Mittwoch, 19. März 2014

10 Jahre Facebook, ein Rückblick

10 Jahre Facebook: Mein Freund das Wurstbrot.
Erschienen im Neuen Deutschland, vom 4.2.2014
Zehn Jahre Facebook. Betrachtet man die Halbwertzeiten sozialer Netzwerke, eine lange Zeit. Mitgliederschwund beutelte Friendster, MySpace und andere einst populäre Communities. Auslöser waren neue Designs, die Nutzern zu komplex wurden. Auch mangelnde Vernetzung wurde, laut Studie der ETH Zürich, als Grund für Abwanderungskaskaden genannt. Starke Vernetzung und Simplifizierung sozialer Vorgänge mögen den anhaltenden Erfolg von Facebook erklären. Jungen Nutzern gilt es längst als uncool. 11 Millionen wanderten seit 2011 ab. Dennoch hält sich das Unternehmen und erhöhte die Werbeeinnahmen 2013 auf stolze 2,6 Milliarden Dollar.
Wer kein Konto hat, kommt in der Welt von Facebook nicht vor. Es kennt nur zwei Optionen. Nicht etwa 'Freund oder Feind'. Vielmehr Freund oder Nicht-Freund. Dabei kein Unterschied zwischen realen Personen, Konzernen, Parteien, fiktiven Charakteren oder 'Wurstbrot'. Diese herzhafte Seite hat übrigens 1709 Fans. Solch Indifferenz hat weitreichende Auswirkungen auf das Sozialleben. Nicht nur, dass man meist nur mit realen Personen gleichen soziokulturellen Hintergrunds verknüpft ist. Wo echte Freundschaften, Zufallsbekanntschaften oder Verbindungen zu Entitäten wie McDonalds, CDU oder 'Wurstbrot' den gleichen Status haben, ist der Charakter der Freundschaft diskutabel. Firmen, Parteien und Wurstbrote aber sind vorgerückt, um sich ins Privatleben einzuschleichen. Mit der Stulle teilt man arglos Interessen, mit dem Boss politische Statements und die liebe Mama bekommt die Bilder der Kampftrinkerprüfung zu sehen. Im Gegenzug gibt’s Infos von den CDU-Wochen bei McDonalds und dem neuen McWurstbrot-Burger für 1,99 €. Wem's gefällt, der klickt! Ähnlich, wie sich eine Ökonomie um die schiere Anhäufung von Kontakten bildet, gewinnen Dinge mit "Likes" an Konjunktur: Wenig Freunde sind uncool. Dinge, ohne "Likes" verschwinden. Mittlerweile unterscheiden Forscher zwischen breiter und tiefer Vernetzung. Diese gibt Hinweise auf den sozio-ökonomischen Background des Users. Reich: Breit gestreut und oberflächlich. Arm: eng und vertieft.
Einen "Dislike"-Button gibt es nicht. Konsens ist Gesetz, sonst droht Indifferenz. Kostet Zustimmung nur einen Mausklick, drückt sich Dissenz schwer aus. Formuliert man Unbehagen, verkehrt es sich umgehend ins Positive. Kritik existiert eben nur, indem sie sich der Ökonomie der Affirmation unterwirft. Es ist möglich, Facebook Unangemessenes zu melden. Ziel dieser Funktion ist jedoch nicht, mangelndem Wohlwollen Ausdruck zu verleihen. Vielmehr ist es Störungsmeldung. Das Ziel ist, Störfaktoren zu eliminieren und den Feed so zu optimieren, dass es gefällt. Dass sich in dieser schönen, neuen Welt dennoch Zwist und Zank in Form von Textbeiträgen niederschlägt, scheint eine Anomie des Systems Facebook. Mit einem "Dislike"-Button wäre die Entstehung von Shit-Storms weniger wahrscheinlich. Wer sich aber antut, die Textbeiträge von Entrüstungsstürmen zu lesen, muss erkennen, dass Meinungen sind, wie die Löcher, aus denen Fäkal-Stürme kommen: Jeder hat eins.
Inflation von Meinung ist das Problem. Würden diese als "Dislike" zusammengefasst, entfaltete sich Kritik numerisch: "CDU: 76.622 Personen gefällt das, 12 nicht." Differenzierte Meinungen gehen im Shit-Storm eh unter. Die Ökonomisierung des Sozialen ist in Facebook angelegt. Sie schreitet voran, je mehr Buttons soziale Funktionen übernehmen. Die Versuchung, Meinungen umstandslos zu automatisieren, ist groß. Doch wer beherrscht die delegierte Meinung?
Über die politische Wirksamkeit von Anliegen auf Facebook ist geredet worden. Der arabische Frühling beflügelte die Phantasien. Doch gerät bei Partizipation per Mausklick einerseits Demokratie zur Apathie. Andererseits bedienen sich undemokratische Kräfte der Netzdemokratie. Nicht nur arabische Staaten und Nazis nutzen das Netz zur Ortung von politischen Feinden. Demokratie hat Facebook bei sich selbst indes weitgehend abgeschafft. Der halbherzige Versuch, Mitbestimmung zu verankern, wurde eingestellt. Wie es heißt, aufgrund mangelnder Beteiligung.
Der NSA Skandal hat viele für den Schutz der Privatsphäre sensibilisiert. Oft jedoch ist nicht bewusst, in welcher Weise persönliche Daten verwertet werden. Facebook fungiert als Meta-Datenbank für Kunden. Die Datenakkumulation ist enorm und lukrativ. Einer Generation, die sich an Volkszählungsboykott kaum noch erinnern kann, werden Intimitäten entlockt, deren Offenlegung die Menschen einst auf die Barrikaden getrieben hat. Der Selbstdarstellungsdrang einer individualistischen Gesellschaft verhilft Facebook zu diesen Daten. Was Dritte sehen, darüber weiß man wenig.

Die schwindende Popularität des lebendigen Adressbuchs liegt auch im gesunkenen Vertrauen. Jedoch herrscht Inflation noch auf anderer Ebene: Facebooks Problem heisst „Veracity“: Bilden die akkumulierten Daten die Wirklichkeit ab? Eine Frage des Werts. Forscher entwickelten nun eine Software, die Sarkasmus erkennt. Treffsicherheit 77%. So bleiben soziale Medien im Geschäft. Bei soviel Gedanken-Polizei aber, vergeht das Lachen vielleicht bald.

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