Montag, 28. Juli 2014

City-Höfe Hamburg: Verfall der Moderne und Historisierung von Stadtbildern

Einstürzende Neubauten in Entenhausen.
Historische Rekonstruktion statt Denkmalschutz?
Von Diego Castro

What looks good today may not look good tomorrow“. Dieser Satz prangte wie nagender Selbstzweifel an der Beständigkeit des eigenen Werks auf einem Bild des früh verstorbenen Malers Michel Majerus (1967 – 2002). War der künstlerische Erfolg nur dem kontemporären Massengeschmack geschuldet? Was wir heute als ästhetisch ansprechend Empfinden, könnte schon morgen ein Dorn im Auge sein. Doch jener wandlungsfähige Geschmack, der die derzeit angesagten Maler schon morgen in die Depots verbannt und in den Innenstädten mit der Abrissbirne jähe Gewalt an der Architektur kaum vergangener Dekaden verübt, könnte schon morgen wieder passé sein. Das Schicksal der Architektur ist von dem der Bildkunst aber verschieden. Kunst, die nicht mehr gefällt würden wir kaum zerstören. Bilderstürme haben zurecht den Ruch des Barbarischen. So lagern wir unliebsame Kunst von Gestern lieber in Depots. Bauwerken aber, die nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen, droht der Abriss .

Altstadt kracht, Bargeld lacht. Um Investoren anzulocken, sind unternehmerisch agierende Städte bereit, für schnelles Geld unwiederbringlichen Schaden am urbanen architektonischen Erbe anzurichten. Man kann angesichts desaströser Großprojekte der konkurrierenden Metropolen wissen, warum die Städte stetig auf der Suche nach neuem Geld sind, ohne Verständnis dafür aufzubringen. Dass zu viel Wettbewerb den Städten langfristig schadet, kann man an defizitären Großbauvorhaben, an Gentrifizierung und urbaner Normalisierung erkennen. In überteuerten Innenstädten verschwinden Alteingesessene. Die immer gleichen Fußgängerzonen und Einkaufszentren erwachsen. Neben brutalistischer Landmarken-Architektur hat sich ein Teil der Stadtentwickler dem nostalgischen Bauen verschrieben. So oder so hofft man, durch artifizielle Alleinstellungsmerkmale im City-Ranking zu punkten. Dabei verschwindet Altes, damit vermeintlich Älteres neu entstehen kann. Interessanterweise sind es gerade die zur Betonung einzigartigen Flairs auferstandenen „historischen“ Altstädte, die mit ihren Attrappen zu dem befürchteten Einerlei beitragen. Ihr im Baustoff ausgetragener Kampf gegen die Geschichtslosigkeit entspricht in haarsträubender Weise den Anrufungen altdeutscher Blockrandbebauung, römischer Foren, griechischer Tempel und sizilianischer Landszenen, die uns längst in Einkaufszentren quälen.

Es entstehen ahistorische Stadträume, die mit künstlich ersonnener Geschichtlichkeit aufgefüllt werden. Das Argument, den Menschen in Zeiten der Globalisierung mit romantischem Fachwerk ein Gefühl der Geborgenheit zu geben, erscheint dürftig, angesichts des Verschwindens von sozialen Stadtgefügen, die Menschen ihr Leben lang geprägt haben. Letzte sind mehr Teil der eigenen Geschichte als der Zombie-Stuck aus der Retorte. Die Leitbilder der unkritischen Rekonstruktion scheinen offensichtlicher dem Citymarketing zu entspringen, als einem veritablen Interesse für Tradition. So fallen interessante bauliche Ensembles der architektonischen Moderne immer wieder dem finanziellen Interesse zum Opfer. Rekonstruktionen sind Wirtschaftsfaktor. Die Tatsache, dass diese inkorrekten Interpretationen von Barock bis Biedermeier Geschichte lediglich symbolisieren, stört dabei wohl wenig. Simulakrum nennt man den Ersatz, der das Original auslöscht. Der Frankfurter Römer oder die sogenannte Altstadt von Hannover sind nicht nur notorische Beispiele für mangelnde Akkuratesse. Bislang werden sie nicht nur von Touristen, sondern auch von Einheimischen als Originale angenommen. Solch historisierende Bauten bleiben aber letztlich referenzlos.

Ob es im Fachwerk nach Tiefgarage mufft oder der hastig verputzte Barock schon bröckelt; der Baukunst der alten Meister scheint kein modernes Bauunternehmen gewachsen. Das moderne Bauen indes hat seine eigenen Techniken. Werden diese meisterlich ausgeführt, tun wir uns oft schwer, dies zu erkennen. Die landläufige Meinung von der Hässlichkeit der Moderne, kann nur aus einer Unkenntnis kommen, die zwischen Plattenbau und Corbusierhaus nicht zu unterscheiden vermag. Mehr aus Ressentiment denn aus klarem Empfinden zieht sie den Schnörkel der klaren Kante vor. Ungepflegt, nachlässig renoviert und vom Denkmalschutz im Stich gelassen -bleiben von der Moderne bald nur einstürzende Neubauten?

Nun sind die Hamburger City-Hochhäuser vom Abriss bedroht. Trotz Denkmalschutz empfahl die Finanzbehörde der Hansestadt den Rückbau und Verkauf. Der Gebäudekomplex befindet sich auf einem Filet-Stück, das der Hamburger Bau-Senat schon lange versucht, gewinnträchtig zu verkaufen und den Ausverkauf der städtischen Liegenschaften um die Speicherstadt weiter voranzutreiben. Das Argument gegen die 1955 errichteten Häuser sei eine angebliche Hässlichkeit, die heute nicht mehr zeitgemäß sei. Die Frage, ob Hässlichkeit heute nicht mehr zeitgemäß ist, erspare ich mir zu vertiefen. Werfen wir stattdessen einen genaueren Blick auf diese Bauten: Die Gebäude waren die ersten Hamburger Hochhäuser nach Kriegsende. Die Scheibenhäuser brachen mit dem hanseatischen Blockrand und stellten somit ein luftiges Novum am Rande der Speicherstadt dar. Erst in den siebziger Jahren wurden sie in jenes graue Büßergewand aus Eternit gesteckt, an dem viele, vielleicht zurecht, Anstoß nehmen. Darunter verbirgt sich die weiß gekachelte Originalfassade aus den 1950er Jahren. Daher muss es gelten, zwischen dem Original und seiner Modifikation zu unterscheiden.

Der Architekt des „City-Hof“, Rudolf Klophaus, war indes gewiss kein Vertreter der Avantgarde. Je nach Zeitgeschmack vermittelte er stets zwischen Tradition und Moderne. Diese Strategie war vielleicht maßgeblich für sein umfangreiches Bauen in drei verschiedenen politischen Systemen. Zur Zeit der Weimarer Republik bekannt geworden durch einen hanseatisch verhaltenen Backsteinexpressionismus, versuchte er sich unter Hitler mit völkischen Elementen und regionalistischem Couleur. Ab 1948 durfte der forthin als entnazifiziert geltende Architekt seine Arbeit wieder aufnehmen. Mit dem „City-Hof“ baute er eine monumentale Verkörperung eines -sicherheitshalber dem internationalen Stil verpflichteten- neuen Selbstbewusstseins des westlichen Nachkriegsdeutschland. Diese wenig bescheidenen Häuser geben, mit einem Hauch von Entenhausen, Aufschluß über eine Zeitepoche, deren ideologieträchtige Ästhetik in der Kulturgeschichte bislang wenig vertieft wurde. Daher sind sie für die fünfziger Jahre baugeschichtlich relevant.


Dass subjektives Schönheitsempfinden kein Argument für den Denkmalschutz sein kann, leuchtet ein. Gebäude sollen erhalten bleiben ob ihrer zeitgeschichtlichen Bedeutung. Doch gerade hier tut man sich oft schwer. Verschämt verhüllt man moderne Bauten, lässt sie gar verkommen. Insbesondere in Bezug auf das architektonische Erbe der DDR haben sich Stadtentwickler und Architekten als besonders ideologisch und wenig kulturgeschichtlich behutsam erwiesen. Das Trauerspiel um den Palast der Republik und den Wiederaufbau des Berliner Stadtschloss ist nur eines von vielen Beispielen. Die beim Publikum erfolgreichsten Rekonstruktionen werden mitunter der Denkmalfunktion am wenigsten gerecht. Bunkerarchitekturen entfalten, auch dank ihrer Klobigkeit, die Fähigkeit zum Denkmal. Die Zeitepoche, die es repräsentiert, sollte dem Betrachter in der Gesamtheit von Aufstieg und Niedergang gegenwärtig werden. Ob die Frauenkirche in Dresden nicht im eingestürzten Zustand mehr Denkmalcharakter hatte, als in ihrer jetzigen Form als touristische Altstadtkulisse, darüber kann man streiten. Weder Ästhetik noch kommerzielle Erwägungen können für den Denkmalschutz ausschlaggebend sein. Die Vorstellung, dass wir uns künftig nur noch mit dem Erbe der Geschichte beschäftigen, wenn dieses erquicklich und den Augen wohlgefällig ist, beschwört eine schöne neue Welt, in der ich nicht leben möchte. Historische Rekonstruktionen aber sind Neubauten. Diese rückwärtsgewandte Mode, könnte schon morgen ein Ärgernis sein. Wer hingegen die Spuren der neueren Geschichte auslöscht, trägt eventuell die Verantwortung für die lästigen Rekonstruktionen von morgen. 

Montag, 23. Juni 2014

Ganz kleiner Versuch über eine Westdeutsche Ästhetik

Aus einem Vortrag bei Gitte Bohr - in Zusammenarbeit mit Eva May

Mit dem Aufbau Ost wurden nicht nur die berüchtigten beleuchteten Wiesen gefördert, also Strukturmaßnahmen mit kurzsichtigem Blick auf die demografische Entwicklung. Mit dem Aufbau Ost wurden ebenso nicht einfach die maroden Innenstädte Ostdeutschlands vor dem Verfall gerettet. Es schlich sich gleichfalls ein Bauprogramm ein, dass sich der Auslöschung des ästhetischen Erbes der DDR verschrieben hatte. Davon zeugt nicht nur der Abriss des Palastes der Republik, die Verhunzung eines einzigartigen und anspruchsvollen architektonischen Kontinuums an Alexanderplatz oder die rigorose Schleifung von Siedlungen des sozialistischen Wohnungsbaus. Ganz unmerklich zeigt sich in Bezirken wie Pankow, dass intakte Stadtmöbel, Pflaster, Beleuchtungen systematisch durch westdeutsche Industriestandards ersetzt werden. Während die Kommunen für diese versteckte Umgestaltung des öffentlichen Raums einen Haufen Geld ausgeben, geschieht auf der Ebene des kulturellen Erbes etwas ganz und gar bedenkliches: Die historische Rekonstruktion. Sie ist in vielerlei Hinsicht umstritten. Denn wo Frauenkirche oder Stadtschloss eine historische Blutgrätsche zwischen Preußen und der Ära Kohl hinlegen, sind neben allen Vorwürfen in puncto Restaurationsästhetik auch durchaus qualitative Mängel der historischen Rekonstruktionen auszumachen.


Mit vergleichsweise geringem finanziellen und vor allem zeitlichen Aufwand wird versucht, architektonische Meisterschaft mit billigem Material und so wenig Arbeitsstunden als möglich hinzulegen. Das Ergebnis sind kostspielige, aber banale und schlampig ausgeführte Surrogate, die mehr dazu angedacht sind, den Geist einer idealisierten und längst nicht mehr existierenden Heimat anzurufen und ganz nebenbei die politische Durchsetzungskraft der regierenden Bauträger zu repräsentieren, einer Handlungsgewalt, die Fakten schafft.


Doch welch restaurativen Geist noch die im Wiederaufbau Westdeutschlands dominierende Nachkriegsmoderne glücklicherweise vermissen ließ, zeigte sich bereits etwa ab den 1980er Jahren in westlichen Metropolen. Die historische Rekonstruktion Hannovers oder Frankfurts sind ein Paradebeispiel des schlechten Geschmacks und ahistorischer Idealisierung. Gewiß waren sie Reaktion auf eine brutalisierte Version der Moderne, welche aufgrund ihrer groben Formsprache einerseits, andererseits aufgrund der schlechten Qualität und des massiven Einsatzes von Beton auf Otto Normalgeschmack bedrohlich wirkte. Wo der Historie denn keine war, musste man sie denn erfinden. Kein alleinig westdeutsches Phänomen. Das Ostberliner Nikolaiviertel ist mit seinen Rekonstruktionen in Plattenbauweise eine ebensolche Geschmacklosigkeit. 

Jedoch gab es vor dieser konservativen Zäsur in den 1980er Jahren einen modernen Geist in der Architektur beider deutscher Staaten, der heute von rückwärtsgewandten Tastemakers ebenso abgelehnt wird. Neben der verhassten DDR-Ästhetik fällt ihr mitunter auch die West-Moderne zum Opfer. Der selbstbezeichnet „gerechte“ Zorn des Gunnar Schupelius traf in der BZ im letzten Sommer die Pläne, Karl-Marx Allee und Hansa Viertel in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes aufzunehmen. Das Aufbegehren des Berufsdemagogen Schupelius gegen den Schutz des Stalinistischen Prunkbaus im Zuckerbäckerstil verwundert wenig.


Interessant aber, wie der Schreiber gegen die Bauten der Internationalen Bauausstellung von 1957 im Berliner Hansa-Viertel wettert. Die Bauten des internationalen Who is Who der Nachkriegsmoderne und die Kunstwerke scheinen ihm nicht schützenswert: Die Häuser von Alvar Aalto, Le Corbusier, Walter Gropius, Arne Jacobsen, Oskar Niemeyer, Max Taut, um nur einige zu nennen, sind für den Experten von der BZ lediglich „eine Ansammlung von mehr oder weniger durchschnittlichen Hochhäusern“. Er findet, das Charlottenburger Schloss sei da ein würdigerer Kandidat. Doch die Favorisierung dieses nicht herausragenden Schlossbaus, der immerhin dreimal den Baumeister wechseln musste, zeugt von einem künstlerischen Unverständnis, das Schupelius -die Speerspitze des guten Geschmacks- durchaus in die Moderne zu spiegeln weiß. Dabei war es gerade die Architektur der Nachkriegsmoderne, die dem restaurativen Adenauer Staat vielerorts sich widersetzte. Für den Wiederaufbau Deutschlands und eine zaghafte Wiederherstellung internationalen Ansehens war nämlich die Nachkriegsmoderne nicht unerheblich. Wenn es eine Frage nach einer westdeutschen Ästhetik gibt, so kann man sie vielleicht beantworten als konfliktuelle Abbildung eines restaurativen Geistes in der Auseinandersetzung mit den Künsten, die sich zunächst erfolgreich gegen Naziästhetik und Neoklassik abzusetzten suchten, wennauch ihre Formsprache (gerade in der Architektur) nicht selten für die Repräsentation eines erstarkenden Kapitalismus und als Anti-Kommunistisches Bollwerk herhalten musste.

 
Links: Niemeyerhaus im Hansaviertel, Rechts: B.Z. Kampagne verrät viel über die Ästhtik der West-Berliner Konservativen

Die bildende Kunst versuchte sich mit dem Informel der Vereinahmung durch Staatsästhetiken zu entziehen, was ihr im Gegensatz zum (durch die CIA geförderten) Abstrakten Impressionismus in den USA auch streckenweise gelang. Die Abstrakt-Konkreten bauten das Neue und straften mit Aktualität das Vergangene ab. Der kapitalistische Realismus der Gruppe um Polke und Richter konterkarierte hingegen mit einer vermeintlich westdeutschen Version des Sozialistischen Realismus die neu erstehende Konsumkultur. Ihre Gegenwartskritik zeigte, dass bildnerische Opposition auch gegenständlich formulierbar war, womit sie, als veritable deutsche Form der Pop-Art, dem Informel widersprachen. Fluxus zeigte, wie in dieser Auseinandersetzung die Bilder der unangenehmen Vergangenheit oder einer Gegenwart, unangenehm und ohne Angst vor der Repräsentation gezeigt werden können: zerschnitten, verbrannt, verschimmelt.


Der Film des jungen Deutschland wurde dominiert von einer bereits in Kriegsunterhaltung und Weltflucht geübten UfA und Neuverfilmungen von Stoffen, die bereits von Goebbels genehmigt wurden. Heinz Erhard, Peter Alexander & Co. Die drei von der Tankstellen mit Bruchpilot Heinz Rühmann, Nachts im grünen Kakadu, das weiße Rössl und Charly's Tante, allerhand Verwechslungskomödien und Revuefilme standen für seichte Unterhaltung und anstrengenden bis pathologischen Humor. Interessanter hier das Genre der Heimatfilme: In ihrer stets prächtig fotografierten Ländlichkeit fingen sie ein Defizit an heiler Welt auf und waren Brot der frühen Jahre. Wichtiger aber noch, wie sie mit ihrer klaren Unterteilung von „gut“ und „böse“, um die Wiederherstellung moralischer Standards bemüht waren. Man kann darüber streiten, ob die durch den Krieg zerrüttete Gesellschaft jetzt mehr Bedarf an Werten hatte oder übermäßig an dem erlebten Autoritätsverlust litt. Jeder mag selbst für sich die Frage entscheiden, ob der Förster vom Silberwald an die Stelle Adolf Hitlers getreten war und der Wilderer aus selbigem deutschem Wald an die Stelle des „ewigen Juden“.


Ein viel versprechender Anfang des Nachkriegskinos war der Trümmerfilm. Doch der Bedarf an realistischen Szenarios war gering. Roberto Rossellini drehte mit „Germania anno zero“ 1947 einen der ersten Spielfilme im zerstörten Berlin. Er wurde in Deutschland kaum gezeigt und eine typische Reaktion einer ablehnenden Filkritik ist Hans Habe's Kommentar aus der Süddeutschen von 1949: „Rossellini pflückt in diesem Film nicht Blumen vom Grab einer Nation, er erbricht sich in den Sarg.“
Als erster Film Nachkriegsdeutschlands gilt Wolfgang Staudte's „Die Mörder sind unter uns“ von 1946. Dieser bekam aber überwiegend gute Kritiken, mitunter auch weil er die schwer benötigte Rekonstitution ethischer Standards zeigte und weil er schon damals den Mythos des „guten Deutschen“ im bösen System bemühte. Manchmal ist der Verriß doch mehr Ritterschlag.


In seinem Titel deutet sich jedoch an, was später zum zentralen Motiv der Studentenbewegung werden würde, nämlich, dass der neue Staat von den alten Köpfen regiert und rekonstituiert wurde. Politiker, Richter, Polizisten: die Mörder waren unter uns! Die Benennung der weiten Durchsetzung der Westdeutschen Gesellschaft mit alten Nazis durch die protestierenden Studenten steht aber im Unterschied zum noch zaghaft kritischen Bild minoritärer Kriegsverbrecher, die sich der Verantwortung entzögen. 

Umso mehr, will man sich einer Westdeutschen Ästhetik nähern, muss man das Zusammenspiel von kritischer und offizieller Kultur betrachten. Und man kann wohl sagen, dass die Meinungsbildung und das ästhetische Gesamtbild der BRD aus dem Miteinander von Repräsentationsästhetik und der Künstlerkritik bestand, in einer Zeit, da der öffentliche Intellektuelle von Böll bis Beuys noch existierte.

Neu war die sich im Fahrwasser des Marschall-Plans entwickelnde Konsum- und Verdrängungskultur. Wolfgang Neuss besingt sie in „Hier kommt das Wirtschaftswunder“. 


Die Kinder des neuerstehenden westdeutschen Spiesser-Staats benehmen sich sonderbar. Was sich nicht einordnet wird kriminalisert. Eine teilweise noch vom Krieg verrohte Nachkriegsjugend durfte nicht auf Verständnis hoffen. Sie wurde als „Halbstark“ kriminalisiert und in Heime gesteckt. Was dort aber unter der Oberfläche brodelte, war nicht einfach Ausdruck unerklärlicher Gewaltorientiertheit undankbarer James Dean-Verschnitte. Was hier köchelte, lässt unverarbeitete Kriegstraumata und soziale Probleme der Nachkriegszeit erahnen. Von ihnen ist im kollektiven Gedächtnis eher wenig hängen geblieben. Ebenso wie von den sozialen Bewegungen der 1950er Jahre. Die Jugend indes, begehrte ab den 1960er immer stärker auch offensiv und verbal gegen die Wirtschaftswundergesellschaft der Väter auf. Wie stark noch soziale Unangepasstheit mit dem Stigma des nazistischen Sozialhasses gegen Randständige belegt war und mit welcher Empörung der bundesrepublikanische Spiessbürger auf solche Jugendliche reagierte, zeigt sich in geradezu beschämende Weise in Peter Fleischmann's Dokumentarfilm „Herbst der Gammler“.


Mein Film: „Republik der Gespenster“ zeigt Ausschnitte aus Rossellini's „Deutschland Stunde Null“ und Wofgang Staudte's Verfilmung von Heinrich Mann's „Untertan“. Die Untertitel liefern Auszüge aus einem Brief Rudi Dutschke's an seinen Attentäter Josef Bachmann, einen autoritären Charakter, der sich kurze Zeit später im Gefängnis umbrachte, ganz wie der Protagonist in Rossellini's Film. Der Junge verliert den Führer, "verliert" den Verführer -ein pädophiler Lehrer und Alt-Nazi, der sich dem Jungen als väterlicher Freund anbietet- und tötet seinen schwachen Vater und schließlich in der drastischen und bis dahin noch nie gezeigten Szene eines Kinderselbstmords- sich selbst.



Das Deutschland des Wirtschaftswunders gestaltet sich nach amerikanischem Vorbild aus, übernimmt, wo möglich, bereitwillig die Konsumkultur. Dass es eine Auseinandersetzung in Form von Deutscher Pop-Art gab, habe ich bereits angedeutet. Wir sehen hier noch ein paar sehr kurze Filme von Peter Roehr, indem das Wissen um den Benjaminschen Aufsatzes von technischen Reproduzierbarkeit des Bildes enthalten ist. Dieser Aufsatz erschien übrigens erst in den 1060er Jahren in Buchform auf Deutsch. Der früh verstorbene Foto- und Filmkünstler Peter Roehr steht mit seinen radikalen Filmloops an der Schnittstelle zwischen Pop-Art und Minimal. Er formuliert mit der Kraft der Wiederholung einen subtile Kritik an der Konsumkultur, bevor dafür die diskursiven Standards der Situationnisten verfügbar waren und bevor sich eine Konsumkritik sprachlich in Deutschland verfestigte. Gleichzeitig nimmt er eine Pionier-Stellung der Video-Kunst der 1970er ein. Klaus vom Bruch; Marcel Odenbach und andere stehen in seiner Nachfolge.




Die Siebziger Jahre brachten mit dem Neuen Deutschen Film eine Auseinandersetzung mit dem Staat, seiner Gesellschaft und seiner Ästhetik, die bis heute nicht wieder erreicht wurde. Wie kein anderes Medium nahm der Film Einfluß auf die politischen Diskurse und die öfentliche Meinung. Stand das 1961 verfasste Oberhausener Manifest noch in verzweifelter Opposition zur Realität, sollte es dem Autorenfilm der Siebziger gelingen, wesentliche gesellschaftliche Debatten auszulösen oder mitzugestalten. Krieg und Restauration, Holocaust und Vietnam, Jugend-, Frauen- und Schwulenrechte, ja sogar Umweltschutz waren die Themen des jungen Films. Straub, Schlöndorff, Verhoeven, Petersen, von Trotha, Kluge, von Praunheim und natürlich Fassbinder brachten die Thematiken auf die Leinwände, die Fernseher und in die Feuilletons und in die Talk-Shows. Journalisten, Politiker und Künstler unterhielten sich direkt oder indirekt. Doch diese Zeit des schon geglaubten Aufbruchs sollte bald enden. Die Transformation Deutschlands ab der Ära Kohl zog auch ein Ende des Dialogs zwischen Kultur und Politik mit sich. Die bleierne Zeit der Restauration seiner Amtszeit leitete das Ende sozialer, ökologischer, ökonomischer sowie politischer Visionen ein, vorbereitet durch Altkanzler Schmidt, der Menschen mit Visionen am liebsten zum Arzt schicken wollte, und stand für die Anpassung an einen durch die Kritik von 1968 gestärkt hervorgegangenen Kapitalismus. Die Ausweitung der Kampfzone, meint den Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft, und die Psychologisierung der Arbeitskultur zeigt sich in Ausschnitten aus Harun Farocki's Film „Leben: Deutschland“, in dem es um die Optimierung der Performance und die Bewältigung psychologischer Anomien geht.



Links: The Readymade Demonstration, Reinigungsgesellschaft, Columbus, Ohio 2009


Mit dem Fall der Mauer verschwand der Legitimationszwang gegenüber den sozialistischen Staaten. Westdeutschland musste sich nicht mehr rechtfertigen oder als das eigentlich sozialere Deutschland darstellen. Wo von nun an die Kräfte des freien Marktes sich frei entfalten durften, stellte der Westen mit seinem Kulturimperialismus gegenüber der ehemaligen DDR, die Uhren zurück auf preussische Zeit mit seinen Schinkelbauten und seinen vermeintlichen Tugenden. Die nunmehr konkurrenzlose kulturelle Hoheit des Westens hat Ihre Partikularität, die aus dem Konflikt zwischen Ost und West und zwischen offizieller und dissidentischer Kultur entstanden war, für immer eingebüsst. Das Resultat ist ein kulturelles Diktat, welches das Eigene nicht mehr schafft, und daher die Geschichte bedienen muss um die kulturelle Macht, ganz im Dienste des Kapitals, zu verbriefen. Der Antikommunismus wird längst nicht mehr durch Beschwörungen eines demokratischen Geistes aufgefangen. Die deregulierte Demokratie zelebriert den Untergang der eigenen Werte und frönt im post-politischen Raum der Neoklassik. Eine Renaissance von Rechts, jenseits des rechtsextremen Terrors. Ein neuer Patriotismus als Staatsraison und Teil einer konservativen Konsenskultur wird symptomatisch für dieses neue Deutschland, das in der Verleugnung von Ost und West versucht, sich als führende Macht in Europa aufzustellen. Im „Schland!“Fieber dienen Sport und Massenspektakel zur Unterfütterung dieses neuen patriotischen Taumels. Sara Lehn's Videoarbeit "Schwarz, Rot, Gelb" legt Zeugnis davon ab:



Dienstag, 20. Mai 2014

On emptiness and social space. An essay.

by Diego Castro (sorry for the poor translation)

An empty space can be thought of in two different manners. Try to think of an empty space and yet another one. The first space is an empty room, maybe a living room, in a new building, maybe social housing. Traces of use everywhere, marks of furniture and pictures on a mouldy, yellowed wallpaper. Stains on the carpet. Past life is still noticeable. We don't know why nobody lives here anymore, but what we perceive is absence, that, contrary to the supposed former life, seems negative. We might perceive this emptyness as a consecution to loss.

The second room might be an art gallery, in which emptyness is an element of planning, of what in architecture is called room allocation plan or scheme, that encloses the object within it like a monstrance (ostensorium). The austerity and the dazzling lighting directs all attention towards the exhibits. With this it also draws the attention towards the role of the visitor as a beholder, a contemplator or admirer. The function of the room as a dispositive, it's room scheme seems engraved in it. If you remember Tanizaki Jun'Ichiro's description of a western lavatory; he pointed out that the cleanliness and white porcellain would stress the room scheme of a toilet, by aggravating the user's function as a mucky pup, as producer of dirt.

 
Rem Koolhaas, former situationist, now working on the enhancement of consmuerist aesthetics

Try to think of Rem Koolhaas' Prada flagship-store in downtown New York. Emptyness here is an expression of a squandering spirit, of pure luxury. In an environment, where space is luxury, you don't often meet this particular use of space. It serves to stress the cannonisation of a small selection of merchandise, representative of an exclusive collection. This aims at a logic of representation of commodities, where aspects of quality or value-for-money become irrelevant. The criteria of appraisal are rooted in merely aesthetic percetion and the narrative room scheme. The symbolic value of the brand is to be brought into being by a culturalisation of consumerism.

The room-schemes of the Prada-Shop and the one of an art-institution are in this sense comparable. The spacial expression of appraisal commensurate with the auratisating dispositives of art-presentations. At Prada's you will find a flamboyant use of space, where a minimalistic set of spacial intervention lounges voluptuously. At large, the use of space becomes a brutal, yet subtle element of arrangement. With the aesthetic of reduced and flexible representation, two central figures of neo-liberal management are already set into place in this alignment: lean production and flexibility. Not only does it point out an aesthetic of symbolic capital, because empty space, if it is under control, it is also a figuration of entrepreneurial ethos.

With the increasing importance of museums for the self-manifestation of corporations and brands, coming forward as sponsors, but also with the new role of cultural institutions in urban planning, for city-marketing, tourism and estate-agencies, the use of space has become an important factor. Yet its representative physical planning is intertwined with destruction of the urban continuum and social segregation, the last one being a key aspect of the spatial structure they are intended to impose. Koolhaas, by the way, who has build a number of museums, has excelled at taking the rather problematic aspects of urban planning into the use of space in commercial contexts.

File:Macba.jpg
Richard Meier's MACBA

The first thing that comes into perspective, when you approach Richard Meier's Museum of Contemporary Art in Barcelona (MACBA) is its influence on the urban continuum. Not only the demolition of vast parts of the socially mixed neighbourhood of “Raval” with its secondary effects of the new spatial order, rise of rents and social segregation, also known as gentrification, are remarkable. The most conspicious part is the use of space itself. It is the central element of the room scheme. Empty space has replaced the dirt, the drugs, the hardship cases, the students, the old people, the jobless, the prostitutes, the loafers, the small time criminals.
An imminent quality of this empty space is the representation of order in its interior, the emptyness is the method of order. Inside and outside the art-museum, we have a room scheme procuring orderliness, change and innovation.

File:Prostitution in Raval.JPG 
"Barrio Xino", prositution in the Raval dstrict

Inside the museum there is this emptiness, wich has a structuring and narrative quality to it. Showing art almost becomes an ostensably secondary aspect within the dramaturgy of space. Mind you, the staircase in Richard Meier's design takes up about one third of the building. While smaller institutions would struggle for more space to be used, the emptiness present here brings the representative qualities of the building into the front line and installs a certain hierarchy between the visibilities of both institution and the city council, incorporated into a good choice of trademark architecture, and artworks and visitors. Visitors who have ultimatly come to enjoy submission to this hierarchy, not for its abstract political structure, but for its aesthetics sake. The submission already starts by merely crossing the forecourt of the museum until finally reaching the vestibule and entering the atrium like entrance hall/ staircase. But let's try to not be unfair: There actually are many good reasons to enjoy empty space. Just think of the pleasant, solitary dialogue with the art-works, one can sometimes get lucky to experience in a half-empty museum. Besides this illusion of a Zen-Garden, there is another, very specific reason for the enjoyment of limewashed museum-arrangements: The planned emptiness of representative architecture opposes structural order to a chaotic exterior, be it inside and outside of a building or inside or outside of an urban zone or sector. The key to the understanding of this juxtaposition is that we have a space of protection against over-complexity and overstraining in the exterior. The affirmative presence of stipulation and order inside the white cube is on the same behalf an absence of openness and alternative possibilities for interpretation.

File:MACBA- Interiors001.JPG 
inside MACBA

This unambiguousness is a key note in museum-architecture. It has also been made use of in political architecture. Minimalistic and rationalistic style has helped subtle stagings of political and economic power. In this connection, totality and exclusivity fraternize in an ill-omened way. With decoration washed away by minimalism and a decorum of false modesty and two faced asceticism, with filigran ornamentalism countered by a gross ornament of the masses and rationalistic brutalism, the enshrining presentation of central objects and symbols calls the visitor to devotion. In other words, the architectural dipositive humiliates the beholder, but also offers sublimation. The fact that participative processes in form of artworks or museums' educational services are booming in these displays almost seems coercive. They are a direct result of the spatial schemes and its anomies in terms of the spatial experience. They seem to be a corrective for a developed deficit within the desire for an overtly positive experience of space.

Another question, you might want to ask when looking at art institutions as a dispositive for activation, is if the architecture can ever be considered as completed without the actual participation. To give a rather harsh example, and please don't judge me on this one!, if you take the Nazi Party Rally Grounds in Nuremberg, you'll have a good example of the solid architecture being merely a display, for what is about to come later, which is the human architecture, that is, architecture carried out through actual physical deployment. The Nazis were probably the first ones to carry out architecture by masses of bodies in this particular, political design.

File:Bundesarchiv Bild 146-2008-0027, Nürnberg, Parteitagsgelände, Luitpoldarena.jpg
Luitpoldsarena, Nuremberg

Although, for many reasons you cannot compare the physical deployment used in the national-socialist party's state aesthetics, still the society of control has brought about new forms of representative architectural strategies, using activation as a means to fulfil a highly performative architectural concept.

Sir Norman Foster's redesign of the Reichstag Building's copola is a good example for the idea of a performative architecture, illustrating administrative key figures of a western european, yet neoliberal democracy: transparency, citizen-orientedness and public participation. In today's representations and room schemes we find a fashion for open structures and seemingly undefined room/ space concepts. In the example of Sir Norman Foster's intervention, we have the leitmotif of transparent parliamentarianism, the permeability of power, as well as participation. While symbolising diaphanousness (while power structures are become fuzzy and obscure) the copola also is a showcase, in which activation becomes visible. Without this, the architecture would stay incomplete. The deployment of human beings and their animation inside the architecture becomes its central element. The aim is to symbolize a dilution of the seperation between citizens and decision-makers. At the core, it is crucial, that this takes place on a symbolic level and not structurally. For as much as we can state performative qualities, the ends to it are a subscription to a pictorial regime.

Coming to the architecture of art institutions, participation is usually being staged against a dispositive of protestant white and the minimalist form language of the white cube. But these formal expressions are not only connotations, they are the manifestation of the room scheme. Their aim is on the one hand the canonisation of the artwork, the first contradiciton to an alleged neutrality of the space. But, on the other hand, more and more often, the bigger and more spectacular museum buildings are getting, what we find in it is a dispositive of an obscurantistic power structure and hidden agendas, masked by dehierarchisation.


We are dealing with a space that is highly ideological. The activations that we encounter here in form of participation, educational schemes or interactivity, more than often meet with neoliberal work ethos and affirmative acts for the educated bourgeoisie. Taste and distinction on the one hand, key notes of achievment-orientation on the other. The experience of art as a performative act, implies the staging of an image-production as a cultural achievement and in terms of what Max Weber called “social action” it becomes an act of distinction (Bourdieu, Veblen).

Here, assivity, refusal of performance and hence efficiency, and denial of adventure, just like structural critique are out of place. Formulations of critique are in accordance with the room scheme. They are inscribed into the concept of space, the way the performance goes, has been planned. The boundaries of the playing field cannot be transgressed. The room program has to be approved. But where the gratifications of passivity fail, the antagonism of artwork and the beholder, the dichotomy of institution and citizen vanish.

As we have just learned, the nature of the exhibition situation conditions the visitor in a certain way, so his reaction will be tinged in benevolence. This scheme is presupposed by the social art work. Which is also the case with any kind of artefact to be presented under this room scheme. But there is one difference. Relational perfomativity emphasizes the physical act of submission to the room scheme. But only from a safe distance the organisational aspects, mind its ideologies become apparent. Imagine a documentary on the Nazi-Party rally in Nuremberg: Black and white scratched film, a long shot over the blocks of soldiers forming corridors, marching in cohorts, saluting the Führer and responding to the discourses of the minister of propaganda from the rostrum, filmed from a distance of 500 metres. Now imagine a documentary of the same kind about people at a Rirkrit Tiravanija show... What would you find? If you participate, you are compromised. What you need is this 500 metre long shot.

There is, though, a big difference (of course!) between fascist and democratic room programming, especially after the transgression from the society of discipline to the society of control. Where traditionally disciplinatory forces come into place, like police, military, school and penal system, in the society of control we have the aspect of voluntariness. It has created an ever increasing zone in our society and has opened up for many possibilities for supervision and guidance. But just how is this voluntariness produced?

The fact that socially determined room images ("Raumbild", space as iconographic entity) are not a result of contingency, but of planning, development and process, is something that has been referred to many times in room theory.


“Iconographic space grants people with the possibility to symbolically partake in a development model (Detlev Ipsen).” 

File:Expo-internazionale-tappeti.JPG
Rirkrit Tiravanija, exhibition display at Dakar Biennial, 2004

In this, developments can be invested in the dispositives in two ways: first: the room image follows the development of space. Second: the development is anticipated by the image, the last option being the more interesting one, as it hints at the inherent, affective force of undefined, open, transitorian, transparent and seemingly democratic dispositives with their processual and at the same time minimalistic attributes. Occasionally it is the work-in-progress, the unaccomplished social sculpture, that offers lesser possibilities for intervention or interaction as it might seem. On the contrary, it is the accomplished and highly defined form, that allows us to draw conclusions on the disciplining, controlling and ideologically infiltrating room scheme. So again, in the transitorian, the constraint of critique is manifested by the inherent difficulty to delegate critique. This is one core aspect of critique in the neoliberal age: The power is disseminated in a way, that its source becomes invisible. Participation, outsourcing and transparency are its strategies. As the dispositives give way to critique, and de-hierarchize discourse, they might give expression to co-determination. But with the steadily undefined and unfinished room scheme and a multiplied and hence blurred authorship within relational manifestation, it becomes hard to find the addressee for critique, which is one of the reasons why today in participatory democratic processes, the space of critique becomes a space of emotional performance and very often stays behind expectations and without any consequences. It becomes a sort of space for group therapy, which aligns with the idea formulated by Alain Ehrenberg or Eva Illouz, that therapeutic endeavours more and more seem to meet with the anomies of capitalism. However, with an increased visibility of discontent, here lies a reason why corporations and institutions today do not seek any longer for a definition of space by branding it with their corporate designs or aesthetics. Rather we have a post-democratic quality to the creation of room schemes, which uses democratic semiography, expressed through performative action, to create acceptance in a, if I may say so, perfidious manner. 

Christian Jankowsi's group therapy for artists and administrators of the Berlin senate:

Mittwoch, 23. April 2014

Kalter Krieg im submedialen Raum

Vortrag in der ACC Galerie, Weimar, 22.4.2014


KALTER KRIEG IM SUBMEDIALEN RAUM


"Hotel Kilo" hieß im kalten Krieg ein Störsender des BND, der auf der Frequenz von Radio Moskau sendete. Störsender werden oft als Teil des Zensur- und Propaganda-Apparats totalitärer Staaten genannt. Doch auch das Fernsehen der DDR und der Rundfunk der DDR waren in der BRD -selbst im Zonenrandgebiet- nur schwer zu empfangen und durch Interferenzen gestört. Das fiel mir als radiofixierter Junge in den 1980ern bei Besuchen bei Oma im Zonenrandgebiet bei Lüchow-Dannenberg auf. Ich habe keine Beweise dafür, aber ich bin mir sicher, dass in unmittelbarer Nähe der DDR-Grenze das Fernsehen/ Radio der DDR hätte besser zu empfangen sein müssen. Auf der Stimme der DDR lag ein weisses Rauschen, auf ein Kessel Buntes rieselte leise der Schnee.



In dieser Zeit hörte ich natürlich gerne das Radio-Programm der BFBS, die einzige Quelle für alternative Musik der Post-Punk Ära. Ein Stück, das wie kein Zweites in diese Zeit passt, ist Computerwelt von Kraftwerk, das damals auch ab und an im Radio lief. Es beschrieb die Rätsel und Tabus hinter nicht identifizierbaren Daten. Es war die Zeit des nuklearen Patts, der Volkszählung, und der Beginn des digitalen Datenverkehrs. Im Radio tobte der Ätherkrieg: Oft gefiel es mir damals, einfach die Sender der Kurzwelle zu durchforsten. Das war eine tolle Beschäftigung an grauen Tagen in der niedersächsischen Provinz. Wenn die Wolken niedrig hingen, war der Empfang oft gut und man konnte auf Safari gehen: Sender aus Russland, Finland, Polen und in Sprachen, die ich nicht einordnen konnte. Eine bei mir besonders beliebte Station war der Deutsche Seewetterdienst. Ich wartete immer darauf, dass irgendwas mit Windstärke 5 oder 9 kam. Dann sagte die Frau immer: "Fünnef" oder "Neuen", weil das wohl besser zu verstehen sei. Auf Kurzwelle so üblich. Irgendwann landete ich bei einem Sender, da sagte eine Stimme ebenfalls "Fünnef" und noch viele andere Zahlen. Manchmal irgendwas in Richtung "Tango, Foxtrott, Delta, Lima, Charly...", dann Zahlenreihen. Dazwischen monotone Tonfolgen, Piep- oder Brummtöne. Ansonsten keine Informationen. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass es sich dabei um sogenannte "Zahlensender" handelte. Diese waren im kalten Krieg Sender des Militärs, von Agentennetzwerken oder diplomatischen Diensten. Sie übermitteln geheime Informationen, Lageberichte und Einsatzbefehle. Auch heute noch gibt es solche Sender.





In Russland gab es auch einige solcher Zahlensender, der sagenumwobenste ist UVB-76, genannt "The Buzzer". Sein Zweck wurde öffentlich nie geklärt. Wir können darüber nur Vermutungen anstellen. UVB-76 sendete, wie viele der mysteriösesten Stationen nur Brumm- oder Pieptöne, gelegentlich unterbrochen von sich wiederholenden Sprachmeldungen; Zahlen und Buchstabencodes, die sich über Jahrzehnte nicht veränderten. Um UVB-76 rankten sich allerhand obskure Theorien. Die Gruseligste ist wohl die der "toten Hand". Diese besagt, dass der Sender die Funktion eines Totmannschalters erfüllt. Dieses kennt man beispielsweise aus der Lokomotive. Hier muss der Fahrer alle paar Sekunden auf einen Schalter drücken, sonst wird der Zug automatisch gebremst. Für den Zahlensender besagt die Theorie, dass ein Ende des Funksignals einen atomaren Zweitschlag auslösen sollte. Würde also die UdSSR von Atomraketen angegriffen und die militärische Führung abgeschnitten oder getötet, löste sich automatisch der Zweitschlag.

Ob das stimmt oder nicht, kann niemand mit Gewissheit sagen. Aber der Verdacht beflügelt die Phantasien und vereinigt, wie so oft Fakt und Fiktion im "sub-medialen Raum". Mit diesem Terminus  beschreibt der russische Philosoph Boris Groys, dass sich hinter dem sichtbaren Zeichenraum, ein unsichtbarer Raum dunkler Geheimnisse verberge. In seinen Worten also: "dass sich hinter allem Sichtbaren etwas Unsichtbares verbirgt, das als Medium dieses Sichtbaren fungiert". 


Das Symptomatische für das Verhältnis der Menschen Anfang der 1980er Jahre zur Medien-, Kommunikations-, und Informationswelt lag in jenem, nach Edward Snowden aktualisierten, Verdacht des Unheils der digitalen, bzw. codierten Nachrichtenwelt gegenüber der analogen Welt. Was auch Kraftwerk in ihren Song „Nummern“ und „Computerwelt“ einarbeiten, war die Gewissheit einer gegenwärtigen und greifbaren medialen Realität, einer Kommunikation, deren durch die Zeichen selbst versiegelter Inhalt gleichsam Enigma und Tabu ist. Dass also (in den 1980ern wohlgemerkt in einer völlig anderen geopolitischen Situation) die Großmächte als abgeschottete Entitäten an den Menschen vorbei kommunizierten in einer codierten Geheimsprache, auf welche der gewöhnliche Mensch mit seinen Öffentlichkeitsapparaten keinen Einfluss nehmen konnte, betonierte das Gefühl des Ausgeliefert-Seins: Maschinen lenkten das Schicksal der Welt. Apparatschiks drückten in blindem Gehorsam nur noch die Knöpfe. Die Befehlsgewalt hatte Dr. Strangelove oder gar eine außer Kontrolle geratene Maschine, die von Menschenhand nicht mehr aufgehalten werden kann.
Dieses Verhältnis führte zu einer Skepsis gegenüber Maschinen und maschinen-basierter Datenerhebung, die in mancherlei kulturellem Erzeugnis die Feindschaft von Menschengeschlecht und Maschinen imaginierte und Filme, wie den Terminator von Ridley Scott hervorbrachte. Auch der Song „Computerstaat“ der Hamburger Punkband Abwärts zeugte von dieser Entfremdung. In der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit führte die Angst vor Maschinen- und Geheimdienstkontrolle zum Volkszählungsboykott und den dazugehörenden Demonstrationen.



Blickt man im Zeitalter von sozialer Netzwerke auf das zurück, wogegen sich die Bürgerbewegung in jener Zeit wehrte, kommt einem die Leichtfertigkeit, mit der man jahrelang soziale Netzwerke und ähnliches mit intimsten Informationen und sensibelsten Metadaten fütterte, geradezu wahnsinnig vor. Erst die NSA-Affäre brachte bei Öffentlichwerdung einen erneuten Einbruch von Skepsis in das Verhältnis von Mensch und Information. Doch wer heute von Vertrauensbruch spricht, sollte sich vielleicht zunächst fragen, wie es überhaupt erst zu einem Vertrauen kommen konnte.

Beides, das Vertrauen wie das Misstrauen bauen auf dem Verdacht auf: Einerseits, dass das Netz sicher sei, dass die Technologie die Privatheit der Menschen schützen könne und dass Staat und die Firmen, deren Kunde man ist, diese Privatsphäre respektierten. Andererseits das fatalistische Gegenbild: Einer omnipräsenten Überwachung sei mehr zu entkommen und Spione lauerte überall. Doch das neue Gefühl des Ausgeliefertseins unterscheidet sich von der Situation in den 1980er Jahren aber in einem besonders: Die damalige Disziplinargesellschaft und das lineare Kräfteverhältnis der Welt machten den den „Big Brother“ benennbar. In der heutigen Kontrollgesellschaft ist eine solche Adressierbarkeit von Kritik nur noch schwer vollziehbar. Ob und welche Staaten, welche Firmen, Verbrecher-Syndikate, Marktforschungsinstitute und Web-Dienste für Datengebrauch und -mißbrauch verantwortlich seien -wer könnte es in einer Welt potenziell überall lauernder Feindlichkeit noch mit Sicherheit sagen?



"Die Verbotenen Aufnahmen" von Jean-Teddy Philippe war eine Kurzfilmreihe, in der vermeintliche Amateuraufnahmen (angebl. von 1940-1980) von Übernatürlichem, Unerklärlichem und Mysteriösem berichteten. 

Schon der Titel diese Films deutet an, die Wahrheit der Bilder könnte im submedialen Raum zu finden sein. Dieser Raum erscheint so unergründlich, die darin verborgenen Wahrheiten so brisant, dass die Filmaufnahmen "verboten" sein. Dies suggeriert eine mediale Verschwörung, welche die Existenz von Außerirdischen, bizarre militärische Experimente und allerhand Paranormales zu verschleiern sucht.

In Wahrheit handelte es sich um ein fiktives Filmprojekt, dass mit dem Verdacht des Publikums und einem gebrochenen Verhältnis zur medialen Realität spielt. Das funktioniert bis heute ebenso gut wie die Mondlandungsverschwörung. Wer einmal bei youtube nach Beweisvideos dafür sucht, dass die Mondlandung nie stattgefunden hat, der kann hier fündig werden: Eine aberwitzige Anzahl von Beweisen und Interpretationen dafür, dass -so eine der vielen Legenden- die Mondlandung ausgerechnet von Stanley Kubrick in den White Sands der Wüste Nevadas aufgenommen wurde. Ähnlich geht es bei der Frage, wer John F Kennedy getötet habe. Oder bei den weitaus schwerer zu interpretierenden Bildern aus moderner Kriegsführung, z.B. Drohnenvideos, angeblichen Beweisen für Besuche von Außerirdischen und abstrusen, militärisch-wissenschaftlichen Geheim-Experimenten.



Seit Jahren kursiert ein schreckliches Video im Netz, in dem russische Forscher in den 1940er Jahren einem Hund den Kopf abtrennten und diesen durch einen Vorläufer der Herz-Lungen-Maschine am Leben erhielten. Als ich dieses Video durch Zufall zum ersten Mal sah, hielt ich es für echt und war von der Würdelosigkeit dieses Experiments erschüttert. Je mehr ich aber darüber nachdachte, umso unwahrscheinlicher kam mir dieses wahnwitzige Experiment vor. Je mehr ich nachforschte, umso mehr Theorien um Echtheit und Falschheit dieser Aufnahmen fand ich. So wurden sie für die einen zum Beleg für die Unmenschlichkeit der Forscher, gar zum Beweis für die Grausamkeit des Kommunismus. Andere fanden Indizien dafür, dass es sich um einen offensichtlich inszenierten Propagandafilm handelte, der angeblich die Überlegenheit der russischen Forschung in Szene setzen sollte. Dann wieder handelte es sich um einen amerikanischer Propagandafilm, der dem Ansehen der Sowjets schaden sollte. Stets fanden Beobachter Belege für die Echtheit oder den Fake.

Dabei spielten 5 Formen des Verdachts gegenüber diesen Bildern eine Rolle: 1. Der Verdacht, die Bilder könnten echt sein. 2. Der Verdacht, sie könnten lügen. 3. Der Verdacht der Machbarkeit; ein solches Experiment sei 1940 technisch möglich gewesen oder nicht. 4. Der Verdacht, Wissenschaftler seien zu einer solchen Grausamkeit fähig. 5. Es könne sich um Propaganda halten. Die ersten beiden Punkte beziehen sich auf die Glaubwürdigkeit der Technologie der Bildproduktion. Punkt drei und vier beziehen den Zweifel auf die Kredibilität des Dargestellten. Der letzte Punkt versucht die Glaubwürdigkeit der Bilder über eine vermeintliche Kompromittiertheit zu entkräften oder zu relativieren. Ich konnte jedenfalls keinen wirklichen Beweis für die Richtigkeit meiner Emotionen gegenüber dem russischen Film finden und ging dazu über, glauben zu wollen, es handle sich um einen Fake. Letztlich ist als der Verdacht mein Medium, an der Grausamkeit der Welt nicht verzweifeln zu müssen und so mein Leben zu erleichtern.


Der Verdacht, der am Wahrheitsgehalt von Bildern zweifelt, ist oft aber einer Grundannahme der Überlegenheit in Bezug auf das technische Vermögen von Bilderzeugern aufgesessen. Im Zeitalter von Bildmanipulationen und Bildpolitik sind die Bildproduktionsmaschinen alles andere als verlässliche Träger von Information geworden. Die plumpen Auslöschungen Leo Trotzkis aus dem offiziellen Bilderkanon der UdSSR sind in vielerlei Hinsicht zeitgenössischen Manipulationen ähnlich, obgleich letztere technisch avancierter sind. Die Fotoretuschen der russischen Propagandamaschine zogen ihre Kraft aus der damaligen Lesart von Fotografie. Das ist für unsere digitalen Bildwelten kaum anders. Oft bezieht sich also der Zweifel am Wahrheitsgehalt der Bilder auf den Inhalt und weniger auf die Produktionstechnik, deren darstellende Standards wir unbewusst als authentisch angenommen haben. Obwohl digitale Fälschungen doch erkennbar sind, ist es aufgrund der Abstraktion digitaler Bilder, das gilt insbesondere für Streaming-Media, immer schwieriger geworden, zwischen bearbeitetem und unbearbeitetem Bild zu unterscheiden. Einige Bilder sind so abstrakt, dass sie ohne Interpretation gar nicht auskommen können. Die Aufnahmen von Drohnen beispielsweise liefern Bilder von hohem Abstraktionsgehalt, die ohne externes Narrativ kaum noch in Beziehung zu setzen  sind. Und gerade an den Punkten, an denen wir es nicht mehr erkennen können und Bilder einen besonderen Deutungsbedarf auslösen, sind wir geneigt, hinter den Bildern mehr zu vermuten.

Der Verdacht, also die Annahme, jemand habe übel gehandelt, hat seinen sprachlichen Ursprung in der « Vordacht ». Gerne wird diese Nähe zur Vorverurteilung oder gar zum Vorurteil vergessen. Im Falle Edathy, in der Causa Wulff oder bei Uli Hoeneß schwingt die Vordacht mit, Politik und Institutionen hätten Dreck am Stecken. Dieser Argwohn kann in einer Demokratie hilfreich sein. Zieht er aber die Gültigkeit rechtsstaatlicher Prinzipien und Weisungen in konstanten Zweifel, so kann eine Inflation der Skandale ebenso symptomatisch für eine Krise der Demokratie sein wie das Fehlen solcher. Aufgabe der Presse ist es, die Demokratie zu kontrollieren, nicht ihre Legitimität in Abrede zu stellen. In den drei genannten Fällen betrieben Teile der Presse eine Affizierung der öffentlichen Meinung, der es an demokratischer Kultur mangelt.

Hinter jeder mediatisierten Realität lauert der sub-mediale Raum. Dieser liege, wie der Philosoph Boris Groys beschreibt, wie gesagt, hinter der medialen Oberfläche und unsereins käme nicht umhin, hinter jeder normativen Oberfläche einen Abgrund der Lüge zu vermuten. Je banaler der Anschein, umso stärker der Verdacht. Der Populismus einschlägiger Medien hat sich die detektivische Praxis von Medienwissenschaftlern bis zu Verschwörungstheoretikern längst angeeignet und modelliert damit die Einschlagskraft ihrer Nachrichten. Stets spüren Kolporteure die Möglichkeit zum Skandal auf. Volkszorn gegen Wellen der Sympathie. Was sozialen Unfrieden auch schürt; für den Nachrichtenmarkt ist es immer gut. 

Im Fall Edathy ist bis heute vieles unklar. Der Mutmaßung, es könne sich bei den Bildern, die Edathy im Internet bestellte, um Kinderpornografie handeln, reichte dank „gutem“ Timing bereits für die mediale Guillotine. Dass es sich bei den Bildern um Darstellungen nackter Kinder im Grenzbereich zur Pornografie handeln könnte, erfuhr man später. Die Justiz aber kann Grenzwertigkeit nicht verurteilen. Wo es keinen Verstoß gegen Gesetze gab, entbrannten erst Moraldebatten, dann der Ruf nach schärferen Gesetzen. Verdacht ist ein stumpfes Beil. Früher hat man versucht, durch Unterstellung von Homosexualität, das Ansehen politischer Gegner zu beschmutzen. Die Affäre Kißling war ein tragischer Fall. Damals hatte man versucht durch sexuelle Denunziation, in Form der Behauptung der ranghohe Bundesgeneral sei homosexuell, sich selbigem zu entledigen. Als Begründung für die folgende Amtsenthebung galt wiederum ein Verdacht: nämlich, dass Kißling durch seine sexuelle Orientierung in besonderem Masse erpressbar sei und durch seinen Umgang ein Sicherheitsrisiko darstelle. Ronald Schill versuchte später, Ole von Beust durch selbe sexuelle Denunziation zu erpressen. Er scheiterte. Die öffentliche Meinung hatte sich geändert. Der Satz: „Ich bin schwul und das ist auch gut so!“ stammte von Berlins regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit und besiegelte die Epoche homosexueller Denunziation. Wer sie heute hervorbrächte, würde gegen den neuerlichen moralischen Standards der political correctness verstoßen. Heute lautet der terminale Vorwurf: Pädophilie! Von ihm kann man sich nicht reinwaschen. So wie Kißling trotz Rehabilitierung in militärischen Kreisen für immer geächtet blieb, gilt heute, dass derjenige, dem Pädophilie auch nur vorgeworfen wird, selbst bei Freispruch nicht mehr unbedingt mit einer gesellschaftlichen Rehabilitierung rechnen kann. Der Verdacht ist, wie bereits erwähnt, gleichzeitig schon das Urteil. Im Zuge der britischen Operation Ore wurden tausende anhand von Kreditkartendaten dem Verdacht der Pädophilie ausgesetzt. Was die britische Polizei der Öffentlichkeit verschwieg, war ein großangelegter Kreditkartenmißbrauch, dem tausende zum Opfer fielen und so falsch beschuldigt wurden. Im Resultat bedeutete es über 100-fachen Kindesentzug für Väter und 33 Selbstmorde.


Beim Verdacht schwingt also auch eine Färbung mit, die wohlwollend oder eben nicht, die Möglichkeit einer Rehabilitierung ein- oder ausräumt. Ob eine mediatisierte vermeintliche Tatsache wahr ist oder nicht, kann dabei unter den Tisch fallen. Das ist bei der Schuldfrage eine meist personalisierte Angelegenheit, welche sich der öffentlichen Meinung unterwerfen muss. Zum Beispiel: Hoeneß war es nicht, und wenn doch, wiege es nicht so schlimm, er habe ja auch so viel für den Verein, ja für Deutschland getan. Und schon fragt man sich, ob der Verurteilte die Haftbedingungen überstehen werde oder ob er nicht daran zugrunde gehen könnte. Eine Empathie tritt zutage, die normalen Verbrechern normalerweise nicht begegnet. Im Gegenteil, werden die Normen des Rechtsstaats gerne mal aus den Angeln gehoben bei lauthalsen Forderungen nach Zwangskastration für Sexualstraftäter und Wiedereinführung der Todesstrafe. Ähnlich exzessive Forderungen werden, je nach Feindbild auch gerne für andere Gruppen als Maßnahmen angeführt. Man erinnere sich an Peter Fleischmann's Dokumentarfilm „Herbst der Gammler“, in denen sogenannten „gammelnden“ Jugendlichen, wegen Verstosses gegen das nazistisch-protestantische Arbeitsethos der Aufbaugeneration, den in schmerzhafter Kontinuität zur NS-Ideologie so genannten „Sozialschmarotzern“ Zwangswäsche, Arbeitslager und Todestrafe anempfohlen wird. Ein Diskurs, der sich -nota bene- bis heute, in geschwächter Form, in Bezug auf sogenannte „Integrations- und Arbeitsunwillige“ hält.



Im letzten Sommer schrieb ich einen Artikel über die Anklage von Jonathan Meese wegen des Zeigens des Hitlergrusses auf einer öffentlichen Veranstaltung. Später folgte eine Anklage wegen des Zeigens des Hitlergrusses und des angedeuteten Oralsex mit einer Alien-Puppe auf der Bühne des Mannheimer Theaters. Die Auftritte Meese's haben immer den Charakter der Performance. Eine beflissene Staatsanwaltschaft versuchte, sich durch eine solche Anklage gegen einen prominenten einen Namen zu machen. Doch das Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen auf der Bühne ist nicht das Selbe wie auf der Straße oder bei einer Demonstration. Nach dieser Logik müssten einige berühmte Collagen des anti-faschistischen Künstlers John Heartfield verboten sein.

Doch der Gesetzgeber kennt den Unterschied und garantiert die Freiheit der Kunst. Aus gutem Grund: Wir wollen ja eine Demokratie sein. Im Gegensatz zu Ländern wie Afghanistan gibt es hier per Gesetz a priori keine Bilderverbote. Bilderverbote gibt es bei uns -offiziell jedenfalls- nur in Bezug auf Persönlichkeitsrechte und andere Grundrechte Dritter, Jugendgefährdung, Pornografie und insbesondere Kinderpornografie. Jedoch schließt der Tatbestand der Pornografie den Kunstcharakter nicht zwingend aus. So entschied im berühmten Mutzenbacher-Prozess gar das Bundesverfassungsgericht in der Revision einer Klage des Rowohltverlages gegen die Zensur der Autobiografie der Dirne Josephine Mutzenbacher.



Im Bezug auf die Bilder ist es klar: Die Freiheit der Darstellung hat ihre Grenzen in der Verletzung von Grundrechten. Dabei ist es ganz gleichgültig, ob und wie man etwas moralisch oder qualitativ beurteilt. In diesem Grenzbereich bewegen sich einige Künstlerinnen und Künstler. Man kann beispielsweise die Darstellung von Frauen bei Helmuth Newton oder bei Mel Ramos und Allen Jones geteilter Meinung sein. Einen Shitstorm löste unlängst eine Skulptur von Bjarne Melgaard aus, ein angeblich sadomasochistisches und frauenverachtendes sowie rassistisches Sitzmöbel. Über den Zusammenhang von Frauenfeindlichkeit und Sadomaso müsste man gesondert diskutieren. In der öffentlichen Meinung geht es bei so einer Darstellung vornehmlich um Sexismus. Brisanz erhielt das Werk des Norwegers Melgaard, als sich eine russische Oligarchenfrau und Galeristin darauf setzte und für die Öffentlichkeit ablichten ließ. Verstanden hatte die Kunstkennerin das Werk offenbar nicht Sonst hätte sie sich als weiße Frau nicht für den Fototermin darauf gesetzt. Melgaard wurde auch selbst mit dem Vorwurf des Rassismus und der Frauenfeindlichkeit konfrontiert. Dabei handelte es sich bei dem Werk um ein Zitat eines Werks von Allen Jones, dessen angenommenen Sexismus Melgaard ins Rassistische steigerte. Aber ist er deshalb auch selber ein Rassist? Nein, das ist er nicht. Die Meta-Ebene des Werks verlangt gelesen zu werden. Gerade hierin besteht ja der Kunstcharakter.



Balthus hat sich stets gegen den Pädophilie-Verdacht gewehrt und gesagt, das läge alles an Nabokov und der Konjunktur der Freud'schen Psychoanalyse in bürgerlichen Kreisen ab den 1950er Jahren. In der Tat kann man seinen Gemälden halbwüchsiger Mädchen den Kunstcharakter nicht absprechen. Dennoch wohnt Ihnen das inne, was sich in seinen im hohen Alter angefertigten Polaroids offenbaren sollte: Ein pädophiler Blick.

Auch Edathy verteidigt sich ähnlich und das ist strategisch klug. Er behauptet, bei den von ihm bestellten Bildern handle es sich um Kunst. Das ist geschickt, denn er stellt damit der öffentlichen Meinung eine Falle. Sein Gegenverdacht: Hinter der entfesselten Moral lauere die Doppelmoral. Da man die betreffenden Bilder nicht gesehen hat, findet die Debatte allerdings anhand eines Phantoms statt. Über die Grenzwertigkeit einiger Darstellungen kann man sich durchaus auch mit dem Blick auf den bürgerlichen Kunstgeschmack streiten. Die Gemälde eines Balthus, mit ihrer obsessiven Darstellung sich räkelnder, halbwüchsiger Mädchen, eindeutiger noch die jüngst ausgestellten, privaten Polaroids, offenbaren den lüsternen Blick von Opa Pervers. Der Kunstgehalt ist diskutabel, die juristische Situation unklar. Die öffentliche Meinung ist aber der gnadenloseste aller Richter. So beschloss das Essener Folkwang Museum im Februar die angekündigte Ausstellung der Balthus-Polaroids lieber abzusagen.

Verselbständigt sich der zum gesellschaftlichen Medium gewordene Verdacht hier, wird er zum gelenkten Instrument dort. Das Boulevard ist bei der öffentlichen Meinungsbildung stets an vorderster Front. Man erinnere sich an die peinliche Geschichte 2004 im Kunstraum Kreuzberg, als B.Z. und Bild-Zeitung anlässlich der Ausstellung « When love turns to poison » zum Thema Pädophilie einen Skandal herbeiführen wollten, wohl mit dem Ziel, die damalige PDS-Bürgermeisterin zu Fall zu bringen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema wurde ins Gegenteil interpretiert. Doch der Skandal war ein Rohrkrepierer. « Wollita », hieß ein Werk von Françoise Cactus, auch bekannt als Sängerin der Band „Stereo Total“. Die große, nackte Strickpuppe mit dem Sex-Appeal des Topflappens wurde vermeintlich zum Indiz für Pädophilieverharmlosung. Dabei wurde sie nach dem Vorbild einer Sexanzeige in der B.Z. geschaffen. Abgründe der Manipulation taten sich auf, als der stadtbekannte Kirchenstörer Roy im rein zufälligen Beisein der Presse Teile die Ausstellung zerstörte. Der Zwergenaufstand des christlichen Fundamentalisten wurde zum Bildersturm einer aufgebrachten Kirchengemeinde umgedichtet.



Als habe man nichts dazu gelernt, plante das Boulevard vor zwei Wochen die aufgeheizte Stimmung um Edathy mit einem weiteren Pädophilie-Verdacht zu befeuern. In einer Ausstellung in der Galerie des Lichtenberger Rathauses waren auf Bildern der Malerin Claudia Clemens nackte Kinder zu sehen. Die üblichen Presseorgane streuten den Verdacht, im SPD-geführten Rathaus werde Kinderpornographie gezeigt. Das triefte vor Sensationalismus. Aber leider wieder nur Fehlanzeige. Als wolle man es betonen, zensierte man für den Abdruck in der B.Z. den Genitalbereich in zwei Kinderdarstellungen. Es handelte sich bei den Bildern aber nicht um Pornografie. Wer jedoch in einer Darstellung eines nackten Kindes partout etwas pornografisches entdecken möchte, könnte der nicht selbst eines perversen Blicks verdächtigt werden? Ich selbst habe in meiner Zeit an der Kunsthochschule beobachten können, wie Gemüter hoch kochten, als ich ein Foto von einem Jungen zeigte, der in Unterhosen auf einem Ehebett saß und dessen Augenpaar mit einem schwarzen Balken anonymisiert wurde. Mit schlimmen Vorwürfen konfrontiert, konnte ich nur grinsend antworten, dass es sich bei dem Jungen um mich selbst handelte und verwies, nicht ohne Häme, auf den Titel des Bildes : « Schönheit und Verbrechen liegen im Auge des Betrachters. »



Was gezeigt und was verdeckt wird, obliegt immer gesellschaftlichen Übereinkünften oder Tabus. In der Kunst, kann die rituelle Rahmenbedingung der Kunstrezeption und ihres Kanons, dafür sorgen, dass obszöne Inhalte durch die Vergeistigung der Kunst (oder aber auch der Religion) eine gesellschaftlich akzeptable Form erhalten. Damit solche Mechanismen zum Funktionieren gelangen, muss die diesem zugrundeliegende Technê verheimlicht werden. (Zur Erklärung: Technê, ein Begriff aus der griechischen Antike, in der es unter diesem Begriff zu keiner Unterscheidung von Kunst und Technik kam. Einem Verständnis dieses Begriffs können wir näher kommen können, wenn wir den Begriff der „Fertigkeit“ den Begriffen der Kunst und der Technik nebenstellen.) So beschreibt in der heutigen Bedeutung Technê, Achtung! Jetzt wird es kompliziert!- einerseits die Fertigkeit zur Abbildung menschlicher Bedürfnisse und Phantasmen und andererseits die Rückwirkung der hierzu gebrauchten Technik auf die Hervorrufung, die Imaginationstechniken, gar die Potenzierung besagter Bedürfnisse und Phantasmen. Moralische und sittliche Standards geben vor, in welchem Rahmen dies geschehen kann. Mitunter liegt aber gerade in der Offenlegung der Technê selbst eine Obszönität. Wenn zum Beispiel Regisseure wie Pasolini oder Fellini die technische Seite der inszenatorischen Praktiken des Katholizismus mittels unterschwelliger Obszönität offenlegen. Sozusagen wird das Aufzeigen der Obszönität selbst als obszön gebranntmarkt, und zwar von jenen Kräften die obszöne Technê an den Tag legen. Das kann die katholische Kirche mit ihrer durch und durch sinnlichen Kunst sein, das kann die US-Regierung mit ihrer Reaktion auf Whistleblower sein.

Die Turaeg-Männer bedecken ihren Mund mit einem Schleier. Sie empfinden das hervorzeigen des Mundes als obszön. Das Verdecken des Sprachorgans bedeutet ein Verbergen der Körperöffnung durch die Sprache und Information ausgetauscht und verbreitet wird. Wir alle kennen die sprichwörtliche Geste der vorgehaltenen Hand, wenn Indiskretionen, Gerüchte, Geheimnisse und ungesicherte Informationen verbreitet werden. Das Aufzeigen der Kulturtechnik des Lügens ist selbst eine Kulturtechnik. In diesem dialektischen Verhältnis steht, zumindest in unserem Kulturkreis, ein Kreislauf aus Verdacht, Kritik, Denunziation, Abwehr und Dementi. Ebenso verhält es sich für eine mediale Welt, in der verborgene Wahrheiten hinter der Technik aufgedeckt werden. Es gibt eine Szene in Twin Peaks – Fire walk with me, also der Kinoversion der gleichnamigen Serie, übrigens für mich ein hiervon getrennt zu beachtendes Filmkunstwerk David Lynch's, in dem die Protagonistin Laura Palmer in ihrem Schlafzimmer liegt und eine an der Wand hängende Fotografie betrachtet, in der ihr Zimmer mit einer zum Spalt geöffneten Tür zu sehen ist.


Je länger sie das Bild betrachtet, umso mehr hat sie das Gefühl, in das Bild eindringen zu können, sich in ihm zu bewegen, bzw., dass das Bild ein Eigenleben besitzt. Dieses Vermögen zur Immersion, offenbart sich, als sie den Raum verlässt und spürt, dass sich auch auf der Fotografie die Tür weiter öffnet und sie sich nach kurzem Zögern entscheidet, ihr Zimmer zu verlassen und den unheilvollen Raum der unheimlichen Fotografie zu betreten. Die Phantasmagorie hat ihre Technik gefunden. Laura Palmer betritt den submedialen Raum. Der Verdacht tauscht die spekulative Ebene gegen eine nicht weniger spekulative, aber als wahr angenommene mediale Realität ein. In diesem Zusammenhang sei an die Verhaftung des Berliner Soziologen und Universitätsprofessors Andrej Holm erinnert. Am 31. Juli 2007 wurde er wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet, weil sich in einem Bekennerschreiben der sogenannten „Militanten Gruppe“ die Vokabeln „Gentrifizierung“ und „Prekarisierung“ fanden, die Holm in seinen Veröffentlichungen auch benutzte, wie das BKA in glorioser Internetrecherche herausfand. Die Anklage musste später fallen gelassen werden, die Militante Gruppe stellte sich als kriminelle Vereinigung heraus und nicht als terroristische. Die Verbindungen zur Gruppe konnten dann doch nicht nachgewiesen werden, da das Fehlen von Kontaktdaten eben nicht konspirativer Natur war, so der Verdacht der Staatsanwaltschaft, sondern wohl eher nicht existent. Ein falscher Verdacht der offenlegt: die offensichtlich gewordene Totalüberwachung der Bürger hat nicht dazu geführt, dass diese gesteigerte Überwachungskompetenzu einer grösseren Effizienz bei der Erfassung von Straftaten geführt habe. Spiegelt auch hier die Technê der Überwachung die Fantasmagorien der Staatsanwälte und ermittelnden Behörden? Eine Antwort erlaube ich mir, juristische Komplikationen vermutend, nicht und verbleibe, mit herzlichen Grüßen aus dem Celler Loch!