Montag, 15. Juli 2013

Künstler, Kneipen und Klischees

von Diego Castro
(gekürzt erschienen in der Jungen Welt vom 10.7.2013 unter dem Titel "Falsches Feindbild"
Wer sich als Künstler in linken Szeneläden rumtreibt, kann durch das leichtfertige Bekenntnis zum
eigenen Berufsstand unversehens Unmut auf sich ziehen. Kunstschaffende, so hört man zwischen zwei
Bier, seien Schuld an der Gentrifizierung im Viertel. Wegen Ihnen kämen die Yuppies her und so hätten
sie am Ausverkauf des Viertels Schuld. Doch ist das Bild der Aufwertung und Teuerung durch
vermeintliche Künstler-Snobs eigentlich richtig ? Ist die Kunst in dem Maße für negative
Stadtteilentwicklung verantwortlich zu machen? Oder könnte es vielleicht sein, dass das Ressentiment
gegen die Kunst auf Missverständnissen beruht, die mehr mit städtischen Imagekampagnen als mit
dem Künstlerdasein zu tun haben ?
Richard Florida, selbsternannter Apologet kreativer Stadtentwicklung, verfasste mit « The Rise of the
Creative Class » ein Manifest der neoliberalen Stadtpolitik. Jeder Bürgermeister scheint das Machwerk
des amerikanischen Ökonomen und Hobby-Soziologen im Bücherregal stehen zu haben. Von hier
stammt die Idee, Kreative zu Motoren der Stadtentwicklung zu machen. Durch die Ansiedlung von
Künstlern, Schwulen, Technologen und Rockstars werde investorenfreundliches Klima geschaffen. Im
Gegenzug müssten harsche soziale Konsequenzen in Kauf genommen werden. So ähnlich könnte man
Floridas Theorie auf den Punkt bringen. Dass die vorgegebenen Schablonen stadtentwicklerisch und
sozialpolitisch nur unzulänglich anwendbar sind, scheint aber kaum das Kernproblem an Floridas
Thesen zu sein. Auch die Tatsache nicht, dass vieles was er schreibt, mehr Wunschdenken zu
entsprechen scheint, als dass es wissenschaftlichen Standards genügt. Wie meistens bei Management-
Literatur handelt es sich um kaum mehr als Lektüre zur Erbauung. Das Problem ist : Zu viele haben es
gelesen ! So halten sich Gentrifizierer und Gentrifizierungsgegner gleichermaßen an Floridas urbane
Fantasien, das kolportierte Künstlerbild inklusive. Wenn es um das Image geht, verweist Berlin gerne
auf seine Kunstszene und auf einen angeblich florierenden Kunstmarkt. Dabei wird einerseits die
Tragfähigkeit dieses Marktes überschätzt. Andererseits wird hier mit einem Künstlerbild operiert, das
vollkommen falsch ist, wie Statistiken belegen. Willfährig wird hier freie Kunst mit Kreativindustrie,
kulturelle Attraktivität mit mit exklusivem Lifestyle verwechselt. Natürlich gibt es sie, die Champagner-
Trinker. Die meisten Künstlerinnen und Künstler sind aber eher Wassertrinker. Seit den Tagen der
Bohème hat sich daran wenig geändert. Vielleicht bis auf die Tatsache, dass es heutzutage mehr
Künstler denn je gibt. Doch wie geht es der Kunst wirklich ?
Eine Erhebung des Berliner Instituts für Strategieentwicklung (IFSE) zeigt, dass nur ein sehr geringer
Prozentsatz vom Berliner Kunstmarkt profitiert. Die überwiegende Mehrzahl der Kunstarbeiterinnen
und -arbeiter lebt prekär. Zu einem großen Teil sind sie auf Nebenjobs oder Unterstützung angewiesen.
Zwar finden 60% der Verkäufe im Bereich Malerei statt, aber nur 25% der Produktion bedient sich
dieses Mediums. 48,7% der Künstler zeigen Werke in nicht-kommerziellen Räumen. Nur etwa jeweils
17% zeigen in Berliner Kunstvereinen oder Museen.l Lediglich 29% präsentieren in kommerziellen,
privatwirtschaftlichen Galerien. Hiervon finden wiederum nur 16,7% der Verkäufe über lose
Galerienbindungen und nur noch 8,1% über eine feste Bindung zu Galerien statt. Vom Verkauf von
Kunstwerken leben nur 13% der hiesigen Künstlerinnen und Künstler. Wenigstens 12% der
Kunstproduzierenden leben von Hartz IV, Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld. 13,4% von Unterstützung
durch Angehörige oder Freunde. 18% arbeiten zum Broterwerb in Berufen, die mit der
Künstlerexistenz nichts zu tun haben und nur 5,7% leben von Förderprogrammen, wie Stipendien.
65% sehen ihren Wohn- und Arbeitsraum durch Mietsteigerungen bedroht. Viele finden keine
bezahlbaren Ateliers und werden in Randlagen gedrängt.
Zwar ist Berlin der führende Galerienstandort Europas. Aber: 2012 erzielten Galerien in Deutschland
hochgerechnet einen Umsatz von 250 Millionen Euro, wobei nur acht Prozent der Galerien
Spitzenumsätze von über 1 Million Euro jährlich angaben. Sechs Prozent verdienen nur bis zu 17 500
Euro jährlich. In Baden-Württemberg wird beispielsweise der Hauptumsatz zu 60 Prozent mit
regionalen Sammlern gemacht. In Berlin beträgt dieser Anteil nur 22 Prozent.
Laut Senat leben etwa 5000 Künstler in Berlin. Bei den 4000 Kunstschaffenden, von denen der
Landesverband Berliner Galerien (LVBG) angibt, sie in Lohn und Brot zu stellen, handelt es sich wohl
eher eine Phantasiezahl. Rechnet man sie nur gegen die Zahl der Angestellten auf, die weit über 8000
liegt (ohne die Galeriebetreiber), ergibt sich daraus ein schlechtes Mischungsverhältnis. Auch wenn
man die Einkommensstaffelung zwischen Assistenten und Galeristen betrachtet, kommt wenig Gutes
dabei zum Vorschein.
Das Bild des internationalen Kunst-Stars oder von einer coolen „creative class“ regiert in den Köpfen
der Stadtpolitiker und an den Kunsthochschulen, ebenso wie in den Klischeevorstellungen der
Kunsthasser. Zu vielen Politikern und Planern dient es als Grundlage für ihre Argumentation. Zu viele
Kreative lassen sich durch dieses Leitbild antreiben. Was vielen nicht bewusst ist : Gerade drei Prozent
der Künstlerinnen und Künstler werden durch Einnahmen aus Kunst reich.
Wenn mal wieder « die Künstler » zu den Prügelknaben für falsche Stadtentwicklung gemacht werden,
unterscheidet manch Gentrifizierungskritiker ungern zwischen Nobel-Galerie und Off-Space. Man
erinnert sich an die Veränderungen in Mitte. Als nach der Wende sich teilweise sehr finanzstarke
Kunsthändler in der Spandauer Vorstadt breit machten und sich Trauben von Sektschlürfern in
Designer-Klamotten vor ihren Galerien bildeten. Was folgte, wirkt wie ein ABC der Gentrifizierung. Das
ist lange her. Auch heute noch mag man sich ärgern, wenn ein Kunststar einen privaten Loft-Atelierbau
in Wohnlagen mit niedrigen Durchschnittsmieten setzt, während das Liegenschaftsamt für sozial
geförderte Atelierhäuser keine Flächen zur Verfügung stellt und deren Leerstand selbst
Zwischennutzungen vorzieht. Jedoch bleiben die Anfeindungen, denen alternative Kunstorte teilweise
ausgesetzt werden, unverständlich. Allzu leicht wird vergessen, dass Künstler arm sind und eben
deshalb in die billigen Kieze ziehen. Auch sie sind indes von Vertreibungen betroffen. Denn was sich
heute gerne mit der Kunst schmückt, um die Betuchten anzulocken, tut nichts für den Erhalt der
künstlerischen Freiräume. Ist das Ziel der Aufwertung erreicht, müssen die Künstler gehen. Trotzdem
werden sie zum Hassobjekt. Wären, wie bei Richard Florida, eher Schwule und Rockbands für die
Stadttransformation zuständig, würde man dann in der linken Szenekneipe so unverhohlen Schwule
oder Rockbands hassen ? Um eine kunstfeindliche Linke ist es nicht gut bestellt. Das wissen wir aus
der Geschichte. Dass die Kritik an der Kunst sich verallgemeinernd an einem vermeintlichen Habitus
der Künstlerschar aufhält, beweist, wie wenig noch der Kunst die intellektuelle Auseinandersetzung
außerhalb der Kunst-Blase gelingt. Die Inhalte der Kunst entziehen sich der öffentlichen
Auseinandersetzung vielleicht zu sehr. „Jedes echte Kunstwerk“, so Leo Trotzki, „sei immer einen
Protest gegen die Wirklichkeit“. Wenn der Kunst ein solches Verhältnis zur Wirklichkeit nicht gelingt,
kann das aber auch an der Wirklichkeit liegen. Wer von der Kunst fordert, sie solle sich dieser
Wirklichkeit öffnen, sollte im Gegenzug auch ihr das Tor öffnen. Die Parteien der
Gentrifizierungsgegner und der Künstler sollten Dialog suchen. Man könnte dabei feststellen, von ganz
ähnlichen Problemen betroffen zu sein. Noch zu selten kämpft hier Seite an Seite, was von
Mietteuerungen betroffen ist, um den Erhalt des kulturellen Angebots, den gemeinsamen Verbleib und
ein gutes Leben in den Quartieren. Dass dies gelingen kann, zeigte z.B. erfolgreich die Rettung des
Hamburger Gänge-Viertels. „Der Mensch“, so Trotzki, „drückt in der Kunst sein Verlangen nach einem
harmonischen und erfüllten Leben aus, d.h. den kostbarsten Gütern, deren ihn die Klassengesellschaft
beraubt.“

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