Donnerstag, 7. August 2014

The Artist is present: Überbelichtet und Unterbezahlt

Bildnis des Künstlers als Arbeitgeber


Exposure sichert das Marina Abramović Institute in neuerlichen Jobangeboten unbezahlten Arbeitskräften als Gegenleistung zu. Statt Geld. Mit diesem mehrdeutigen Wort verspricht die berühmte jugoslawisch-amerikanische Performancekünstlerin ihren zukünftigen Angestellten einen Hauch von Rampenlicht. Exposure bedeutet Exponierung. Bedeutet es nicht auch Preisgegebensein? Für ihren Umgang mit Angestellten ist die Grande Dame der Body-Art immer wieder ins Zielfeld der Kritik geraten. Die wohlhabende Abramović investierte jetzt viel Eigenkapital, teilweise aus millionenschweren Immobiliendeals, in eine Stiftung, die  unlängst mit massiver Praktikantenausbeutung in die Schlagzeilen geriet. In einer Erklärung in den „L.A. Times“ rechtfertigte die Stiftung dies mit  dem Forbildungscharakter des Praktikums. Der New Yorker Kunstanwalt Sergio Muñoz Sarmiento sah angesichts der hohen Anforderungen an die Bewerber hingegen hierin eine Aushebelung des Mindestlohns.


Geld bringt nur Kunst, die gehandelt wird. Nur wenig Kunst gelangt auf den Markt. Im Vergleich zur massiven Produktion in den Ateliers ist dieser Anteil verschwindend klein. Zugang zum Kunstmarkt haben nur wenige. Die große Mehrheit der Künstler liegt mit ihrem Einkommensniveau ganz unten. Nur etwa 5%3 können vom Verkauf von Werken leben. Mit Kunst wird indes viel, manchmal sehr viel Geld verdient. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Künstlereinkommen. Ausstellungshonorare sind bis heute den meisten Institutionen ein Fremdwort. Ohne einen umtriebigen Galeristen bleibt man auf Nebenberufliches angewiesen. Bei der Jobsuche verlassen sich Kunstschaffende auf das, womit sie sich auskennen. So arbeiten viele als Assistenten, Praktikanten und Volontäre, geringfügig Beschäftigte oder Schein-Selbständige im Kunstbetrieb. Die Arbeitgeber sind Museen, Galerien, Kunstvereine und erfolgreiche Kollegen. Die Löhne sind nicht immer gut. Aufbauhelfer und Assistenten erhalten zuweilen sogar Löhne unter 5,-€. Manche arbeiten zeitweise umsonst, in der Hoffnung, etwas vom Glanz der großen Kunst könne auf einen abfärben, man könne bahnbrechendes für den eigenen Durchbruch dazu lernen oder vom Netzwerk profitieren. Exposure eben.

Doch dass man sich durch die Assistententätigkeit bei einem Markt diskreditiert, der lieber naturgeniale Newcomer aufbaut als sich mit frustrierten Zauberlehrlingen zu verdingen, bleibt ein wohl gehütetes Geheimnis. Ebenso ungern spricht man über Gehaltsunterschiede. Was Galeristen und Kuratoren verdienen, ist tabu. Lieber kein Wort über obszön hohe Gehälter wie die 750.000,- Euro, die Kurator Germano Celant für seinen Pavillon auf der Milan Expo 2015 erhielt. Je größer die Öffentlichkeit des Kunst-Events, desto höher der Paycheck. Fünf- bis sechsstellige Honorare sind keine Seltenheit, wie die amerikanische „Artnewspaper“ berichtet. Aber auch am unteren Ende der Skala, schweigt man lieber. Die Ausbeutung junger Kuratoren hat System und wird von vielen hingenommen. Institutionen profitieren von prekären Jobangeboten für junge Akademiker. Ohne Praktikantenausbeutung scheint ohnehin nichts möglich. Ein Doktortitel wird selbst hier gerne noch als Qualifikation verlangt. Als Gehaltsgrundlage gilt er aber nichts. 


Über das Einkommen der umsatzstarken Künstler kann nur spekuliert werden. Von den Höhenflügen eines Gerhard Richter, Tony Cragg oder Neo Rauch erfährt man aus den Auktionsberichten. Doch über krasse Einkommensunterschiede spricht keiner. Selbst wenn Rosemarie Trockel mit ihren multimedialen Arbeiten beweist, dass nicht nur männliche Malerfürsten Spitzenpreise erzielen können; nach wie vor verdienen männliche Künstler mehr als ihre Kolleginnen. Immer noch sind Tafelbilder die bevorzugte Handelsware. 

Immaterielle Kunst, also solche, die nicht in die Kategorie der stofflich soliden Medien fällt, hat es schwerer. Wer Performances macht, hat wenig Möglichkeiten, daran zu verdienen. Nach wie vor werden Künstler für Ausstellungsbeteiligungen entlohnt. Honorare für Performances sind spärlich. Nebenprodukte wie Relikte oder Fotos sind oft der einzige Weg, diese vergängliche Gattung zu versilbern. Ansonsten ist man auf Sponsoren angewiesen. 2011 organisierten Abramović und  Kunst-Magnat Jefferey Deitch -bis letztes Jahr kontroverser Direktor des Museum of Contemporary Art in Los Angeles- ein Fundraising-Event, das es in sich hatte. Um ein Ausstellungsprojekt zu finanzieren, inszenierte man im ein Gala-Diner für potenzielle Fundraiser. Nackte Darstellerinnen mussten sich in erniedrigenden Posen zwischen Knochenhaufen Blicken der in Arztkittel gekleideten Dinierenden aussetzen oder sich dem Risiko aussetzen unter dem Tisch begrabsch zu werden, während ihr Kopf zwischen dem Essen aus Löchern in der Tischplatte lugte. Nach einem Auftritt von Debbie Harry, durfte das Publikum Kuchen, der die naturgetreuen Körper von Abramović und Harry darstellte, verspeisen. Die aufgeschnittenen Kuchen waren ein makabres Bild. Die renommierte Choreographin Yvonne Rainer beklagte in einem mit Douglas Crimp verfassten, wütenden Brief die entwürdigenden Methoden dieser Art von Sponsorensuche. Doch das wirklich Geschmacklose kommt erst: Die Tischplätze kosteten zwischen 25.000,- und 100.000,- US-Dollar. Für die über 15 Stunden dauernde Tortur sollten die ausgebildeten Choreographen aber nur 150,-$ erhalten. Eine empörte Performerin machte in einem offenen Brief darauf aufmerksam.

Für ihre folgende Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art sollte sich an den Arbeitsbedingungen kaum etwas ändern, obwohl die Ausstellung mit 750.000 Besuchern ein lukratives Unternehmen war. 39 Darstellerinnen sollten hierfür teilweise gefährliche Aktionen Abramovićs reinszenieren. Drei Performerinnen verfassten stellvertretend einen Brief, in dem sie die schlechte Bezahlung und fehlenden Versicherungsschutz beklagten. Erst nachdem zwei Performerinnen ohnmächtig wurden, erreichten man eine temporäre Anstellung und somit Unfallversicherung durch das Museum. Die Bezahlung sei trotz Nachbesserung aber so schlecht gewesen, dass auch hier Nebenjobs benötigt wurden. Probezeiten blieben unbezahlt.

Es gibt einen generellen Unterschied zwischen der selbstverantworteten Aussetzung eines Künstlers gegenüber dem Publikum und der Verwendung von Performern. Plötzlich hat man es mit einem Arbeitsverhältnis zu tun -und mit Verantwortung. Die doppelte Ausbeutung der Performer, einerseits durch eine erniedrigende Darstellung für die Augen der Besucher, andererseits durch die schlechten Arbeitsbedingungen, kommen in kuratorischen Werkbespiegelung nicht vor. 

Der umstrittene spanische Künstler Santiago Sierra thematisierte das diffizile Verhältnis von Spektakel und prekärer, menschenunwürdiger Arbeit. Immer wieder führte er Arbeiter, illegale Einwanderer, Prostituierte oder Asylbewerber in unwürdigen Situationen vor und bezahlte ihnen dafür die örtlichen Mindestlöhne. So ließ er Aslybewerber stundenlang in Pappkartons sitzen, ließ Schwarzarbeiter Betonblocks im Ausstellungsraum sinnlos herumschieben oder afrikanische Illegale an Südspaniens Stränden Löcher graben. Der Unterschied zwischen Abramović und Sierra: Der Spanier thematisiert die Situation der Akteure. Er instrumenalisiert sie zwar für seine Kunst, lässt aber so sichtbar werden, was in Kunstinstitutionen oft verborgen bleibt: Das Verhältnis vom Luxus des Kunstgenuss zur Realität von Arbeit, sozialer und ökonomischer Grenzziehung. »Meine Arbeit“, so Sierra „ergreift Partei für das vom Kapitalismus zerstörte Leben. Und Kapitalismus ist für mich die ökonomische Spielart des Sadismus.« Der Sadismus auf den Sierra anspielt, ist aber nicht nur jener, der unbekannte Schicksale in fernen Ländern betrifft, die wir als Bilder nur betrachten und mit unserem Eintrittsgeld ohnehin nicht erreichen. Die physische Präsenz dieser Menschen im Ausstellungsraum bringt bei Sierra den Sadismus des Zuschauens in akzentuierter Weise hervor. Auch Abramović, die in ihren Arbeiten stets eifrig die Moral der Zuschauer anruft, interessiert diese Grausamkeit mit einer eigentümlichen Obsession für die sadistische Versuchsanordnung. Doch die ökonomische Ausbeutung der Kunst-Arbeiterinnen scheint bei ihr keine Rolle zu spielen. Die Subjekt gewordenen Performerinnen mussten sich durch Protestbriefe Exposure verschaffen. 


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