekommene Stabilität der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. So scheint mit der DDR nicht nur ein Stück persönliche Geschichte untergegangen, sondern auch die monolithische Erscheinung des alten Kapitalismus.
Teils auf ganz persönliche Art, teils historisch-politisch untersuchen beispielsweise die in der DDR geborenen Künstler Olaf Nicolai oder Sven Johne das Bildmaterial. Armin Linke fragt in seinen großformatigen Arbeiten nach dem Schicksal jener Orte, die einst im Zentrum ideologischer Repräsentationen standen und heute eher ein tristes Dasein fristen - als Discount-Supermarkt oder stillgelegte Mehrzweckhalle.
Einige Künstler gehen sehr synthetisch und rekontextualisierend mit Archivmaterial um, wie im Fall der »Otholith Group«, die sowjetisches Archivmaterial mit Dialogen aus dem Godard-Streifen »La Chinoise« kontrapunktiert. Teilweise werfen sie ungeklärte Fragen des Verhältnisses zwischen der DDR und Angola auf. Kiluanji Kia Henda macht mit seinem Foto vom Wrack des Frachters »Karl Marx« am Strand von Luanda auf ein nicht eingelöstes politisches Projekt und die geopolitischen Hintergründe von dessen Scheitern aufmerksam.
Malte Wandel verweist in einer Fotoreihe auf unangenehme Wahrheiten über das Schicksal der ehemaligen Vertragsarbeiter aus Mosambik in der DDR. Der US-Amerikaner Allan Sekula, hierzulande seit der documenta 11 für seine globalisierungskritischen Fotoarbeiten bekannt, untersucht in einem mit Noël Burch realisierten Filmessay die dramatischen Veränderungen, denen die Seewege durch die Globalisierung nach dem Zusammenbruch des Ostblocks unterzogen wurden. Auch hier verweist die Ausstellung auf die Fatalitäten der neuen geo-politischen Ordnung.
In »Die führende Rolle« dokumentierte der Filmemacher Harun Farocki, stets auf der Suche nach den »Weltbildern hinter den Bildern«, die Erschütterung des kollektiven Selbstbewusstseins bei ausgehöhlten Inszenierungen der Macht in der bereits untergehenden DDR ab 1987.
Neben den künstlerischen Beiträgen bleibt es das große Verdienst der Ausstellungsmacher, das DDR-Fotoarchiv aufgearbeitet und frei zugänglich gemacht zu haben. Das Archiv kann unter www.doubleboundeconomies.net gesichtet werden.

Bis 3. August in der Galerie Thomas Fischer, Potsdamer Straße 77-87 (Haus H), Mitte. Zur Ausstellung erschien ein Katalog.

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