Dienstag, 11. August 2009

Castro spricht: München

Auf vielfachen Wunsch folgt hier der Text den ich am 8.7.2009 im Rahmen der oben genannten Veranstaltung in der Städtischen Kunsthalle Lothringer 13 gelesen habe. Initiiert wurde das Ganze von annette hollywood und Uli Aigner. Weitere Informationen hier: http://igbk.de/dateien/dokumente/de/existenzanalysen.pdf

Meine Damen und Herren,

ich bin hier geladen worden, um über den Versuch der Wiedererlangung von Diskurshoheit in Bezug auf die Kunstproduktion, aber auch in Bezug auf das künstlerische Selbstverständnis zu reden.

Dies geschieht erstens vor dem Hintergrund eines Paradigmenwechsels, der innerhalb der Kunstvermittlung und der institutionell getragenen Diskurse stattgefunden hat. Hier fiel die Kritik im Zuge der zweiten Welle der Institutionskritik dem immer wiederkehrenden Schicksal anheim, von der Institution geschluckt zu werden und so selbst zum Bestandteil des institutionellen Diskurses zu werden.

Dieses würde ja an und für sich kein grosses Problem darstellen, vorausgesetzt, die Institutionen widmeten sich voll der Aufgabe, die Kunst zu repräsentieren und neue künstlerische Diskurse durchzusetzen. Dieses tun sie aber oft nicht bzw. nicht ausschliesslich.

Sie repräsentieren natürlich auch die Diskurse der bürgerlichen Kunstvereinsvorstände, der staatlichen Kulturpolitik mitsamt ihren Ideologien und politischen Agendas, der Sponsoren und des auf diese Weise institutionell verwobenen und abgesicherten Marktes. Wer sich hier auskennt, weiss von den synergetischen Effekten die sich Institution und Privatwirtschaft von der gegenseitigen Befruchtung versprechen.

Institution will hier demnach auch im weitesten Sinne verstanden werden: Das meint Ausstellungsorte, das meint die mediale Kunstkritik, den Markt mit seinen Katalysatoren Galerie und Messe und nicht zuletzt das Künstleratelier mit seiner spezifischen -angepassten oder widerständigen- Produktionsethik. Genauer gesagt, handelt es sich beim Begriff Institution im folgenden um den gesamten kulturökonomischen Komplex mit seiner dominanten, allumspannenden Logik. Meine Existenzanalyse sieht also die Produktion im Schatten ihrer Produktionsbedingungen .

Zweitens soll meine Existenzanalyse vor dem Hintergund stehen, welche Funktion dem Künstler heute gesellschaftlich beikommt. Der Künstler steht heute in einem kulturellen Kontext, der dem ihm wenig Spielraum für eine Rolle als öffentlicher Intellektueller lässt. Es handelt sich um einen Kontext, in dem die Kritik durch ihre institutionelle Endogenisierung zum integralen Bestandteil hegemonialer Dominanz geworden ist und in dem sich angesichts von Massenbohèmisierung und Individualismus, welche Symptome eines alles durchdringenden neuen Geistes des Kapitalismus sind, die soziale Funktion des Künstlers oder künstlerischer Handlungen auflöst. Längst ist die Magie künstlerischer Handlungen auf Ersatzhandlungen des Konsumkapitalismus verschoben und die Aura des Kunstwerks selbst institutionalisiert: Sie wird bis auf weiteres verpachtet an die Institutionen, die es ihrerseits schaffen, das Auratische, das Magische getrennt von der Kunst, durch ihre blosse Existenz hervorzubringen. Die von hier ausgehende Kühnheit, so magische Handlungen an die Massen administrieren zu wollen und die Institutionen, oder noch schlimmer, die hinter ihnen stehenden Sponsoren zu den neuen Magiern unserer Zeit erheben wollen, müssten den Künstler eigentlich Brechreiz verursachen. Hier ist der Künstler meiner Meinung nach dazu aufgefordert, sich gesellschaftlich neu zu verorten, alte Forderungen neu zu stellen und neue Strategien zu finden, die nichts mit der Neuerung, bzw. der Emanzipation der ästhetischen Erscheinungsformen zu tun haben, sondern eher auf die institutionellen und juristischen Rahmenbedingungen für Kunstproduktion und ihre Distributionsformen strategisch reagieren sollten.

Ich möchte zunächst auf die gesellschaftlichen Umstände verweisen, welche die eben angesprochenen Punkte hervorzubringen vermögen:

Europa und die westliche Welt sind ja erst Dank der Verlegung der fordistisch organisierten Produktionsarbeit in Schwellenländer dazu fähig, die Rolle der Arbeit neu zu reflektieren. Die Diskussionen um immaterielle Arbeit, Flexibilisierung der Arbeitsstrukturen, Wissensgesellschaften, intellektuellem Kapital und auch die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen finden nämlich im white-collar Bereich, überspitzt ausgedrückt, in der Chefetage der Welt statt -nämlich bei uns und nicht auf den Phillippinen- wo als Sklaven gehaltene minderjährige Näherinnen uns diese Luxusprobleme erst ermöglichen.

Beflügelt von einer gehörigen Portion an Selbstbetrug und dem sich daraus ergebenden ungeheuren Glück, für sich entfremdetes Arbeiten und Klassenschranken innerhalb einer sozial mobilen Intelligenz scheinbar überwunden zu haben, machen sich entsprechende Mythen der Selbstbestimmung breit. Für den Künstlerstand waren die Probleme entfremdeten Arbeitens lange Zeit nicht relevant, schienen es doch der einzige Berufszweig zu sein, der von der Arbeitsteilung und den damit verbundenen Effekten, nicht betroffen war. Die Trennung des Produzenten von seinen Produktionsmitteln wurde in der Kunst ja lange mit einer intellektuell aufgeladenen handwerklichen Praxis beantwortet, die ein grosses Mass an Autonomie gewährte. Der Künstler vermochte sich durch diese Strategie über das Ständische und über gesellschaftliche Inpermeabilität hinwegzusetzen. Vielleicht hat der Verlust von Diskurshoheit auch etwas mit dem Verschwinden autonomer Arbeitsprozesse in der Kunst zu tun:

Die Trennung von Produzent und Produktionsmitteln und die Arbeitsteilung sind heute Realitäten, die wieder verstärkt auftreten. Ein Beispiel wären Tobias Rehbergers in Thailand gefertigte Skulpturen. Ein anderes, interessanteres, die Kunst eines Tino Seghal, die der Arbeitsteilung einen merkwürdigen, geradezu kuriosen Aspekt verleihen oder -etwas ärgerlicher- die Kunst eines Rirkrit Tiravanija, die ohne die Mitarbeit des Zuschauers gar nicht erst zustande kommen kann und eine Arbeitsteilung hervorbringen, die eher an den kollektiven Zusammenbau eines IKEA-Regals erinnern und auch eine ebenso uninteressante Erfahrung sind. Oder aber bei Christine Hill's Volksboutique, wo der Betrachter durch normatives Konsumentenverhalten angeblich Teil an einem künstlerischem Prozess hat und gleichzeitig einer aus Prekarität geborene Verzweiflungstat zu kulturalisieren hilft. Die partitipative Kunst der relationellen Ästhetik hat Blüten getrieben, über die an anderer Stelle noch zu diskutieren sein wird. Inwiefern die hier zu beobachtende Entfremdung der Arbeit symptomatisch oder ursächlich für den Verlust der Diskurshoheit ist, sei jetzt mal dahingestellt. Für mich waren diese Erfahrungen auf jeden Fall erstmal Grund, "nachzudenken, ob es so weiter gehen kann."

Während Kippenbergers gleich lautende Frage aus dem Lager der Malerei endgültig mit der Transformation des Absatzmarktes für Flachware in einen Wirtschaftsektor, der dem Immobilien-Markt sehr ähnelt beantwortet wurde, geriet die Malerei (mit der ich selbst meine Laufbahn begann) für mich in ein Abseits, in welchem dem Medium keine diskursive Kraft mehr innewohnte. Es blieben die performativen Formen, die sich ihrerseits ab den 1990er Jahren aber in Formen präsentierten, die Dinge versprachen, von denen ich ahnte, dass sie nicht eingelöst werden könnten. Einerseits weil sie keinen gesamtgesellschaftlichen Anspruch erhoben, aus der sich ihre Praxis ableiten liesse. Andererseits weil sie mit einer Pose daherkamen, welche Distanz ausschlossen: Sie erlaubte nur die Affirmation und war gegenüber ihren Rahmenbedingungen vierlerorts ebenso unkritisch.

Meine Zweifel beziehen sich hier auf einen hohlen, sinnentleerten und rekuperativen Emanzipationsgestus, der versprach, Entfremdung, Ausgrenzung und Singularisation zu überwinden, aber letzten Endes nur dabei half, die Institutionen als gesellschaftlichen Ort neu zu generieren und so dem Schrei nach höheren Besucherzahlen und dem Selbstdarstellungsdrang von Sponsoren zu entsprechen.

Darüberhinaus repräsentierte die relationelle Kunst oftmals eine Philosophie, die allzusehr den Firmenphilosophien moderner Dienstleistungsunternehmen entsprach.

In Ignoranz der Tatsache, dass im Post-Fordismus, zwei Arten von Emanzipation in eine Waage geworfen werden, deren Balance die Macht des Kapitals garantiert, übersieht der hier relative Freiheiten geniessende Mensch gerne, die strukturelle Entfremdung, der er ausgesetzt ist. Um diese zu erkennen, bedürfte es aber einer gewissen Distanz, wenn nicht gar des Aussteigertums. Und die ist hier oft nicht möglich. Ich sage das auch im Hinblick auf die Über-Gesellschaftlichkeit oder auch Nicht-Gesellschaftlichkeit der verschwundenen künstlerischen Avantgarden.

Für den Künstler -wie für den Arbeitnehmer- gilt im gleichen Masse: Um einen Blick auf dieses System, dass auf der einen Seite klassische Emanzipationsforderungen der Arbeiterbewegung ein Stück weit einlöst, also angepassten Lohn, Möglichkeit zur Sesshaftigkeit und Familienplanung, gesellschaftliche Stabilität und Sicherung des Arbeitsplatzes usw. und auf der anderen Seite generische Emanzipation ermöglicht, also Individualismus, Überwindung rigider Klassengrenzen, Selbstbestimmung, Flexibilität und verflachte Hierarchie, um dieses System also, dass die beiden genannten Formen von Emanzipation, nur in Wechselwirkung zu einander existieren lässt, sprich: mehr Individualismus - dafür weniger Sicherheit, um dieses System verstehen, oder überhaupt erkennen zu können, muss man sich ausserhalb der Reichweite seiner Logik aufhalten.

Das bedeutet sich ausserhalb der ursprünglich von Bismarck zur Abwendung von Revolutionen auf die Zivilgesellschaft übertragene preussisch-militärischen Meritokratie aufzuhalten, einerseits, und andererseits ausserhalb des konformistischen Individualismus stellen, also einem Individualismus, der nur in einem gewissen Spielrahmen gewährt wird und gedeihen kann, faktuell aber nicht wirklich vorliegt, da die Grenzen für ihn vorbestimmt sind, wie zum Beispiel in der interaktiven Kunst. Diese Form von eingelöster Emanzipation beschreibt einen Zustand, der niemals ohne Preis ist: Der Preis heisst hier: Relative Autonomie als Preis für die Abgabe der Diskurshoheit, relative Selbstbestimmung als Preis für Einbussen im Lohnanspruch oder Flexibilität als Preis für Instabilität usw.

Der Künstlerberuf ist gewissermassen die Verkörperung des bürgerlich-generischen Emanzipationstypus per se:

Das Anliegen bürgerlicher Kunst ist demnach selbstverständlich auch nicht die Befreiung der Arbeiterklasse oder die Beseitigung krasser Ungleichheiten, bzw. die Verteidigung kollektiver Formen von gesellschaftlicher Devianz. Im Gegenteil ist die einem radikalen Individualismus verschriebene Ungleichheit ihre Essenz: Nach der Verabschiedung einer überwiegend revolutionär ausgerichteten Avantgarde erfährt diese Differenz allerdings eine neue Akzentuierung. So wird bestenfalls die individuelle Differenz als Künstler- und Bürgerrecht verteidigt. Der so entstehende differenzkapitalistische Diskurs, findet seinen Platz, wo -gleich unter gleich- die Distinktion zum ökonomischen Zwang wird. Hier, wo die Ästhetik hervortritt und die Politik verschwindet, findet die Kunst des Spätkapialismus ihren Ort. Das Gewicht verlagert sich auf Formen der Selbsterfindung, die in popkulturellen Images kulminieren oder wo die Begegnung selbst zum Pop wird, also die Begegnung nicht inhaltlich aufgeladen ist, sondern von rein ökonomischem Wert ist. Die Begegnung selbst ist der Wert, der durch Differenzierungs- und Distinktionspotenzial an sozialem Kapital gewinnt. Auf ähnliche Weise denken sich auch einflussreiche Schwachköpfe wie Richard Florida, die Generierung kreativen Potenzials, ja gar einer kreativen Klasse. Ich zitiere Uwe Schütte über Benjamin von Stuckrad-Barre's Roman "Soloalbum": "Das System des Differenzkapitalismus hat nicht nur die popkulturell basierten Abgrenzungskonzepte assimiliert, sondern verdrängt und kolonisiert die Sphäre intellektueller Kritik, indem es eine systemimmanente, gleichsam tautologisch verpuffende Form der Dissidenz erzeugt."

Mit anderen Worten liegt hier eine Ökonomisierung der Differenz und der Kritik vor, die es dem Kapitalismus erlaubt, diese zu integrieren und letztlich gestärkt aus diesem Prozess hervor zu gehen. Herbert Marcuse hätte auch das wohl als repressive Toleranz bezeichnet. So finden wir heute in der marktmässig verankerten und institutionell abgesicherten Kunst Positionen vor, die mit einer Kritik aufwarten, die leider an ihren eigenen Distributionsformen krankt.

Die Tatsache, dass diese kritischen Positionen existieren und dass sie rezipiert werden, dass diese überhaupt Gegenstand aktueller künstlerischer oder kultureller Analysen werden können, verdanken sie dem Umstand, dass sie sich der gegenwärtigen kulturökonomischen Logik unterwerfen. Der Voluntarismus, den man hier walten lässt, ist natürlich graduell unterschiedlich und wird durch den wirtschaftlichen Druck, unter dem er entsteht, aufgewogen.

Dass derartige Zugeständnisse jedoch auf jeden Fall konditionierend wirken, brauche ich wohl kaum weiter zu erläutern. Nur so viel sei dazu gesagt, nämlich dass ich diese Anklage nicht auf die sich redlich bemühenden Künstler beziehe. Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie unheimlich schwer es ist, in dem Gleichgewicht von relativer Autonomie und prekärem Lebensumstand, zu existieren. Meine Kritik ist Selbstkritik und gleichzeitig Systemkritik und meine Existenzanalyse versteht sich als Anregung dafür, gegen die Totalität des spätkapitalistischen Geistes anzugehen, der sich -wie schon Marx ahnte- in alle Gesellschaftsbereiche und somit natürlich auch in die Kunst zieht. Wir befinden uns in einem Kunstsystem, das genährt wird von den Existenznöten der meisten von uns Künstlern und belohnt wird mit der oft vorübergehenden Illusion im Kunstsystem seinen Ort zu haben. Ich bin für meinen Teil aber nicht mehr bereit, auf die Einlösung dieses Versprechens zu warten. Dazu aber später mehr.

Es sind freilich aber nicht nur die existentiellen Gefahren und Prekaritäten, welche bewirken, dass die Kunst immer wieder das Potenzials ihrer eigenen Widerständigkeit beschneidet und sich gewissen Normen unterwirft, die die Sichtbarkeit der eigenen Kunst im Meer der künstlerischen Positionen ermöglichen sollen. Der Wille sich den normativen Kräften des Kunstmarktes und diskursmässigen Standards zu unterwerfen, resultiert auch aus dem "Versprechen" des Kapitalismus. Er verspricht in seiner aktuellen Ausformung, dem Neoliberalismus, Chancengleichheit, Partizipation und Demokratisierung, verkauft mit der Sprache des Sozialisten, des Individualisten, des Utopisten oder des Anarchisten, ein fragwürdiges System individueller Freiheiten und sozialer Utopien.

Dafür werden strukturelle Ungleichheiten in Kauf genommen. Nur mal als Beispiel: Sie werden tausende künstlerische Positionen finden, die entweder Ungleichheiten auf den grossen Anderen verschieben, also die Kritik an Ungleichheit in die dritte Welt outsourcen oder aber im Bereich der political correctness und der Genderfrage ansiedeln. Ich will diese Standpunkte nicht kritisieren, denn sie behandeln sehr wichtige Themenbereiche. Ich benutze sie lediglich, um auf den Missstand hinzuweisen, dass sie vergleichweise wenige Künstler finden werden, die die Klassenfrage stellen. Ich könnte jetzt tun und zum Beispiel mal fragen, ob sich ein Arbeiter unter uns befindet...

Selbst wenn in jüngerer Zeit des Thema Prekariat bei einigen prekär lebenden Künstlern an Konjunktur gewonnen hat und diese in kleinen Zirkeln auch einem ähnlich lebenden oder akademischen Publikum präsentiert werden, so kann ich mich nicht entsinnen, in letzter Zeit eine institutionelle Ausstellung zum Thema gesehen zu haben. Ich kann mir ehrlich gesagt auch nicht vorstellen, dass Sponsoren, Ministerien und Vorstände daran ein reges Interesse hätten, ausser vielleicht es käme etwas dabei heraus, à la Holm Friebe & Sascha Lobo mit ihrer Theorie der digitalen Bohème, wo Prekariat zur Selbstbestimmung umgedeutet wird.

Auf den zweiten Blick macht der Widerspruch der sich aus dem Verhältnis von Zwang und Versprechen also durchaus Sinn: Zunächst erscheint der Mythos einer enthierarchisierten und demokratisierten Kultur, welche sich angeblich durch Zugänglichkeit und Partizipativität auszeichnet, der Existenz realer struktureller Ungleichheiten zu widersprechen. Als Beispiel sei hier nur das Bildungsniveau als Indikator stratifikatorischer Rigidität genannt, die Adorno’s und Horkheimer’s These, dass die Kulturindustrie ihre Konsumenten immerwährend um das betrüge, was sie immerwährend verspreche, zu bestätigen scheint. Ebenso verhält es sich in diesem Zusammenhang mit der Gewährung relativer Freiheiten. Die Auflösung rigid-konservativer Formstrenge beinhaltet ja nicht zwingend die Aufhebung konservativer Inhalte oder gar die Auflösung der institutionellen Repression. Die hier stattfindende repressive Entsublimisierung dient mehr denn je dem Projekt ökonomischer und institutioneller Steuerung und Kontrolle.

Das immer wiederholte und immer wieder gebrochene Versprechen der neoliberalen «Kulturrevolution» wirkt natürlich systembestärkend: Die Ungleichheit wird scheinbar bekämpft, Entfaltungsmöglichkeiten angeblich aber glaubwürdig simuliert. Das System kann so nicht mehr der Ungerechtigkeit bezichtigt werden, es wird unangreifbar. Der ungleich Behandelte ist somit der sozial-darwinistischen Selektion ausgeliefert.

Die aus dem inneren Kreis der Frankfurter Schule stammende Analyse der Kulturindustrie als Formation eines dem Fordismus in seiner Entwicklung hinterherhinkenden Produktionsbereichs, der lediglich danach trachten würde, die angeblich fortgeschrittenen Produktionsweisen Taylors und Fords zu reproduzieren, dieser Analyse entgegnet eine andere Sichtweise (die post-operaistische Sichtweise), dass die Kulturindustrie im Gegenteil die neuere, post-fordistische Produktionsweise ideell, strukturell und praktisch antizipiert. Zentral für diese mittlerweile weit verbreitete Produktionsweise seien informelle Strukturen in zeitlichen, räumlichen und hierarchischen Abgrenzungen, die wir vorhin als „relative Freiheiten“ angesprochen haben. Diese setzen sich zusammen aus einer Offenheit für Improvisationen bzw. unvorhergesehene Effekte, sowie der Flexibilisierung traditioneller Arbeitsteilung. Beispiel: verflachte Hierarchien als strukturelle Massnahme vorgeblicher Selbstbestimmung. Kritik innerhalb dieser Strukturen wird keinesfalls mit Repressalien geahndet, sondern ist konsekutiv ein konstruktiver Bestandteil eines auf ständige Erneuerung zielenden, zukunftsorientierten Produktionsapparats. Hieraus ergibt sich auch die Attraktivität des Künslerberufs und seiner individualistisch-chaotischen Produktionsweisen für die Vertreter der Wirtschaft. Ich verweise nur mal auf das art, science & business-Stipendium im Stuttgarter Schloss Solitude.

Die Rolle der kritischen Kunst ist in dieser Relation indes zwiespältig. Wird sie toleriert, so könnte man mit Adorno und Horkheimer vermuten: „Was widersteht, darf überleben nur, indem es sich eingliedert. Einmal in seiner Differenz von der Kulturindustrie registriert, gehört es schon dazu wie Bodenreformer zum Kapitalismus.“ Diesem Dilemma ist die kritische Kunst ja, solange sie sich im institutionellen Rahmen bewegt, sowieso immer ausgesetzt.

Das Resultat ist, wie vorhin schon angesprochen, eine Kunst, die aufgrund ihrer Konzessionen gar keine andere Wahl hat, als sich einem schwachen, aus der Pragmatik und nicht aus der Ideologie abgeleiteten Kunstbegriff (siehe Diederich Diederichsen: Kunst und Nichtkunst, Eigenblutdoping, 2008) zu verschreiben, was auch der Erwartungshaltung des spezifischen Publikums entgegen zu kommen scheint: Wo früher dem reaktionären bürgerlichem Kunstdiskurs die Option blieb, sich vom Totalitätsanspruch anti-bourgeoiser Avantgarde-Kunst durch Denunziation der selben als Nicht-Kunst von den immanenten Forderungen nach Veränderung der Gesellschaft oder des Lebens zu distanzieren, so bleibt heute der selben reaktionären Kunstkritik die Option, sich gegenüber solchen Forderungen, dergestalt zu distanzieren, dass sie diese als "nicht mehr zeitgemäss" denunziert.

Basierend auf einer technokratischen Gesellschaftskonzeption, die technischen Fortschritt bejaht, jedoch sozial stagniert, gelingt es durch die besagte Argumentationstechnik, den modernen Antagonismus von Progression und Reaktion umzustülpen. Es geht dabei also um die Positionierung dessen, was fortschrittlich ist und was nicht. Die gesamte Konzeption der post-avantgarde Kunst (meint eine Kunst, die den Avantgardegedanken kategorisch ablehnt) basiert auf dieser Inversion. Das Aufgeben eines starken Kunstbegriffs, zugunsten einer pragmatisch orientierten, nicht-avantgardistischen und inklusionistischen Kunstpraxis, welche die spätkapitalistischen Momente von gesellschaftlicher Entspannung und technologischer Erneuerung affirmiert, steht im Schatten dieses Paradigmenwechsels. Hier entstehen, auch durch mangelndes Bewusstsein, Kunstdiskurse, die davon ausgehen, ein hohes Mass an Emanzipation sei bereits erreicht und innerhalb solcher gesellschaftlicher Sublimation gelte es nur noch, diese zu vernetzen. Die Utopie sei durch die Vernetzung schlechthin verkörpert. Ganz konkret beziehe ich das -schon wieder!- auf die intra-institutionelle partizipative Kunst der letzten 15 Jahre.

Ich stehe vor Ihnen als jemand, der zusammen mit einigen Kollegen auf die hier relativ ausführlich beschriebenen Zustände mit einer extrem simplen Strategie reagiert:

1. Dem Ausstieg aus jeglichen Zusammenhängen mit der Privatwirtschaft.

2. Der analogen Umsetzung digitaler Copyrights und Distributionsstrategien und somit die Subversion marktmässiger Interessen und Einschreibungen. Ich lese nun zum Abschluss einen Auszug aus einem Manifest der Immaterialistischen Internationale vor:

Der Immaterialismus wurde 2007 ins Leben gerufen. Angesichts der zunehmenden Prekarisierung der künstlerischen Produktion und des zunehmenden Verlustes an Diskurshoheit seitens der Künstler, in einer Realität der Produktion, die geprägt ist von Singularisation, Destabilisation, finanziellem Druck und einer allgemeinen Ökonomisierung des Kunstdiskurses an sich, angesichts eines hieraus resultierenden Volontarismus seitens der Künstler, die sich in Ihrer Rolle als Handlanger internationaler Geldwäscher, Fiskalverbrecher und Arschlöcher vom Dienst gefallen, Kunst aus den falschen Gründen, mit den falschen Mitteln an den falschen Orten betreiben, die künstlerische Kritik an Kuratoren und trendbewusste Schmierfinken monopolistischer und unerträglicher Kunst-Lifestyle-Blätter abgeben, sich in die Rolle als Illustratoren eines grössenwahnsinnigen und hochtrabenden Curator's Digest und allgemeinen Blendertums bestens einleben und die durch das Weiterdelegieren der eigenen Produktion, einem ausgewähltem Publikum zur Zelebrierung prekärer Arbeitsverhältnisse in Form des Spiels verhelfen, ANGESICHTS ALL DESSEN knallt die Faust der Immaterialisten auf den Tisch. Sie hat keine Blumen mitgebracht, denn für die Bösen, da gibt es kein Blumen. Da kommt die blanke Faust.

Die Immaterialistische Internationale sagt: Hört auf zu malen (und tut es auch wirklich)!

Vergesst Eure Copyrights und tretet Eure Karrieren in die Tonne!

Stellt keine Originale aus und gebt jedem, der will, die Gelegenheit eine Kopie zu besitzen, ohne dafür zu bezahlen.

Jeder kann eine immaterialistische Kunstsammlung haben. Alle Bilder sind frei!

Wie Kirche und Staat soll Kunst und Geld getrennt werden. Wenn das bedeutet, sich seine 10 x 10m grossen Leinwandbeklecksungen oder überkandidelten Überwältigungsinstallationen nicht mehr leisten zu können, dann sagt die Immaterialistische Internationale dazu: Drauf geschissen!

Die Welt sieht ohne Euren hässlichen und belanglosen, aus purer Raffgier künstlich aufgeblähten Schrott auch nicht schlechter aus!

Wenn Du als Künstler was zu sagen hast, dann sag es. Wenn Du es nur in einem schicken White Cube in intimidierender Grösse sagen kannst, dann ist das, was Du in Hochglanz sagst, wahrscheinlich selbstverliebter und heuchlerischer Müll.

Das einzig ehrliche was Du dadurch ausdrückst, ist das Du eine Produktionslogik und ein ökonomisches System vertrittst und verherrlichst, das wir Immaterialisten als Schweine-Kunstsystem bezeichnen und Du bist deshalb entweder Unbewusst, Ignorant oder ECHT ARM DRAN! Vielleicht bist Du aber auch nur eine echt miese Type, die freiwillig bei diesem Scheissspiel mitmacht...

Werde Immaterialist, bevor es zu spät ist!

Verabschiede Dich von Deinen Selbstverwirklichertum und verwirkliche die Kunst!

Es folgen die zehn Punkte immaterialistischer Arbeit:

1. Keine Ausstellungen in kommerziellen Galerien.

2.
Keine Ausstellungen in Institutionen, die von transnationalen Korporationen oder ähnlich dubiosen Firmen gesponsert werden.

3.
Originale Kunstwerke dürfen weder ausgestellt, verkauft oder sonstwie in Umlauf gebracht werden. Nur Kopien sind erlaubt.

4.
Es gelten keine Urheberrechte im herkömmlichen Sinne. Die gesetzliche Grundlage immaterialistischer Kunst ist das Creative Commons.

5.
Verkauf ist auch zum Selbstkostenpreis nicht erlaubt.

6.
Die Arbeit muss unter der selben Lizenz weitergegeben werden.

7.
Dienstleistungen und Aufführungen sind kostenlos. (Kein Eintritt)

8. Produktionsetats sind nur dann zulässig, wenn sie nicht an Bedingungen gebunden sind und einwandfreier Herkunft sind.

9.
Schmutziges Geld wird nicht angefasst.

10.N
ur die Sache zählt. Das Ego ist unwichtig.

11.
Die Produktionsmittel und der Arbeitsaufwand müssen mit der Distributionsform im Einklang sein. Kann etwas genauso gut und effizient auf einem Stück Papier gesagt werden wie auf einer Leinwand, muss die Wahl auf das Papier fallen. Grosse Formate sind generell ausgeschlossen.

12. Die einfachste Lösung ist die Beste.



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