10
Jahre Facebook: Mein Freund das Wurstbrot.
Erschienen im Neuen Deutschland, vom 4.2.2014
Zehn
Jahre Facebook. Betrachtet man die Halbwertzeiten sozialer Netzwerke,
eine lange Zeit. Mitgliederschwund beutelte Friendster, MySpace und
andere einst populäre Communities. Auslöser waren neue Designs, die
Nutzern zu komplex wurden. Auch mangelnde Vernetzung wurde, laut
Studie der ETH Zürich, als Grund für Abwanderungskaskaden genannt.
Starke Vernetzung und Simplifizierung sozialer Vorgänge mögen den
anhaltenden Erfolg von Facebook erklären. Jungen Nutzern gilt es
längst als uncool. 11 Millionen wanderten seit 2011 ab. Dennoch hält
sich das Unternehmen und erhöhte die Werbeeinnahmen 2013 auf stolze
2,6
Milliarden Dollar.
Wer
kein Konto hat, kommt in der Welt von Facebook nicht vor. Es kennt
nur zwei Optionen. Nicht etwa 'Freund oder Feind'. Vielmehr Freund
oder Nicht-Freund. Dabei kein Unterschied zwischen realen Personen,
Konzernen, Parteien, fiktiven Charakteren oder 'Wurstbrot'. Diese
herzhafte Seite hat übrigens 1709 Fans. Solch Indifferenz hat
weitreichende Auswirkungen auf das Sozialleben. Nicht nur, dass man
meist nur mit realen Personen gleichen soziokulturellen Hintergrunds
verknüpft ist. Wo echte Freundschaften, Zufallsbekanntschaften oder
Verbindungen zu Entitäten wie McDonalds, CDU oder 'Wurstbrot' den
gleichen Status haben, ist der Charakter der Freundschaft diskutabel.
Firmen, Parteien und Wurstbrote aber sind vorgerückt, um sich ins
Privatleben einzuschleichen. Mit der Stulle teilt man arglos
Interessen, mit dem Boss politische Statements und die liebe Mama
bekommt die Bilder der Kampftrinkerprüfung zu sehen. Im Gegenzug
gibt’s Infos von den CDU-Wochen bei McDonalds und dem neuen
McWurstbrot-Burger für 1,99 €. Wem's gefällt, der klickt!
Ähnlich, wie sich eine Ökonomie um die schiere Anhäufung von
Kontakten bildet, gewinnen Dinge mit "Likes" an Konjunktur:
Wenig Freunde sind uncool. Dinge, ohne "Likes"
verschwinden. Mittlerweile unterscheiden Forscher zwischen breiter
und tiefer Vernetzung. Diese gibt Hinweise auf den sozio-ökonomischen
Background des Users. Reich: Breit gestreut und oberflächlich. Arm:
eng und vertieft.
Einen
"Dislike"-Button gibt es nicht. Konsens ist Gesetz, sonst
droht Indifferenz. Kostet Zustimmung nur einen Mausklick, drückt
sich Dissenz schwer aus. Formuliert man Unbehagen, verkehrt es sich
umgehend ins Positive. Kritik existiert eben nur, indem sie sich der
Ökonomie der Affirmation unterwirft. Es ist möglich, Facebook
Unangemessenes zu melden. Ziel dieser Funktion ist jedoch nicht,
mangelndem Wohlwollen Ausdruck zu verleihen. Vielmehr ist es
Störungsmeldung. Das Ziel ist, Störfaktoren zu eliminieren und den
Feed so zu optimieren, dass es gefällt. Dass sich in dieser schönen,
neuen Welt dennoch Zwist und Zank in Form von Textbeiträgen
niederschlägt, scheint eine Anomie des Systems Facebook. Mit einem
"Dislike"-Button wäre die Entstehung von Shit-Storms
weniger wahrscheinlich. Wer sich aber antut, die Textbeiträge von
Entrüstungsstürmen zu lesen, muss erkennen, dass Meinungen sind,
wie die Löcher, aus denen Fäkal-Stürme kommen: Jeder hat eins.
Inflation
von Meinung ist das Problem. Würden diese als "Dislike"
zusammengefasst, entfaltete sich Kritik numerisch: "CDU: 76.622
Personen gefällt das, 12 nicht." Differenzierte Meinungen gehen
im Shit-Storm eh unter. Die Ökonomisierung des Sozialen ist in
Facebook angelegt. Sie schreitet voran, je mehr Buttons soziale
Funktionen übernehmen. Die Versuchung, Meinungen umstandslos zu
automatisieren, ist groß. Doch wer beherrscht die delegierte
Meinung?
Über
die politische Wirksamkeit von Anliegen auf Facebook ist geredet
worden. Der arabische Frühling beflügelte die Phantasien. Doch
gerät bei Partizipation per Mausklick einerseits Demokratie zur
Apathie. Andererseits bedienen sich undemokratische Kräfte der
Netzdemokratie. Nicht nur arabische Staaten und Nazis nutzen das Netz
zur Ortung von politischen Feinden. Demokratie hat Facebook bei sich
selbst indes weitgehend abgeschafft. Der halbherzige Versuch,
Mitbestimmung zu verankern, wurde eingestellt. Wie es heißt,
aufgrund mangelnder Beteiligung.
Der
NSA Skandal hat viele für den Schutz der Privatsphäre
sensibilisiert. Oft jedoch ist nicht bewusst, in welcher Weise
persönliche Daten verwertet werden. Facebook fungiert als
Meta-Datenbank für Kunden. Die Datenakkumulation ist enorm und
lukrativ. Einer Generation, die sich an Volkszählungsboykott kaum
noch erinnern kann, werden Intimitäten entlockt, deren Offenlegung
die Menschen einst auf die Barrikaden getrieben hat. Der
Selbstdarstellungsdrang einer individualistischen Gesellschaft
verhilft Facebook zu diesen Daten. Was Dritte sehen, darüber weiß
man wenig.
Die
schwindende Popularität des lebendigen Adressbuchs liegt auch im
gesunkenen Vertrauen. Jedoch herrscht Inflation noch auf anderer
Ebene: Facebooks Problem heisst „Veracity“: Bilden die
akkumulierten Daten die Wirklichkeit ab? Eine Frage des Werts.
Forscher entwickelten nun eine Software, die Sarkasmus erkennt.
Treffsicherheit 77%. So bleiben soziale Medien im Geschäft. Bei
soviel Gedanken-Polizei aber, vergeht das Lachen vielleicht bald.
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