Räume von morgen, Träume
von gestern
Ein Kommentar zur aktuellen Berliner Kulturpolitik von Diego
Castro
Zuerst kam die gute
Botschaft. Berlins bildende Künstler sollen neue Ateliers bekommen.
Der Atelierbeauftragte Florian Schmidt legte einen Masterplan vor,
der 2000 neue Ateliers bis 2020 vorsieht. Nach langem Gezerre ein
Zeichen gegen den Ateliernotstand. Ein Einlenken der Stadt in einen
Teil der Forderungen der Berliner Künstler und ihrer Vertretungen.
Doch kaum ist der Bissen im Mund, macht sich bitterer Nachgeschmack
breit. Aus der Kulturverwaltung wurden Pläne laut, den Posten des
Atelierbeauftragten, bislang an das Kulturwerk des Berufsverbands
bildender Künstler (BBK) angeschlossen, in ein erweitertes
Aufgabenfeld zu überführen. Ein “Raumbeauftragter”, so die
Idee, soll künftig zur Schaffung einer “einheitlichen Struktur”
bei der Herstellung infrastruktureller Maßnahmen die Regie
übernehmen. Spartenübergreifend soll er die räumlichen Interessen
der „Kreativen“ vertreten. Klingt erstmal gut. Wäre da nicht
diese obskure Formulierung „Kreative“, weist sie doch über die
Künste hinaus zu einem breiter verstandenen Berufsbild. Im Gegensatz
zum Atelierbeauftragten, würde der Raumbeauftragte also die
Interessen aller kreativen Gruppen berücksichtigen müssen. Sind
damit nicht auch Vertreter der Kreativwirtschaft gemeint?
Doch was gibt es am
Atelierbeauftragten eigentlich auszusetzen? Als Vertreter des
Kulturwerks des BBK sei dieser nicht neutral, so der implizite
Vorwurf der Senatskulturverwaltung, die sich durch eine zentrale
Steuerung der Raumfragen auch eine Entlastung ihrer knappen
Personalressourcen verspricht. Interessenskonflikte oder Fragen des
Mandats bleiben dabei allerdings unberücksichtigt. In seiner
derzeitigen Rolle agiert der Atelierbeauftragte mit dem BBK im Sinne
einer durch die Berliner Künstlerschaft legitimierten
Interessenvertretung. So befürchtet der Berufsverband mit dem Ende
des seit 1991 bestehenden Auftrags an das Kulturwerk die kommende
Nähe eines Raumbeauftragten zu den Interessen des Senats und seinen
kulturpolitischen Zielen. Für die Kunst nicht unbedingt gut.
Inwiefern eine solche Umgestaltung des Aufgabenbereichs zu mehr
Neutralität beitragen könnte, bleibt nebulös. Zurecht fragt sich
der aktuelle Atelierbeauftragte Florian Schmidt, warum die bewährte
Struktur aufgelöst werden sollte. Um den unterschiedlichen
Bedürfnissen zu begegnen, sei ein zweigleisiges Programm die bessere
Lösung, so Schmidt. Durch „trennscharfe Programme“ würde mehr
Planungssicherheit möglich und eine Haftungsgemeinschaft
sinnvollerweise verhindert.
Doch bei allen positiven
Signalen der Kulturverwaltung an die Berliner Kunst: das eigentliche
Problem besteht in der Konzeption eines derart breiten und unscharfen
Fördermodells. Die Förderung einer schwammig so genannten
„kreativen Szene“ lässt argwöhnen, sie verfolge nicht das
primäre Ziel der Pflege und Förderung kultureller Reichhaltigkeit.
Vielmehr scheint die konzeptuelle Unschärfe dazu angedacht, eine
Verquickung von Kultur mit Kulturindustrie voranzutreiben. Was
erfahrungsgemäß nicht zum Vorteil der Kunst gereicht, sondern ihre
Kommerzialisierung nachzieht. Liest man die neuerlichen
Argumentationsversuche des Kulturstaatssekretärs Tim Renner, so
sticht eines ins Auge: Wenn Renner über Kunst redet, redet er über
Wirtschaft. Die Ausführung des früheren Managers sind geprägt von
betriebswirtschaftlichem Denken. Die Kräfte des Marktes sollen, wo
es möglich ist, auch eine Ahnung vom Ende staatlicher Förderung
anspülen, die sanft die Fundamente der kulturellen Leuchttürme
umspült. Und doch: der kommerzielle Erfolg von kulturellen
Unternehmungen wie Musicals scheint auch bei Renner nicht ultima
ratio zu sein. Andere Kunstsparten ließen sich nicht so
breitenwirksam aufstellen und benötigten Unterstützung.
Trotzdem
findet sich in Renners Diskurs die „Kreativität der Künstler“
nur als „Rohstoff“ für die Kulturwirtschaft. Den Zusammenhang
zwischen Kultur und Wirtschaft zu betonen, sieht er als eine der
wichtigsten Aufgaben, ließ er in einem Interview im „Kunstforum“
verlauten. “Damit die kreativ getriebene Zuwanderung anhält
und die Transformation von kulturellem in ökonomisches Kapital nicht
zu einer Verödung von Stadträumen führt”, müssten diese
Rohstofflieferanten geschützt werden, verrät Renner in einem Essay
im “Tagesspiegel” und stellt damit die Motivation seines
Engagements klar.
Bei solchen Ideen
beschleicht einen der Eindruck, unter dem Deckmantel der
Kulturförderung könnten kommende Konzepte eher einer verdeckten
Wirtschaftsförderung gleichen, neue Räume für Kultur gingen an
Start-ups und die Kunst solle lediglich die weichen Standortfaktoren
für die Kreativwirtschaft sichern. Über die dahinter stehenden
Stadtentwicklungsideen kann man nur spekulieren. Sie erinnern stark
an jene überkommenen Vorstellung von Kreativstadt des amerikanischen
Ökonomen Richard Florida. Ohne rechte Expertise ersann dieser eine
Theorie, die einen Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und der
Ansiedlung kreativer Eliten herzustellen versucht. Weiche
Standortfaktoren wie „Coolness“ stehen im Zentrum seiner
Erwägungen. Hat Berlin sein wichtiges Potenzial in dieser Hinsicht
bereits verspielt? Noch sind die Neuköllner Cafés voll von
internationalen Hipstern, die zwischen Selfies und Foodies
irgendwelche Kreativarbeit auf ihren Macbooks erledigen.
Doch der Brain-Drain, also
das Abwandern der kreativen Intelligenz, ist unmittelbar
bevorstehende Realität. Das hat mit Mietanstieg, aber auch mit
schlechten Verdienstmöglichkeiten für Kreative zu tun. Floridas
viel rezipierte, aber wenig nachhaltige Ideen haben in der
neoliberalen Entwicklung mancher Stadt großen Flurschaden anrichtet.
Kreative Szenen schliefen ein, der Brain-Drain folgte. Nach
Gentrifizierung und nur noch geplantem Chaos gab es für den Verbleib
der mobilen Eliten wenig Gründe. Fest angesiedelte Künstler
hingegen waren in ihrer Existenz bedroht. Weniger Kreative wurden
abgehängt. Florida selbst musste das Scheitern seiner Theorie
eingestehen: Trotz Talent-Clustering stellte sich wirtschaftlicher
Aufschwung nirgends ein. Der Trickle-Down-Effekt der „Kreativen
Klasse“ ist ein Mythos. Auch für Berlin könnte sich die Vision
vom synergetischen Austausch zwischen Kreativindustrie und Kunstszene
als Fata Morgana entpuppen.
Nach der Deregulierung der
Raumfrage, mit fatalen Auswirkungen auf die Stadtlandschaft, hat sich
gezeigt, dass Steuerung und Mitbestimmung dringend nötig ist.
Berlins Kreative brauchen neue Räume und hier wurden die richtigen
Weichen gestellt. Doch wer Kultur öffentlich nur als
Wirtschaftsfaktor denkt, muss sich über Skepsis von Seiten der
Künstlerschaft nicht wundern. Und auch in puncto Stadtentwicklung
sollte man sich über die Wirkung einer flüchtigen Ressource wie
Coolness auf die komplexe Wirtschaftssituation einer Stadt wie Berlin
nicht versteigen. Mit der Schaffung von Kreativ-Ghettos ist es nicht
getan. Die Entgrenzung der kulturellen Sparten könnte sich indes
kontraproduktiv auswirken. Wenn künftig Start-ups von
Kulturförderung profitieren oder Kuratoren Theater leiten, mag das
zu kurzfristigen Erfolgen führen. Qualität muss dabei nicht
zwingend herauskommen. Die aber braucht Berlin, soll sich die
Boom-Town nicht in eine Shrinking-City verwandeln.
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