Jonathan Meese:
Heilkunst vor Gericht
Wegen Zeigens des Hitlergrußes steht Künstler in Kassel vor Gericht
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Wegen Zeigens des Hitlergrußes steht Künstler Jonathan Meese in Kassel
vor Gericht. In Mannheim soll er gar wegen Volksverhetzung verklagt
werden. In seinen Performances fordert er die Diktatur der Kunst und die
Abschaffung der Demokratie. Doch ist er deshalb eine Bedrohung für die
Demokratie?
Künstler haben mit ihrer Kunst an politischen Vorgängen keinen
unmittelbaren Anteil. Dennoch sind sie Teil der demokratischen
Gesellschaft. Ermächtigt ein Anteilloser sich der Politik, so entsteht
Demokratie, lehrt der französische Philosoph Jacques Rancière. Die
Demokratie gewährt die Freiheit der Kunst und schützt so das Recht auf
Andersartigkeit. In ihr liegt die Chance auf eine politische Kunst.
Seit dem Ende der Avantgarden hat sich die zeitgenössische Kunst immer
stärker normalisiert. Die Achtziger brachten noch das letzte Aufgebot an
Exzentrikern. Heute allerdings dominiert eine angepasste Künstlerschar,
von Vertretern der Kreativindustrie kaum zu unterscheiden. Diese
augenfällige Angepasstheit spiegelt einen veränderten Habitus, der
keinerlei Außenseiterrolle mehr reklamiert. Der neue Künstlertypus hütet
sich davor, potenzielle Geschäftspartner zu brüskieren oder sich
politisch zu kompromittieren. Negiert die Kunst dergestalt ihren
Antagonismus, verspielt sie ihr politisches Potenzial. Die Skandälchen
des Kunstbetriebs sind heute meist geplant und begrenzen sich auf die
dafür vorgesehenen Spielwiesen. Der Künstler als Bürgerschreck ist out.
Die domestizierte Kunst entfaltet so wenig widerständiges Potenzial, wie
die Konsensgesellschaft den Hauch der Demokratischen versprüht. Dissens
aber gehöre, so Rancière, zum Wesen der Demokratie.
Vermeintliche Hüter der Demokratie bringen jetzt einen Künstler wegen
angeblicher Verfassungsfeindlichkeit vor Gericht. Dabei werden
wesentliche Rahmenbedingungen der Kunst ignoriert: Die Andersartigkeit
und der Aufführungscharakter. Die Anklage negiert den Gegensatz von
Wirklichkeit und Kunst. Das Vorzeigen verfassungsfeindlicher Symbole
wird zu recht bestraft. Der Kontext jedoch ist wichtig. Meese betonte
gegenüber dem »Spiegel«, dass er eben nicht im Restaurant den
ausgestreckten Arm gezeigt hätte, sondern im Rahmen einer Aufführung.
Das ist juristisch anders zu bewerten. Ort und Art sind dabei
entscheidend.
Die Freiheit der Kunst ist ein hohes Gut der Demokratie. Nichts wäre
undemokratischer als eine Demokratie, die es einem Künstler verbietet,
sie zu hinterfragen. Meese fordert lauthals den »Kein-Parteien-Staat«,
das »Ende von Menschenherrschaft« und die »Diktatur der Kunst«,
brüskiert damit den post-demokratischen Mainstream. Dieser reagiert mit
Kriminalisierung der Kunstfreiheit.
Nach den NSU-Morden und allerhand Blamagen geriet unsere Demokratie ob
des aufkommenden Argwohns um eine nunmehr doppelzüngig so genannte
Rechtsstaatlichkeit in Selbstdarstellungsnot. Der Prozess gegen Meese
nimmt sich aber gegen das, was unlängst einem Berliner Kunststudenten
widerfuhr, geradezu niedlich aus. Hier rückte die Polizei gleich mit
einem Sondereinsatzkommando an, um ein von ihm gemaltes Hitler-Porträt
zu konfiszieren. Ob mit solchen Eingriffen in die Kunstfreiheit die
Demokratie gehütet wird, während weiter verfassungsfeindliche
Rechtsparteien zur Bundestagswahl zugelassen werden, darf bezweifelt
werden.
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