Historische
Rekonstruktion statt Denkmalschutz?
Von
Diego Castro
„What
looks good today may not look good tomorrow“. Dieser Satz prangte
wie nagender Selbstzweifel an der Beständigkeit des eigenen Werks
auf einem Bild des früh verstorbenen Malers Michel Majerus (1967
– 2002). War der künstlerische Erfolg nur dem
kontemporären Massengeschmack geschuldet? Was wir heute als
ästhetisch ansprechend Empfinden, könnte schon morgen ein Dorn im
Auge sein. Doch jener wandlungsfähige Geschmack, der die derzeit
angesagten Maler schon morgen in die Depots verbannt und in den
Innenstädten mit der Abrissbirne jähe Gewalt an der Architektur
kaum vergangener Dekaden verübt, könnte schon morgen wieder passé
sein. Das Schicksal der Architektur ist von dem der Bildkunst aber
verschieden. Kunst, die nicht mehr gefällt würden wir kaum
zerstören. Bilderstürme haben zurecht den Ruch des Barbarischen. So
lagern wir unliebsame Kunst von Gestern lieber in Depots. Bauwerken
aber, die nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen, droht der Abriss .
Altstadt
kracht, Bargeld lacht. Um Investoren anzulocken, sind unternehmerisch
agierende Städte bereit, für schnelles Geld unwiederbringlichen
Schaden am urbanen architektonischen Erbe anzurichten. Man kann
angesichts desaströser Großprojekte der konkurrierenden Metropolen
wissen, warum die Städte stetig auf der Suche nach neuem Geld sind,
ohne Verständnis dafür aufzubringen. Dass zu viel Wettbewerb den
Städten langfristig schadet, kann man an defizitären
Großbauvorhaben, an Gentrifizierung und urbaner Normalisierung
erkennen. In überteuerten Innenstädten verschwinden
Alteingesessene. Die immer gleichen Fußgängerzonen und
Einkaufszentren erwachsen. Neben brutalistischer
Landmarken-Architektur hat sich ein Teil der Stadtentwickler dem
nostalgischen Bauen verschrieben. So oder so hofft man, durch
artifizielle Alleinstellungsmerkmale im City-Ranking zu punkten.
Dabei verschwindet Altes, damit vermeintlich Älteres neu entstehen
kann. Interessanterweise sind es gerade die zur Betonung
einzigartigen Flairs auferstandenen „historischen“ Altstädte,
die mit ihren Attrappen zu dem befürchteten Einerlei beitragen. Ihr
im Baustoff ausgetragener Kampf gegen die Geschichtslosigkeit
entspricht in haarsträubender Weise den Anrufungen altdeutscher
Blockrandbebauung, römischer Foren, griechischer Tempel und
sizilianischer Landszenen, die uns längst in Einkaufszentren quälen.
Es
entstehen ahistorische Stadträume, die mit künstlich ersonnener
Geschichtlichkeit aufgefüllt werden. Das Argument, den Menschen in
Zeiten der Globalisierung mit romantischem Fachwerk ein Gefühl der
Geborgenheit zu geben, erscheint dürftig, angesichts des
Verschwindens von sozialen Stadtgefügen, die Menschen ihr Leben lang
geprägt haben. Letzte sind mehr Teil der eigenen Geschichte als der
Zombie-Stuck aus der Retorte. Die Leitbilder der unkritischen
Rekonstruktion scheinen offensichtlicher dem Citymarketing zu
entspringen, als einem veritablen Interesse für Tradition. So fallen
interessante bauliche Ensembles der architektonischen Moderne immer
wieder dem finanziellen Interesse zum Opfer. Rekonstruktionen sind
Wirtschaftsfaktor. Die Tatsache, dass diese inkorrekten
Interpretationen von Barock bis Biedermeier Geschichte lediglich
symbolisieren, stört dabei wohl wenig. Simulakrum nennt man den
Ersatz, der das Original auslöscht. Der Frankfurter Römer oder die
sogenannte Altstadt von Hannover sind nicht nur notorische Beispiele
für mangelnde Akkuratesse. Bislang werden sie nicht nur von
Touristen, sondern auch von Einheimischen als Originale angenommen.
Solch historisierende Bauten bleiben aber letztlich referenzlos.
Ob
es im Fachwerk nach Tiefgarage mufft oder der hastig verputzte Barock
schon bröckelt; der Baukunst der alten Meister scheint kein modernes
Bauunternehmen gewachsen. Das moderne Bauen indes hat seine eigenen
Techniken. Werden diese meisterlich ausgeführt, tun wir uns oft
schwer, dies zu erkennen. Die landläufige Meinung von der
Hässlichkeit der Moderne, kann nur aus einer Unkenntnis kommen, die
zwischen Plattenbau und Corbusierhaus nicht zu unterscheiden vermag.
Mehr aus Ressentiment denn aus klarem Empfinden zieht sie den
Schnörkel der klaren Kante vor. Ungepflegt, nachlässig renoviert
und vom Denkmalschutz im Stich gelassen -bleiben von der Moderne
bald nur einstürzende Neubauten?
Nun
sind die Hamburger City-Hochhäuser vom Abriss bedroht. Trotz
Denkmalschutz empfahl die Finanzbehörde der Hansestadt den Rückbau
und Verkauf. Der Gebäudekomplex befindet sich auf einem Filet-Stück,
das der Hamburger Bau-Senat schon lange versucht, gewinnträchtig zu
verkaufen und den Ausverkauf der städtischen Liegenschaften um die
Speicherstadt weiter voranzutreiben. Das Argument gegen die 1955
errichteten Häuser sei eine angebliche Hässlichkeit, die heute
nicht mehr zeitgemäß sei. Die Frage, ob Hässlichkeit heute nicht
mehr zeitgemäß ist, erspare ich mir zu vertiefen. Werfen wir
stattdessen einen genaueren Blick auf diese Bauten: Die Gebäude
waren die ersten Hamburger Hochhäuser nach Kriegsende. Die
Scheibenhäuser brachen mit dem hanseatischen Blockrand und stellten
somit ein luftiges Novum am Rande der Speicherstadt dar. Erst in den
siebziger Jahren wurden sie in jenes graue Büßergewand aus Eternit
gesteckt, an dem viele, vielleicht zurecht, Anstoß nehmen. Darunter
verbirgt sich die weiß gekachelte Originalfassade aus den 1950er
Jahren. Daher muss es gelten, zwischen dem Original und seiner
Modifikation zu unterscheiden.
Der
Architekt des „City-Hof“, Rudolf Klophaus, war indes gewiss kein
Vertreter der Avantgarde. Je nach Zeitgeschmack vermittelte er stets
zwischen Tradition und Moderne. Diese Strategie war vielleicht
maßgeblich für sein umfangreiches Bauen in drei verschiedenen
politischen Systemen. Zur Zeit der Weimarer Republik bekannt geworden
durch einen hanseatisch verhaltenen Backsteinexpressionismus,
versuchte er sich unter Hitler mit völkischen Elementen und
regionalistischem Couleur. Ab 1948 durfte der forthin als
entnazifiziert geltende Architekt seine Arbeit wieder aufnehmen. Mit
dem „City-Hof“ baute er eine monumentale Verkörperung eines
-sicherheitshalber dem internationalen Stil verpflichteten- neuen
Selbstbewusstseins des westlichen Nachkriegsdeutschland. Diese wenig
bescheidenen Häuser geben, mit einem Hauch von Entenhausen,
Aufschluß über eine Zeitepoche, deren ideologieträchtige Ästhetik
in der Kulturgeschichte bislang wenig vertieft wurde. Daher sind sie
für die fünfziger Jahre baugeschichtlich relevant.
Dass
subjektives Schönheitsempfinden kein Argument für den Denkmalschutz
sein kann, leuchtet ein. Gebäude sollen erhalten bleiben ob ihrer
zeitgeschichtlichen Bedeutung. Doch gerade hier tut man sich oft
schwer. Verschämt verhüllt man moderne Bauten, lässt sie gar
verkommen. Insbesondere in Bezug auf das architektonische Erbe der
DDR haben sich Stadtentwickler und Architekten als besonders
ideologisch und wenig kulturgeschichtlich behutsam erwiesen. Das
Trauerspiel um den Palast der Republik und den Wiederaufbau des
Berliner Stadtschloss ist nur eines von vielen Beispielen. Die beim
Publikum erfolgreichsten Rekonstruktionen werden mitunter der
Denkmalfunktion am wenigsten gerecht. Bunkerarchitekturen entfalten,
auch dank ihrer Klobigkeit, die Fähigkeit zum Denkmal. Die
Zeitepoche, die es repräsentiert, sollte dem Betrachter in der
Gesamtheit von Aufstieg und Niedergang gegenwärtig werden. Ob die
Frauenkirche in Dresden nicht im eingestürzten Zustand mehr
Denkmalcharakter hatte, als in ihrer jetzigen Form als touristische
Altstadtkulisse, darüber kann man streiten. Weder Ästhetik noch
kommerzielle Erwägungen können für den Denkmalschutz
ausschlaggebend sein. Die Vorstellung, dass wir uns künftig nur noch
mit dem Erbe der Geschichte beschäftigen, wenn dieses erquicklich
und den Augen wohlgefällig ist, beschwört eine schöne neue Welt,
in der ich nicht leben möchte. Historische Rekonstruktionen aber
sind Neubauten. Diese rückwärtsgewandte Mode, könnte schon morgen
ein Ärgernis sein. Wer hingegen die Spuren der neueren Geschichte
auslöscht, trägt eventuell die Verantwortung für die lästigen
Rekonstruktionen von morgen.