Applausverweigerung
...und
was sie bedeutet.
Konzertbericht zu Crave, Blue Stork und De
Mara im West Germany
von
Diego Castro
„Wenn
hier einer klatscht, kommt er dann in den Himmel?“ ätzt ein
älterer Besucher über das versammelte Publikum.
Was
zuerst nur ein hämisches Grinsen hervorbrachte, wächst sich zur
komplexen Frage aus: Eigentlich ziemt es sich nicht, einen
Konzertbericht über das Publikum zu schreiben und die Auftritte der
Bands so stiefmütterlich zu behandeln. Ohne die musikalischen
Darbietungen der Bands „Crave“, „Blue Stork“ und „De Mara“
schmälern zu wollen, die heute abend im West Germany -einem
Kreuzberger Undergroundladen- spielten, so scheint das überaus junge
Publikum doch aus einer gewissen Warte bemerkenswerter als das, was
sich heute Abend -um Neologismen nicht verlegen- „Ethereal Tek“
nennt und eigentlich nur eine Wiederbelebung von Shoegazer, Ethereal-
und Dark Wave ist. Am Kottbusser Tor, in einer entkernten ehemaligen
Arztpraxis im Sozialbaumonster „Zentrum Kreuzberg“ liegt das
„West Germany -Büro für post-postmoderne Kommunikation“, die
Kreuzberger Institution für Kunst und Musik jenseits des
Mainstreams.
Hier
versammelt sich heute Abend eine Szene aus trendbewussten
Nachtschattengewächsen, die einen eigentlich nicht als tot, eher als
untot geltenden Stil wie jede andere Retrokultur zelebrieren und
-Neologismus sei dank!- ganz und gar post-postmodern sein kann.
Wissen, was die Postmoderne ist, scheint heute abend überflüssig.
Der neueste Aufguss des Dark Wave wird sorglos in ein
kontextverschobenes, konsumistischeres Format überführt:
Hipster-Goth. Alte Zeichen tauchen auf und bedeuten doch etwas
anderes. Wie zum Besipel: Applausverweigerung.
Warum
klatschen auf einem New Wave Konzert in den 1980er als uncool galt,
lässt sich primär mit der Ganzheitlichkeit erklären, mit der
Gefühlskälte verstärkt, ja zelebriert wurde. Sie kann vielleicht
auch unmittelbar auf die weltpolitische Starre des nuklearen Patts
zwischen den Großmächten zurückgeführt werden: Der kalte Krieg
hatte seinen Höhepunkt erreicht und die Sinnlichkeit des Rock'n'Roll
hatte sich zu einer ausgedehnten Schockstarre umgestülpt. Nachdem
der Punkrock den postivistischen Gemeinschaftssinn des
Pop-Mainstreams zersprengt hatte, zelebrierte New Wave eine
unterkühlte, ins Innere gerichtete Emotionalität. Diese Rückkehr
ins Innere und die Inszenierung der eigenen Vergänglichkeit
spiegelte den Abbau der Sozialstaaten Europas und die damit
einhergehende neoliberale Individualisierung der Gesellschaft in
einer Welt vor Glasnost, die man in puncto Umweltzerstörung,
Thatcheristischer Kälte und drohendem nuklearen Schlagabtausch als
nicht mehr zu retten einstufte. Was noch nach außen drang, war wenig
und wirkte depressiv oder unterkühlt. Es lag in der Natur der Sache,
bei den Feiern des eigenen Untergangs, in denen sich das „gemeinsam
Einsamsein“ kultivierte, spontane, positive Gefühlsäußerungen
nichts zu suchen hatten: Wer bei einem Dark Wave oder Gothic Konzert
klatschte, war erst mal nicht cool. Wer demonstrativ nicht klatschte
auf eine gewisse Weise schon.
Warum
aber überhaupt klatschen? Der Applaus, die Nahrung des Künstlers,
ist zunächst ein positives Feedback. Er ist Ausdruck des Gefallens
an einer künstlerischen Darbietung. Der Applaus kennt viele Formen,
vom akademischen Tischeklopfen über frenetische Beifallsstürme,
„Bravo!“-Rufe, bis zum so genannten „eisernen Klatschen“ auf
kommunistischen Parteikongressen. Das Ausbleiben von Applaus könnte
mitunter als rüde interpretiert werden. Dabei gehörten spontane
Gefühlsäußerungen nicht immer zum guten Ton.
Im 19.Jahrhundert
vollzog sich -wie der amerikanische Soziologe Richard Sennett
beschreibt- ein Wandel in Bezug auf den öffentlichen Ausdruck. Gut
zu beobachten war er im Theater, wo der lautstarke Ausdruck von
Gefühlsäußerungen zunächst Gang und Gäbe war, dann aber bald als
unfein galt. Je mehr sich die Zurückhaltung als guter Ton
durchsetzte, desto mehr grenzte sie Provinz von Haupstadt,
Unterklasse von Oberklasse ab. Die früher noch in den Stadttheatern,
später nur noch in den weniger klassengetrennten Provinztheatern
übliche Unterbrechung des Spielflusses durch expressive
Emotionsäußerungen, die Applaus und Encores inmitten der
Vorstellung beinhalteten, wurden alsbald zum Ausdruck von
Unkultiviertheit.
Sie führten zu einer
Polarisierung des Publikums, welche bald die Oberklasse ins Theater
und die Unterklasse ins Fussballstadion schicken sollte. Interessant
hieran ist zunächst wie mit der Tabuisierung öffentlicher
Expressivität, eine aktive Teilhabe des Publikums an der
künstlerischen Aufführung verschwand. Entweder verzog sie sich in
eine kontemplative Innerlichkeit, die den Kunstgeniessenden ganz auf
sich selbst und auf sein privates, geheimes Repertoir sinnlichen
Erlebens zurückwarf.
Oder aber sie bedeutete
demjenigen, der über keine so fein ausgebildete Innerlichkeit und
Fähigkeit zur Selbstkontrolle verfügte, am falschen Platz zu sein:
Die öffentliche Gefühlsregung war verpönt. Das Verlassen einer
passiven und maskenhaften Erscheinung somit Eintritt in ein
unfreiwilliges Kultur- und Klassenbekenntnis. Diese Unterscheidung
prägt den Kulturgenuss bis in unsere Tage. Dabei ist aber nicht
nur die Zurückhaltung im bürgerlichen Theater oder in der Oper ein
Ausdruck von sozialer Zugehörigkeit.
Auch überschwängliches
Klatschen, Jubel oder Buh-Rufe in einem Rockkonzert erfüllen
nebenbei die selbe bestätigende Funktion. Übertretungen wie ein
"Yippie-yeah!" aus dem Wilden Westen hätten auf den
Bayreuther Festspielen wohl eher ausschließende Wirkung. Was aber
heute abend als demonstratives Nicht-Klatschen auf dem Konzert der
Neo-Dark-Bands im West Germany registiriert werden konnte, verdrehte
die Sache: Hier ist der demonstrative Nicht-Applaus eine bestätigende
subkulturelle Referenz, gegenüber einer Retrokultur, die
Emotionslosigkeit, sei sie auch eine noch so lahme Geste, einfordert.
Die Schwierigkeit, die
man vielleicht von Facebook kennt, daß man einen Post nur "liken",
nicht aber "disliken" kann stellt sich selbstverständlich
bei Inhalten, die man nur schwerlich undifferenziert mögen und
bestätigen kann. Singt eine Band über die Unmöglichkeit, die Welt
oder aber sich selbst mögen zu können, fällt diese Art von
Bestätigung folglich eher schwer. Wen mir jemand ins Gesicht brüllt:
"Die Welt ist zum Kotzen und ich fühle mich beschissen!",
kann ich ihm kaum entgegnen: "Mir gefällt das!"
Applaudiere ich nicht, so identifiziere ich mich in diesem Fall mit
dem Sänger oder der Band. Vorausgesetzt, ich bezeuge in irgendeiner
Form Interesse, also: Das Konzert beginnt, ich gehe zur Bühne, sehe
und höre zu. Ich nehme eine bestimmte Haltung ein, die mir der
Rhetor zugewiesen hat und die ich gerne einnehme. Im Einnehmen dieser
Position liegt eine mehr oder weniger spielerischen Unterwürfigkeit,
die Logik von Sprecher und Zuhörer zu akzeptieren.
Was aber an diesem
Abend im West Germany stattfand, war auch hiervon weit entfernt.
Vielmehr scheint es, das hier anwesende Publikum hat sich auf ein
Miteinander verständigt, das weitaus unfreundlicher wirken mag, als
bloße Applausverweigerung: Man straft sich durch Nichtbeachtung ab.
Unsichtbarkeit trotz
Anwesenheit, so der Philosoph Axel Honneth, war in der
Kulturgeschichte ein Ausdruck der Geringschätzung. Das Hindurchsehen
des Hausherren durch anwesende Bedienstete war hier ein Ausdruck der
Missachtung, der Klassenhierarchien klarmachte. Was aber, wenn das
Hindurchsehen ein gegenseitiges ist, wie auf dem hier besprochenen
Konzert? Gelten Gesten der gegenseitigen Missachtung, des
gegenseitigen Ignorierens hier als cool? Offensichtlich schon. Aber
warum, vor allem bei hyper-individualistischen Kids wie den
Goth-Hipsters? Was treibt sie dazu, sich weder als Freund, noch als
Feind zu erkennen und sich -ganz unhierarchisch- gegenseitig zu
ignorieren?
Die neue Gothic-Szene,
altgediente Vertreter der Szene würden sie vielleicht nicht so
nennen, die sich heute abend hier versammelte, verteilte sich in
Grüppchen im Raum, der Bühnenraum blieb merkwürdig ungefüllt, die
Bands unbeachtet. Die Rolle des Künstlers bleibt als Dispositiv
bestehen: Die Künstler sind auf der improvisierten Bühne aus
Bierkästen, das Publikum unten. Nur die durch sie zugewiesenen
Rollen werden nicht eingenommen. Aber das ist viel weniger als ein
Aufstand gegen sie.
Die Hipster Goth-Szene,
mit ihren teuren Markenklamotten in Schwarz, referiert also einen
Gestus des Dark Wave -der Unterkühltheit- in größtmöglicher
Ikonenhaftigkeit, ohne jedoch, daß ein tatsächliches Wechsel- und
Verwirrspiel von Expressivität und Anti-Expressivität und
introvertierter Emotionaltät stattfindet. Und das entspricht auch
einem Kritikpunkt, der gegenüber Hipstern immer wieder
hervorgebracht wurde: Sie könnten sich in die Authentizität von
Subkulturen zwar einkaufen, diese Authentizität aber nie erleben.
Sie seien letztlich nichts anderes als eine eigentlich emotionslose
Shopping-Kultur, in diesem Fall eine sinistre.
Sind die Hipster-Kids
im Zeitalter neoliberaler Aktivierungen des Individuums mit den an
sie herangetragenen Aufgaben einfach nur überfordert? Eine zum Zwang
gewordene Selbstverwirklichung, die Abkehr von der Coolness hin zu
einer zur Norm gewordenen öffentlichen Expressivität sind für so
manchen too much. Warum nicht gerade für diejenigen Erdenmenschen,
die in der Phase der Selbsfindung einen schwer zu bewältigen Katalog
von Identifikationsmodellen ins Gesicht geklatscht wird?
Findet sich hier nicht
die Zuspitzung auf das, was Richard Sennett bereits in den 1970er
Jahren Intimitätsterror nannte? Ohne -im Sinne Ödon von Horvath-
ein neues Zeitalter des Fisches herbeireden zu wollen und ganz ohne
es zu loben, frage ich: Lässt sich in der Verquickung von
Todes-Fetischismus, Konsumismus und Autismus nicht symptomatisch die
Schwierigkeit einer ganzen Generation ablesen, einem Regime
ausgeprägter Emotionen zu trotzen, unter das sie die Konsumwelt
unterwirft? Dabei ist in einer Welt hypersexualisierter Duschgels,
terminaler Erfrischungsgetränke und aller Sinne ansprechender
Bausparverträge, paradoxerweise die Lebensverneinung kein Refugium
vor der Käuflichkeit von Begehrlichkeiten. Das Lebensgefühl
käuflicher Weinerlichkeit untersteht der Verteilungsgewalt der
Kulturindustrie genauso, wie alle anderen Formen von Devianz. Aber
verstehen wir es in Gänze: Die Kolonisierung des Körpers durch
Strartegien der Vermarktung und der Selbstvermarktung befördert
diejenigen, die diesen Mechanismen verstärkt ausgesetzt sind sind
oder sich verstärkt diesen aussetzen, nicht in die Passivität einer
Opferrolle. Denn auch diese Rolle verlangt zu ihrer Vervollkommnung
eine Aktivierung. Und diese verkehrt die Ökonomie körperlicher
Verschwendung an das Gegenüber von der Ohnmacht in eine
Verwahrungsgeste die bedeutet: Du hast Dir meine Aufmerksamkeit nicht
verdient. Indem ich Akte der Expressivität an Dich verweigere,
erhöhe ich meinen Marktwert.
"Der Gedanke, daß
expressive Akte der Anerkennung eine Metahandlung darstellen, läßt
sich in einer leicht gewandelten Terminologie auch als Hinweis auf
die Art der bekundeten Motivation verstehen: Der Aktor bringt in der
befürwortenden Geste zum Ausdruck, daß er die höherstufige (...)
Motivation bestitzt, gegenüber dem Adressaten nur solche Impulse
und Motive zu realisieren, die einen wohlwollenden Charakter
besitzen." (Honneth) Dabei gebe "die Tönung der
jeweiligen Geste zumeist schon recht genau zu erkennen, welcher Art
die wohlwollende Handlung sei". (ebd.)
In der Verkehrung der
Hierarchie, in der sich Performer und Publikum hier begegnen, ändert
auch das Wohlwollen die Vorzeichen: Die alles andere als primär
wohlwollende Geste der Applausverweigerung, verweist die auf der
Bühne stehenden Künstler auf ihre Bringschuld gegenüber einem
zahlenden Publikum, daß von der Einlösung der Ware nicht abhängig,
die Darbietung ostentativ verschmäht und sich dadurch
personal-ökonomisch als unerreichbar inszeniert.
Auf einen weiteren
Aspekt macht uns der österreichische Philosoph Robert Pfaller in
seiner „Ästhetik der Interpassivität“ aufmerksam: Die Auflösung
der Rollenverteilung zwischen Künstlern und Publikum, verweist auf
ein undistanziertes, intimes Miteinander, in dem man nur man selbst
sein kann und keine Person spielt. Eine kritische Distanz – zu sich
selbst und zu den Anderen- wird so erschwert. Wer sich also aus der
Hölle einer kritiklosen Welt befreien will, der klatsche bitte in
die Hände!
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