Montag, 22. Juli 2013

Von Diego Castro
22.07.2013, erchienen im Neuen Deutschland

Jonathan Meese: 

Heilkunst vor Gericht

Wegen Zeigens des Hitlergrußes steht Künstler in Kassel vor Gericht

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Wegen Zeigens des Hitlergrußes steht Künstler Jonathan Meese in Kassel vor Gericht. In Mannheim soll er gar wegen Volksverhetzung verklagt werden. In seinen Performances fordert er die Diktatur der Kunst und die Abschaffung der Demokratie. Doch ist er deshalb eine Bedrohung für die Demokratie?
Künstler haben mit ihrer Kunst an politischen Vorgängen keinen unmittelbaren Anteil. Dennoch sind sie Teil der demokratischen Gesellschaft. Ermächtigt ein Anteilloser sich der Politik, so entsteht Demokratie, lehrt der französische Philosoph Jacques Rancière. Die Demokratie gewährt die Freiheit der Kunst und schützt so das Recht auf Andersartigkeit. In ihr liegt die Chance auf eine politische Kunst.
Seit dem Ende der Avantgarden hat sich die zeitgenössische Kunst immer stärker normalisiert. Die Achtziger brachten noch das letzte Aufgebot an Exzentrikern. Heute allerdings dominiert eine angepasste Künstlerschar, von Vertretern der Kreativindustrie kaum zu unterscheiden. Diese augenfällige Angepasstheit spiegelt einen veränderten Habitus, der keinerlei Außenseiterrolle mehr reklamiert. Der neue Künstlertypus hütet sich davor, potenzielle Geschäftspartner zu brüskieren oder sich politisch zu kompromittieren. Negiert die Kunst dergestalt ihren Antagonismus, verspielt sie ihr politisches Potenzial. Die Skandälchen des Kunstbetriebs sind heute meist geplant und begrenzen sich auf die dafür vorgesehenen Spielwiesen. Der Künstler als Bürgerschreck ist out. Die domestizierte Kunst entfaltet so wenig widerständiges Potenzial, wie die Konsensgesellschaft den Hauch der Demokratischen versprüht. Dissens aber gehöre, so Rancière, zum Wesen der Demokratie.
Vermeintliche Hüter der Demokratie bringen jetzt einen Künstler wegen angeblicher Verfassungsfeindlichkeit vor Gericht. Dabei werden wesentliche Rahmenbedingungen der Kunst ignoriert: Die Andersartigkeit und der Aufführungscharakter. Die Anklage negiert den Gegensatz von Wirklichkeit und Kunst. Das Vorzeigen verfassungsfeindlicher Symbole wird zu recht bestraft. Der Kontext jedoch ist wichtig. Meese betonte gegenüber dem »Spiegel«, dass er eben nicht im Restaurant den ausgestreckten Arm gezeigt hätte, sondern im Rahmen einer Aufführung. Das ist juristisch anders zu bewerten. Ort und Art sind dabei entscheidend.
Die Freiheit der Kunst ist ein hohes Gut der Demokratie. Nichts wäre undemokratischer als eine Demokratie, die es einem Künstler verbietet, sie zu hinterfragen. Meese fordert lauthals den »Kein-Parteien-Staat«, das »Ende von Menschenherrschaft« und die »Diktatur der Kunst«, brüskiert damit den post-demokratischen Mainstream. Dieser reagiert mit Kriminalisierung der Kunstfreiheit.
Nach den NSU-Morden und allerhand Blamagen geriet unsere Demokratie ob des aufkommenden Argwohns um eine nunmehr doppelzüngig so genannte Rechtsstaatlichkeit in Selbstdarstellungsnot. Der Prozess gegen Meese nimmt sich aber gegen das, was unlängst einem Berliner Kunststudenten widerfuhr, geradezu niedlich aus. Hier rückte die Polizei gleich mit einem Sondereinsatzkommando an, um ein von ihm gemaltes Hitler-Porträt zu konfiszieren. Ob mit solchen Eingriffen in die Kunstfreiheit die Demokratie gehütet wird, während weiter verfassungsfeindliche Rechtsparteien zur Bundestagswahl zugelassen werden, darf bezweifelt werden.

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