„What
looks good today may not look good tomorrow“. Dieser Satz prangte
wie nagender Selbstzweifel an der Beständigkeit des eigenen Werks
auf einem Bild des früh verstorbenen Malers Michel Majerus (1967
– 2002). War der künstlerische Erfolg nur dem
kontemporären Massengeschmack geschuldet? Was wir heute als
ästhetisch ansprechend Empfinden, könnte schon morgen ein Dorn im
Auge sein. Doch jener wandlungsfähige Geschmack, der die derzeit
angesagten Maler schon morgen in die Depots verbannt und in den
Innenstädten mit der Abrissbirne jähe Gewalt an der Architektur
kaum vergangener Dekaden verübt, könnte schon morgen wieder passé
sein. Das Schicksal der Architektur ist von dem der Bildkunst aber
verschieden. Kunst, die nicht mehr gefällt würden wir kaum
zerstören. Bilderstürme haben zurecht den Ruch des Barbarischen. So
lagern wir unliebsame Kunst von Gestern lieber in Depots. Bauwerken
aber, die nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen, droht der Abriss .
Altstadt
kracht, Bargeld lacht. Um Investoren anzulocken, sind unternehmerisch
agierende Städte bereit, für schnelles Geld unwiederbringlichen
Schaden am urbanen architektonischen Erbe anzurichten. Man kann
angesichts desaströser Großprojekte der konkurrierenden Metropolen
wissen, warum die Städte stetig auf der Suche nach neuem Geld sind,
ohne Verständnis dafür aufzubringen. Dass zu viel Wettbewerb den
Städten langfristig schadet, kann man an defizitären
Großbauvorhaben, an Gentrifizierung und urbaner Normalisierung
erkennen. In überteuerten Innenstädten verschwinden
Alteingesessene. Die immer gleichen Fußgängerzonen und
Einkaufszentren erwachsen. Neben brutalistischer
Landmarken-Architektur hat sich ein Teil der Stadtentwickler dem
nostalgischen Bauen verschrieben. So oder so hofft man, durch
artifizielle Alleinstellungsmerkmale im City-Ranking zu punkten.
Dabei verschwindet Altes, damit vermeintlich Älteres neu entstehen
kann. Interessanterweise sind es gerade die zur Betonung
einzigartigen Flairs auferstandenen „historischen“ Altstädte,
die mit ihren Attrappen zu dem befürchteten Einerlei beitragen. Ihr
im Baustoff ausgetragener Kampf gegen die Geschichtslosigkeit
entspricht in haarsträubender Weise den Anrufungen altdeutscher
Blockrandbebauung, römischer Foren, griechischer Tempel und
sizilianischer Landszenen, die uns längst in Einkaufszentren quälen.
Es
entstehen ahistorische Stadträume, die mit künstlich ersonnener
Geschichtlichkeit aufgefüllt werden. Das Argument, den Menschen in
Zeiten der Globalisierung mit romantischem Fachwerk ein Gefühl der
Geborgenheit zu geben, erscheint dürftig, angesichts des
Verschwindens von sozialen Stadtgefügen, die Menschen ihr Leben lang
geprägt haben. Letzte sind mehr Teil der eigenen Geschichte als der
Zombie-Stuck aus der Retorte. Die Leitbilder der unkritischen
Rekonstruktion scheinen offensichtlicher dem Citymarketing zu
entspringen, als einem veritablen Interesse für Tradition. So fallen
interessante bauliche Ensembles der architektonischen Moderne immer
wieder dem finanziellen Interesse zum Opfer. Rekonstruktionen sind
Wirtschaftsfaktor. Die Tatsache, dass diese inkorrekten
Interpretationen von Barock bis Biedermeier Geschichte lediglich
symbolisieren, stört dabei wohl wenig. Simulakrum nennt man den
Ersatz, der das Original auslöscht. Der Frankfurter Römer oder die
sogenannte Altstadt von Hannover sind nicht nur notorische Beispiele
für mangelnde Akkuratesse. Bislang werden sie nicht nur von
Touristen, sondern auch von Einheimischen als Originale angenommen.
Solch historisierende Bauten bleiben aber letztlich referenzlos.
Ob
es im Fachwerk nach Tiefgarage mufft oder der hastig verputzte Barock
schon bröckelt; der Baukunst der alten Meister scheint kein modernes
Bauunternehmen gewachsen. Das moderne Bauen indes hat seine eigenen
Techniken. Werden diese meisterlich ausgeführt, tun wir uns oft
schwer, dies zu erkennen. Die landläufige Meinung von der
Hässlichkeit der Moderne, kann nur aus einer Unkenntnis kommen, die
zwischen Plattenbau und Corbusierhaus nicht zu unterscheiden vermag.
Mehr aus Ressentiment denn aus klarem Empfinden zieht sie den
Schnörkel der klaren Kante vor. Ungepflegt, nachlässig renoviert
und vom Denkmalschutz im Stich gelassen -bleiben von der Moderne
bald nur einstürzende Neubauten?
Nun
sind die Hamburger City-Hochhäuser vom Abriss bedroht. Trotz
Denkmalschutz empfahl die Finanzbehörde der Hansestadt den Rückbau
und Verkauf. Der Gebäudekomplex befindet sich auf einem Filet-Stück,
das der Hamburger Bau-Senat schon lange versucht, gewinnträchtig zu
verkaufen und den Ausverkauf der städtischen Liegenschaften um die
Speicherstadt weiter voranzutreiben. Das Argument gegen die 1955
errichteten Häuser sei eine angebliche Hässlichkeit, die heute
nicht mehr zeitgemäß sei. Die Frage, ob Hässlichkeit heute nicht
mehr zeitgemäß ist, erspare ich mir zu vertiefen. Werfen wir
stattdessen einen genaueren Blick auf diese Bauten: Die Gebäude
waren die ersten Hamburger Hochhäuser nach Kriegsende. Die
Scheibenhäuser brachen mit dem hanseatischen Blockrand und stellten
somit ein luftiges Novum am Rande der Speicherstadt dar. Erst in den
siebziger Jahren wurden sie in jenes graue Büßergewand aus Eternit
gesteckt, an dem viele, vielleicht zurecht, Anstoß nehmen. Darunter
verbirgt sich die weiß gekachelte Originalfassade aus den 1950er
Jahren. Daher muss es gelten, zwischen dem Original und seiner
Modifikation zu unterscheiden.
Der
Architekt des „City-Hof“, Rudolf Klophaus, war indes gewiss kein
Vertreter der Avantgarde. Je nach Zeitgeschmack vermittelte er stets
zwischen Tradition und Moderne. Diese Strategie war vielleicht
maßgeblich für sein umfangreiches Bauen in drei verschiedenen
politischen Systemen. Zur Zeit der Weimarer Republik bekannt geworden
durch einen hanseatisch verhaltenen Backsteinexpressionismus,
versuchte er sich unter Hitler mit völkischen Elementen und
regionalistischem Couleur. Ab 1948 durfte der forthin als
entnazifiziert geltende Architekt seine Arbeit wieder aufnehmen. Mit
dem „City-Hof“ baute er eine monumentale Verkörperung eines
-sicherheitshalber dem internationalen Stil verpflichteten- neuen
Selbstbewusstseins des westlichen Nachkriegsdeutschland. Diese wenig
bescheidenen Häuser geben, mit einem Hauch von Entenhausen,
Aufschluß über eine Zeitepoche, deren ideologieträchtige Ästhetik
in der Kulturgeschichte bislang wenig vertieft wurde. Daher sind sie
für die fünfziger Jahre baugeschichtlich relevant.
Dass
subjektives Schönheitsempfinden kein Argument für den Denkmalschutz
sein kann, leuchtet ein. Gebäude sollen erhalten bleiben ob ihrer
zeitgeschichtlichen Bedeutung. Doch gerade hier tut man sich oft
schwer. Verschämt verhüllt man moderne Bauten, lässt sie gar
verkommen. Insbesondere in Bezug auf das architektonische Erbe der
DDR haben sich Stadtentwickler und Architekten als besonders
ideologisch und wenig kulturgeschichtlich behutsam erwiesen. Das
Trauerspiel um den Palast der Republik und den Wiederaufbau des
Berliner Stadtschloss ist nur eines von vielen Beispielen. Die beim
Publikum erfolgreichsten Rekonstruktionen werden mitunter der
Denkmalfunktion am wenigsten gerecht. Bunkerarchitekturen entfalten,
auch dank ihrer Klobigkeit, die Fähigkeit zum Denkmal. Die
Zeitepoche, die es repräsentiert, sollte dem Betrachter in der
Gesamtheit von Aufstieg und Niedergang gegenwärtig werden. Ob die
Frauenkirche in Dresden nicht im eingestürzten Zustand mehr
Denkmalcharakter hatte, als in ihrer jetzigen Form als touristische
Altstadtkulisse, darüber kann man streiten. Weder Ästhetik noch
kommerzielle Erwägungen können für den Denkmalschutz
ausschlaggebend sein. Die Vorstellung, dass wir uns künftig nur noch
mit dem Erbe der Geschichte beschäftigen, wenn dieses erquicklich
und den Augen wohlgefällig ist, beschwört eine schöne neue Welt,
in der ich nicht leben möchte. Historische Rekonstruktionen aber
sind Neubauten. Diese rückwärtsgewandte Mode, könnte schon morgen
ein Ärgernis sein. Wer hingegen die Spuren der neueren Geschichte
auslöscht, trägt eventuell die Verantwortung für die lästigen
Rekonstruktionen von morgen.
Aus einem Vortrag bei Gitte Bohr - in Zusammenarbeit mit Eva May
Mit
dem Aufbau Ost wurden nicht nur die berüchtigten beleuchteten Wiesen
gefördert, also Strukturmaßnahmen mit kurzsichtigem Blick auf die demografische Entwicklung. Mit dem Aufbau Ost wurden ebenso nicht einfach die maroden Innenstädte Ostdeutschlands vor dem Verfall gerettet. Es
schlich sich gleichfalls ein Bauprogramm ein, dass sich der Auslöschung des
ästhetischen Erbes der DDR verschrieben hatte. Davon zeugt nicht nur
der Abriss des Palastes der Republik, die Verhunzung eines
einzigartigen und anspruchsvollen architektonischen Kontinuums an
Alexanderplatz oder die rigorose Schleifung von Siedlungen des sozialistischen
Wohnungsbaus. Ganz unmerklich zeigt sich in Bezirken wie
Pankow, dass intakte Stadtmöbel, Pflaster, Beleuchtungen systematisch
durch westdeutsche Industriestandards ersetzt werden. Während die
Kommunen für diese versteckte Umgestaltung des öffentlichen Raums
einen Haufen Geld ausgeben, geschieht auf der Ebene des kulturellen
Erbes etwas ganz und gar bedenkliches: Die historische
Rekonstruktion. Sie ist in vielerlei Hinsicht umstritten. Denn wo
Frauenkirche oder Stadtschloss eine historische Blutgrätsche
zwischen Preußen und der Ära Kohl hinlegen, sind neben allen
Vorwürfen in puncto Restaurationsästhetik auch durchaus
qualitative Mängel der historischen Rekonstruktionen auszumachen.
Mit vergleichsweise geringem finanziellen und vor allem
zeitlichen Aufwand wird versucht, architektonische Meisterschaft mit
billigem Material und so wenig Arbeitsstunden als möglich
hinzulegen. Das Ergebnis sind kostspielige, aber
banale und schlampig ausgeführte Surrogate, die mehr dazu angedacht
sind, den Geist einer idealisierten und längst nicht mehr
existierenden Heimat anzurufen und ganz nebenbei die politische
Durchsetzungskraft der regierenden Bauträger zu repräsentieren,
einer Handlungsgewalt, die Fakten schafft.
Doch
welch restaurativen Geist noch die im Wiederaufbau Westdeutschlands
dominierende Nachkriegsmoderne glücklicherweise vermissen ließ,
zeigte sich bereits etwa ab den 1980er Jahren in westlichen
Metropolen. Die historische Rekonstruktion Hannovers oder Frankfurts
sind ein Paradebeispiel des schlechten Geschmacks und ahistorischer Idealisierung. Gewiß waren sie Reaktion auf eine brutalisierte Version der Moderne, welche aufgrund ihrer groben
Formsprache einerseits, andererseits aufgrund der schlechten Qualität
und des massiven Einsatzes von Beton auf Otto Normalgeschmack bedrohlich wirkte. Wo der Historie denn keine war, musste man sie
denn erfinden. Kein alleinig westdeutsches Phänomen. Das Ostberliner
Nikolaiviertel ist mit seinen Rekonstruktionen in Plattenbauweise eine ebensolche Geschmacklosigkeit. Jedoch gab es
vor dieser konservativen Zäsur in den 1980er Jahren einenmodernen Geist in der Architektur beider deutscher Staaten, der heute von rückwärtsgewandten Tastemakers ebenso abgelehnt wird. Neben der verhassten DDR-Ästhetik fällt ihr mitunter auch die West-Moderne zum Opfer. Der selbstbezeichnet „gerechte“ Zorn des Gunnar
Schupelius traf in der BZ im letzten Sommer die Pläne, Karl-Marx
Allee und Hansa Viertel in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes
aufzunehmen. Das Aufbegehren des Berufsdemagogen Schupelius gegen den
Schutz des Stalinistischen Prunkbaus im Zuckerbäckerstil verwundert
wenig.
Interessant
aber, wie der Schreiber gegen die Bauten der Internationalen
Bauausstellung von 1957 im Berliner Hansa-Viertel wettert. Die Bauten des internationalen Who is
Who der Nachkriegsmoderne und die Kunstwerke scheinen ihm nicht
schützenswert: Die Häuser von Alvar Aalto, Le Corbusier, Walter
Gropius, Arne Jacobsen, Oskar Niemeyer, Max Taut, um nur einige zu
nennen, sind für den Experten von der BZ lediglich „eine
Ansammlung von mehr oder weniger durchschnittlichen Hochhäusern“.
Er findet, das Charlottenburger Schloss sei da ein würdigerer
Kandidat. Doch die Favorisierung dieses nicht herausragenden
Schlossbaus, der immerhin dreimal den Baumeister wechseln musste,
zeugt von einem künstlerischen Unverständnis, das Schupelius -die
Speerspitze des guten Geschmacks- durchaus in die Moderne zu spiegeln
weiß. Dabei war es gerade die Architektur der Nachkriegsmoderne, die
dem restaurativen Adenauer Staat vielerorts sich widersetzte. Für
den Wiederaufbau Deutschlands und eine zaghafte Wiederherstellung
internationalen Ansehens war nämlich die Nachkriegsmoderne nicht
unerheblich. Wenn es eine Frage nach einer westdeutschen Ästhetik
gibt, so kann man sie vielleicht beantworten als konfliktuelle
Abbildung eines restaurativen Geistes in der Auseinandersetzung mit den
Künsten, die sich zunächst erfolgreich gegen Naziästhetik und
Neoklassik abzusetzten suchten, wennauch ihre Formsprache (gerade in der Architektur) nicht selten für die Repräsentation eines erstarkenden Kapitalismus und als Anti-Kommunistisches Bollwerk herhalten musste.
Links: Niemeyerhaus im Hansaviertel, Rechts: B.Z. Kampagne verrät viel über die Ästhtik der West-Berliner Konservativen
Die bildende Kunst
versuchte sich mit dem Informel der Vereinahmung durch
Staatsästhetiken zu entziehen, was ihr im Gegensatz zum (durch die CIA geförderten) Abstrakten Impressionismus in den USA auch streckenweise gelang. Die Abstrakt-Konkreten bauten das
Neue und straften mit Aktualität das Vergangene ab. Der
kapitalistische Realismus der Gruppe um Polke und Richter
konterkarierte hingegen mit einer vermeintlich westdeutschen Version
des Sozialistischen Realismus die neu erstehende Konsumkultur. Ihre
Gegenwartskritik zeigte, dass bildnerische Opposition auch
gegenständlich formulierbar war, womit sie, als veritable deutsche Form der Pop-Art, dem Informel widersprachen. Fluxus zeigte, wie in dieser
Auseinandersetzung die Bilder der unangenehmen Vergangenheit oder
einer Gegenwart, unangenehm und ohne Angst vor der Repräsentation
gezeigt werden können: zerschnitten, verbrannt, verschimmelt.
Der Film des jungen
Deutschland wurde dominiert von einer bereits in Kriegsunterhaltung
und Weltflucht geübten UfA und Neuverfilmungen von Stoffen, die
bereits von Goebbels genehmigt wurden. Heinz Erhard, Peter Alexander & Co. Die drei von der Tankstellen mit Bruchpilot Heinz Rühmann, Nachts im
grünen Kakadu, das weiße Rössl und Charly's Tante, allerhand
Verwechslungskomödien und Revuefilme standen für seichte
Unterhaltung und anstrengenden bis pathologischen Humor.
Interessanter hier das Genre der Heimatfilme: In ihrer stets prächtig
fotografierten Ländlichkeit fingen sie ein Defizit an heiler Welt
auf und waren Brot der frühen Jahre. Wichtiger aber noch, wie sie
mit ihrer klaren Unterteilung von „gut“ und „böse“, um die
Wiederherstellung moralischer Standards bemüht waren. Man kann
darüber streiten, ob die durch den Krieg zerrüttete Gesellschaft
jetzt mehr Bedarf an Werten hatte oder übermäßig an dem erlebten
Autoritätsverlust litt. Jeder mag selbst für sich die Frage
entscheiden, ob der Förster vom Silberwald an die Stelle Adolf
Hitlers getreten war und der Wilderer aus selbigem deutschem Wald an die
Stelle des „ewigen Juden“.
Ein viel versprechender
Anfang des Nachkriegskinos war der Trümmerfilm. Doch der Bedarf an
realistischen Szenarios war gering. Roberto Rossellini drehte mit
„Germania anno zero“ 1947 einen der ersten Spielfilme im
zerstörten Berlin. Er wurde in Deutschland kaum gezeigt und eine
typische Reaktion einer ablehnenden Filkritik ist Hans Habe's
Kommentar aus der Süddeutschen von 1949: „Rossellini pflückt in
diesem Film nicht Blumen vom Grab einer Nation, er erbricht sich in
den Sarg.“
Als erster Film
Nachkriegsdeutschlands gilt Wolfgang Staudte's „Die Mörder sind
unter uns“ von 1946. Dieser bekam aber überwiegend gute Kritiken, mitunter auch weil er die schwer benötigte Rekonstitution ethischer Standards zeigte und weil er schon damals den Mythos
des „guten Deutschen“ im bösen System bemühte. Manchmal ist der Verriß doch mehr Ritterschlag.
In seinem Titel deutet
sich jedoch an, was später zum zentralen Motiv der Studentenbewegung
werden würde, nämlich, dass der neue Staat von den alten Köpfen
regiert und rekonstituiert wurde. Politiker, Richter, Polizisten: die
Mörder waren unter uns! Die Benennung der weiten Durchsetzung der Westdeutschen Gesellschaft mit alten Nazis durch die protestierenden Studenten steht aber im Unterschied zum noch zaghaft kritischen Bild minoritärer Kriegsverbrecher, die sich der Verantwortung entzögen.
Umso mehr, will man sich
einer Westdeutschen Ästhetik nähern, muss man das Zusammenspiel von
kritischer und offizieller Kultur betrachten. Und man kann wohl
sagen, dass die Meinungsbildung und das ästhetische Gesamtbild der
BRD aus dem Miteinander von Repräsentationsästhetik und der
Künstlerkritik bestand, in einer Zeit, da der öffentliche
Intellektuelle von Böll bis Beuys noch existierte.
Neu war die sich im
Fahrwasser des Marschall-Plans entwickelnde Konsum- und
Verdrängungskultur. Wolfgang Neuss besingt sie in „Hier kommt das
Wirtschaftswunder“.
Die Kinder des neuerstehenden westdeutschen
Spiesser-Staats benehmen sich sonderbar. Was sich nicht einordnet
wird kriminalisert. Eine teilweise noch vom Krieg verrohte
Nachkriegsjugend durfte nicht auf Verständnis hoffen. Sie wurde als
„Halbstark“ kriminalisiert und in Heime gesteckt. Was dort aber
unter der Oberfläche brodelte, war nicht einfach Ausdruck
unerklärlicher Gewaltorientiertheit undankbarer James
Dean-Verschnitte. Was hier köchelte, lässt unverarbeitete
Kriegstraumata und soziale Probleme der Nachkriegszeit erahnen.
Von ihnen ist im kollektiven Gedächtnis eher wenig hängen geblieben. Ebenso wie von
den sozialen Bewegungen der 1950er Jahre. Die Jugend indes, begehrte
ab den 1960er immer stärker auch offensiv und verbal gegen die
Wirtschaftswundergesellschaft der Väter auf. Wie stark noch soziale
Unangepasstheit mit dem Stigma des nazistischen Sozialhasses gegen
Randständige belegt war und mit welcher Empörung der
bundesrepublikanische Spiessbürger auf solche Jugendliche reagierte, zeigt sich in geradezu beschämende Weise in Peter Fleischmann's
Dokumentarfilm „Herbst der Gammler“.
Mein Film: „Republik
der Gespenster“ zeigt Ausschnitte aus Rossellini's „Deutschland
Stunde Null“ und Wofgang Staudte's Verfilmung von Heinrich Mann's
„Untertan“. Die Untertitel liefern Auszüge aus einem Brief Rudi
Dutschke's an seinen Attentäter Josef Bachmann, einen autoritären
Charakter, der sich kurze Zeit später im Gefängnis umbrachte, ganz
wie der Protagonist in Rossellini's Film. Der Junge verliert den
Führer, "verliert" den Verführer -ein pädophiler Lehrer und Alt-Nazi, der sich dem Jungen als väterlicher Freund anbietet- und tötet seinen schwachen Vater und
schließlich in der drastischen und bis dahin noch nie gezeigten Szene eines Kinderselbstmords- sich selbst.
Das Deutschland des
Wirtschaftswunders gestaltet sich nach amerikanischem Vorbild aus,
übernimmt, wo möglich, bereitwillig die Konsumkultur. Dass es eine
Auseinandersetzung in Form von Deutscher Pop-Art gab, habe ich
bereits angedeutet. Wir sehen hier noch ein paar sehr kurze Filme
von Peter Roehr, indem das Wissen um den Benjaminschen Aufsatzes von
technischen Reproduzierbarkeit des Bildes enthalten ist. Dieser
Aufsatz erschien übrigens erst in den 1060er Jahren in Buchform auf
Deutsch. Der früh verstorbene Foto- und Filmkünstler Peter Roehr
steht mit seinen radikalen Filmloops an der Schnittstelle zwischen
Pop-Art und Minimal. Er formuliert mit der Kraft der Wiederholung
einen subtile Kritik an der Konsumkultur, bevor dafür die
diskursiven Standards der Situationnisten verfügbar waren und bevor sich eine Konsumkritik sprachlich in Deutschland verfestigte. Gleichzeitig nimmt er
eine Pionier-Stellung der Video-Kunst der 1970er ein. Klaus vom Bruch;
Marcel Odenbach und andere stehen in seiner Nachfolge.
Die Siebziger Jahre brachten mit dem Neuen Deutschen Film eine Auseinandersetzung mit dem Staat, seiner Gesellschaft und seiner Ästhetik, die bis heute nicht wieder erreicht wurde. Wie kein anderes Medium nahm der Film Einfluß auf die politischen Diskurse und die öfentliche Meinung. Stand das 1961 verfasste Oberhausener Manifest noch in verzweifelter Opposition zur Realität, sollte es dem Autorenfilm der Siebziger gelingen, wesentliche gesellschaftliche Debatten auszulösen oder mitzugestalten. Krieg und Restauration, Holocaust und Vietnam, Jugend-, Frauen- und Schwulenrechte, ja sogar Umweltschutz waren die Themen des jungen Films. Straub, Schlöndorff, Verhoeven, Petersen, von Trotha, Kluge, von Praunheim und natürlich Fassbinder brachten die Thematiken auf die Leinwände, die Fernseher und in die Feuilletons und in die Talk-Shows. Journalisten, Politiker und Künstler unterhielten sich direkt oder indirekt. Doch diese Zeit des schon geglaubten Aufbruchs sollte bald enden. Die Transformation
Deutschlands ab der Ära Kohl zog auch ein Ende des Dialogs zwischen
Kultur und Politik mit sich. Die bleierne Zeit der Restauration
seiner Amtszeit leitete das Ende sozialer, ökologischer,
ökonomischer sowie politischer Visionen ein, vorbereitet durch Altkanzler Schmidt, der Menschen mit Visionen am liebsten zum Arzt schicken wollte, und stand für die
Anpassung an einen durch die Kritik von 1968 gestärkt hervorgegangenen Kapitalismus. Die Ausweitung
der Kampfzone, meint den Übergang von der Disziplinar- zur
Kontrollgesellschaft, und die Psychologisierung der Arbeitskultur
zeigt sich in Ausschnitten aus Harun Farocki's Film „Leben:
Deutschland“, in dem es um die Optimierung der Performance und die
Bewältigung psychologischer Anomien geht.
Links: The Readymade Demonstration, Reinigungsgesellschaft, Columbus, Ohio 2009
Mit dem Fall der Mauer
verschwand der Legitimationszwang gegenüber den sozialistischen
Staaten. Westdeutschland musste sich nicht mehr rechtfertigen oder
als das eigentlich sozialere Deutschland darstellen. Wo von nun an
die Kräfte des freien Marktes sich frei entfalten durften, stellte
der Westen mit seinem Kulturimperialismus gegenüber der ehemaligen
DDR, die Uhren zurück auf preussische Zeit mit seinen Schinkelbauten
und seinen vermeintlichen Tugenden. Die nunmehr konkurrenzlose
kulturelle Hoheit des Westens hat Ihre Partikularität, die aus dem
Konflikt zwischen Ost und West und zwischen offizieller und
dissidentischer Kultur entstanden war, für immer eingebüsst. Das
Resultat ist ein kulturelles Diktat, welches das Eigene nicht mehr
schafft, und daher die Geschichte bedienen muss um die kulturelle
Macht, ganz im Dienste des Kapitals, zu verbriefen. Der
Antikommunismus wird längst nicht mehr durch Beschwörungen eines
demokratischen Geistes aufgefangen. Die deregulierte Demokratie
zelebriert den Untergang der eigenen Werte und frönt im
post-politischen Raum der Neoklassik. Eine Renaissance von Rechts, jenseits des
rechtsextremen Terrors. Ein neuer Patriotismus als Staatsraison und
Teil einer konservativen Konsenskultur wird symptomatisch für dieses
neue Deutschland, das in der Verleugnung von Ost und West versucht,
sich als führende Macht in Europa aufzustellen. Im „Schland!“Fieber
dienen Sport und Massenspektakel zur Unterfütterung dieses neuen
patriotischen Taumels. Sara Lehn's Videoarbeit "Schwarz, Rot, Gelb" legt Zeugnis davon ab:
An
empty space can be thought of in two different manners. Try to think
of an empty space and yet another one. The first space is an empty
room, maybe a living room, in a new building, maybe social housing.
Traces of use everywhere, marks of furniture and pictures on a
mouldy, yellowed wallpaper. Stains on the carpet. Past life is still
noticeable. We don't know why nobody lives here anymore, but what we
perceive is absence, that, contrary to the supposed former life,
seems negative. We might perceive this emptyness as a consecution to
loss.
The
second room might be an art gallery, in which emptyness is an element
of planning, of what in architecture is called room allocation plan
or scheme, that encloses the object within it like a monstrance
(ostensorium). The austerity and the dazzling lighting directs all
attention towards the exhibits. With this it also draws the attention
towards the role of the visitor as a beholder, a contemplator or
admirer. The function of the room as a dispositive, it's room scheme
seems engraved in it. If you remember Tanizaki Jun'Ichiro's
description of a western lavatory; he pointed out that the
cleanliness and white porcellain would stress the room scheme of a
toilet, by aggravating the user's function as a mucky pup, as
producer of dirt.
Rem Koolhaas, former situationist, now working on the enhancement of consmuerist aesthetics
Try
to think of Rem Koolhaas' Prada flagship-store in downtown New York.
Emptyness here is an expression of a squandering spirit, of pure
luxury. In an environment, where space is luxury, you don't often
meet this particular use of space. It serves to stress the
cannonisation of a small selection of merchandise, representative of
an exclusive collection. This aims at a logic of representation of
commodities, where aspects of quality or value-for-money become
irrelevant. The criteria of appraisal are rooted in merely aesthetic
percetion and the narrative room scheme. The symbolic value of the
brand is to be brought into being by a culturalisation of
consumerism.
The
room-schemes of the Prada-Shop and the one of an art-institution are
in this sense comparable. The spacial expression of appraisal
commensurate with the auratisating dispositives of art-presentations.
At Prada's you will find a flamboyant use of space, where a
minimalistic set of spacial intervention lounges voluptuously. At
large, the use of space becomes a brutal, yet subtle element of
arrangement. With the aesthetic of reduced and flexible
representation, two central figures of neo-liberal management are
already set into place in this alignment: lean production and
flexibility. Not only does it point out an aesthetic of symbolic
capital, because empty space, if it is under control, it is also a
figuration of entrepreneurial ethos.
With
the increasing importance of museums for the self-manifestation of
corporations and brands, coming forward as sponsors, but also with
the new role of cultural institutions in urban planning, for
city-marketing, tourism and estate-agencies, the use of space has
become an important factor. Yet its representative physical planning
is intertwined with destruction of the urban continuum and social
segregation, the last one being a key aspect of the spatial structure
they are intended to impose. Koolhaas, by the way, who has build a
number of museums, has excelled at taking the rather problematic
aspects of urban planning into the use of space in commercial
contexts.
Richard Meier's MACBA
The
first thing that comes into perspective, when you approach Richard
Meier's Museum of Contemporary Art in Barcelona (MACBA) is its
influence on the urban continuum. Not only the demolition of vast
parts of the socially mixed neighbourhood of “Raval” with its
secondary effects of the new spatial order, rise of rents and social
segregation, also known as gentrification, are remarkable. The most
conspicious part is the use of space itself. It is the central
element of the room scheme. Empty space has replaced the dirt, the
drugs, the hardship cases, the students, the old people, the jobless,
the prostitutes, the loafers, the small time criminals.
An
imminent quality of this empty space is the representation of order
in its interior, the emptyness is the method of order. Inside and
outside the art-museum, we have a room scheme procuring orderliness,
change and innovation.
"Barrio Xino", prositution in the Raval dstrict
Inside the museum there is this emptiness, wich has a structuring and
narrative quality to it. Showing art almost becomes an ostensably
secondary aspect within the dramaturgy of space. Mind you, the
staircase in Richard Meier's design takes up about one third of the
building. While smaller institutions would struggle for more space to
be used, the emptiness present here brings the representative
qualities of the building into the front line and installs a certain
hierarchy between the visibilities of both institution and the city
council, incorporated into a good choice of trademark architecture,
and artworks and visitors. Visitors who have ultimatly come to enjoy
submission to this hierarchy, not for its abstract political
structure, but for its aesthetics sake. The submission already starts
by merely crossing the forecourt of the museum until finally reaching
the vestibule and entering the atrium like entrance hall/ staircase.
But let's try to not be unfair: There actually are many good reasons
to enjoy empty space. Just think of the pleasant, solitary dialogue
with the art-works, one can sometimes get lucky to experience in a
half-empty museum. Besides this illusion of a Zen-Garden, there is
another, very specific reason for the enjoyment of limewashed
museum-arrangements: The planned emptiness of representative
architecture opposes structural order to a chaotic exterior, be it
inside and outside of a building or inside or outside of an urban
zone or sector. The key to the understanding of this juxtaposition is
that we have a space of protection against over-complexity and
overstraining in the exterior. The affirmative presence of
stipulation and order inside the white cube is on the same behalf an
absence of openness and alternative possibilities for interpretation.
inside MACBA
This
unambiguousness is a key note in museum-architecture. It has also
been made use of in political architecture. Minimalistic and
rationalistic style has helped subtle stagings of political and
economic power. In this connection, totality and exclusivity
fraternize in an ill-omened way. With decoration washed away by
minimalism and a decorum of false modesty and two faced asceticism,
with filigran ornamentalism countered by a gross ornament of the
masses and rationalistic brutalism, the enshrining presentation of
central objects and symbols calls the visitor to devotion. In other
words, the architectural dipositive humiliates the beholder, but also
offers sublimation. The fact that participative processes in form of
artworks or museums' educational services are booming in these
displays almost seems coercive. They are a direct result of the
spatial schemes and its anomies in terms of the spatial experience.
They seem to be a corrective for a developed deficit within the
desire for an overtly positive experience of space.
Another
question, you might want to ask when looking at art institutions as a
dispositive for activation, is if the architecture can ever be
considered as completed without the actual participation. To give a
rather harsh example, and please don't judge me on this one!, if you
take the Nazi Party Rally Grounds in Nuremberg, you'll have a good
example of the solid architecture being merely a display, for what is
about to come later, which is the human architecture, that is,
architecture carried out through actual physical deployment. The
Nazis were probably the first ones to carry out architecture by
masses of bodies in this particular, political design.
Luitpoldsarena, Nuremberg
Although,
for many reasons you cannot compare the physical deployment used in
the national-socialist party's state aesthetics, still the society of
control has brought about new forms of representative architectural
strategies, using activation as a means to fulfil a highly
performative architectural concept.
Sir
Norman Foster's redesign of the Reichstag Building's copola is a good
example for the idea of a performative architecture, illustrating
administrative key figures of a western european, yet neoliberal
democracy: transparency, citizen-orientedness and public
participation. In today's representations and room schemes we find a
fashion for open structures and seemingly undefined room/ space
concepts. In the example of Sir Norman Foster's intervention, we have
the leitmotif of transparent parliamentarianism, the permeability of
power, as well as participation. While symbolising diaphanousness
(while power structures are become fuzzy and obscure) the copola also
is a showcase, in which activation becomes visible. Without this, the
architecture would stay incomplete. The deployment of human beings
and their animation inside the architecture becomes its central
element. The aim is to symbolize a dilution of the seperation between
citizens and decision-makers. At the core, it is crucial, that this
takes place on a symbolic level and not structurally. For as much as
we can state performative qualities, the ends to it are a
subscription to a pictorial regime.
Coming
to the architecture of art institutions, participation is usually
being staged against a dispositive of protestant white and the
minimalist form language of the white cube. But these formal
expressions are not only connotations, they are the manifestation of
the room scheme. Their aim is on the one hand the canonisation of the
artwork, the first contradiciton to an alleged neutrality of the
space. But, on the other hand, more and more often, the bigger and
more spectacular museum buildings are getting, what we find in it is
a dispositive of an obscurantistic power structure and hidden
agendas, masked by dehierarchisation.
We
are dealing with a space that is highly ideological. The activations
that we encounter here in form of participation, educational schemes
or interactivity, more than often meet with neoliberal work ethos and
affirmative acts for the educated bourgeoisie. Taste and distinction
on the one hand, key notes of achievment-orientation on the other.
The experience of art as a performative act, implies the staging of
an image-production as a cultural achievement and in terms of what
Max Weber called “social action” it becomes an act of distinction
(Bourdieu, Veblen).
Here,
assivity, refusal of performance and hence efficiency, and denial of
adventure, just like structural critique are out of place.
Formulations of critique are in accordance with the room scheme. They
are inscribed into the concept of space, the way the performance
goes, has been planned. The boundaries of the playing field cannot be
transgressed. The room program has to be approved. But where the
gratifications of passivity fail, the antagonism of artwork and the
beholder, the dichotomy of institution and citizen vanish.
As
we have just learned, the nature of the exhibition situation
conditions the visitor in a certain way, so his reaction will be
tinged in benevolence. This scheme is presupposed by the social art
work. Which is also the case with any kind of artefact to be
presented under this room scheme. But there is one difference.
Relational perfomativity emphasizes the physical act of submission to
the room scheme. But only from a safe distance the organisational
aspects, mind its ideologies become apparent. Imagine a documentary
on the Nazi-Party rally in Nuremberg: Black and white scratched film,
a long shot over the blocks of soldiers forming corridors, marching
in cohorts, saluting the Führer and responding to the discourses of
the minister of propaganda from the rostrum, filmed from a
distance of 500 metres. Now imagine a documentary of the same kind
about people at a Rirkrit Tiravanija show... What would you find? If you participate, you are compromised. What you need is
this 500 metre long shot.
There
is, though, a big difference (of course!) between fascist and democratic
room programming, especially after the transgression from the society
of discipline to the society of control. Where traditionally
disciplinatory forces come into place, like police, military, school
and penal system, in the society of control we have the aspect of
voluntariness. It has created an ever increasing zone in our society
and has opened up for many possibilities for supervision and
guidance. But just how is this voluntariness produced?
The
fact that socially determined room images ("Raumbild", space as
iconographic entity) are not a result of contingency, but of
planning, development and process, is something that has been
referred to many times in room theory.
“Iconographic space grants people with the possibility
to symbolically partake in a development model (Detlev Ipsen).”
Rirkrit Tiravanija, exhibition display at Dakar Biennial, 2004
In
this, developments can be invested in the dispositives in two ways:
first: the room image follows the development of space. Second: the
development is anticipated by the image, the last option being the
more interesting one, as it hints at the inherent, affective force of
undefined, open, transitorian, transparent and seemingly democratic
dispositives with their processual and at the same time minimalistic
attributes. Occasionally it is the work-in-progress, the
unaccomplished social sculpture, that offers lesser possibilities for
intervention or interaction as it might seem. On the contrary, it is
the accomplished and highly defined form, that allows us to draw
conclusions on the disciplining, controlling and ideologically
infiltrating room scheme. So again, in the transitorian, the
constraint of critique is manifested by the inherent difficulty to
delegate critique. This is one core aspect of critique in the
neoliberal age: The power is disseminated in a way, that its source
becomes invisible. Participation, outsourcing and transparency are
its strategies. As the dispositives give way to critique, and
de-hierarchize discourse, they might give expression to
co-determination. But with the steadily undefined and unfinished room
scheme and a multiplied and hence blurred authorship within
relational manifestation, it becomes hard to find the addressee for
critique, which is one of the reasons why today in participatory
democratic processes, the space of critique becomes a space of
emotional performance and very often stays behind expectations and
without any consequences. It becomes a sort of space for group
therapy, which aligns with the idea formulated by Alain Ehrenberg or
Eva Illouz, that therapeutic endeavours more and more seem to meet
with the anomies of capitalism. However, with an increased visibility
of discontent, here lies a reason why corporations and institutions
today do not seek any longer for a definition of space by branding it
with their corporate designs or aesthetics. Rather we have a
post-democratic quality to the creation of room schemes, which uses
democratic semiography, expressed through performative action, to
create acceptance in a, if I may say so, perfidious manner.
Christian Jankowsi's group therapy for artists and administrators of the Berlin senate:
"Hotel
Kilo" hieß im kalten Krieg ein Störsender des BND, der auf der
Frequenz von Radio Moskau sendete. Störsender werden oft als Teil
des Zensur- und Propaganda-Apparats totalitärer Staaten genannt.
Doch auch das Fernsehen der DDR und der Rundfunk der DDR waren in der
BRD -selbst im Zonenrandgebiet- nur schwer zu empfangen und durch
Interferenzen gestört. Das fiel mir als radiofixierter Junge in den
1980ern bei Besuchen bei Oma im Zonenrandgebiet bei
Lüchow-Dannenberg auf. Ich habe keine Beweise dafür, aber ich bin mir sicher, dass
in unmittelbarer Nähe der DDR-Grenze das Fernsehen/ Radio der DDR
hätte besser zu empfangen sein müssen. Auf der Stimme der DDR lag ein weisses Rauschen, auf ein Kessel Buntes rieselte leise der Schnee.
In
dieser Zeit hörte ich natürlich gerne das Radio-Programm der BFBS,
die einzige Quelle für alternative Musik der Post-Punk Ära. Ein
Stück, das wie kein Zweites in diese Zeit passt, ist Computerwelt
von Kraftwerk, das damals auch ab und an im Radio lief. Es beschrieb
die Rätsel und Tabus hinter nicht identifizierbaren Daten. Es war
die Zeit des nuklearen Patts, der Volkszählung, und der Beginn des
digitalen Datenverkehrs. Im Radio tobte der Ätherkrieg: Oft gefiel
es mir damals, einfach die Sender der Kurzwelle zu durchforsten. Das
war eine tolle Beschäftigung an grauen Tagen in der
niedersächsischen Provinz. Wenn die Wolken niedrig hingen, war der
Empfang oft gut und man konnte auf Safari gehen: Sender aus Russland,
Finland, Polen und in Sprachen, die ich nicht einordnen konnte. Eine
bei mir besonders beliebte Station war der Deutsche Seewetterdienst. Ich
wartete immer darauf, dass irgendwas mit Windstärke 5 oder 9 kam.
Dann sagte die Frau immer: "Fünnef" oder "Neuen",
weil das wohl besser zu verstehen sei. Auf Kurzwelle so
üblich. Irgendwann landete ich bei einem Sender, da sagte
eine Stimme ebenfalls "Fünnef" und noch viele andere
Zahlen. Manchmal irgendwas in Richtung "Tango, Foxtrott, Delta,
Lima, Charly...", dann Zahlenreihen. Dazwischen monotone
Tonfolgen, Piep- oder Brummtöne. Ansonsten keine Informationen.
Inzwischen habe ich herausgefunden, dass es sich dabei um sogenannte
"Zahlensender" handelte. Diese waren im kalten Krieg Sender des Militärs, von Agentennetzwerken oder
diplomatischen Diensten. Sie übermitteln geheime Informationen,
Lageberichte und Einsatzbefehle. Auch heute noch gibt es solche Sender.
In
Russland gab es auch einige solcher Zahlensender, der sagenumwobenste ist
UVB-76, genannt "The Buzzer". Sein Zweck wurde öffentlich
nie geklärt. Wir können darüber nur Vermutungen anstellen. UVB-76 sendete, wie viele der mysteriösesten Stationen nur
Brumm- oder Pieptöne, gelegentlich unterbrochen von sich wiederholenden Sprachmeldungen; Zahlen und Buchstabencodes, die sich über
Jahrzehnte nicht veränderten. Um UVB-76 rankten sich allerhand obskure Theorien. Die Gruseligste ist wohl die der "toten Hand". Diese besagt, dass der Sender die Funktion eines
Totmannschalters erfüllt. Dieses kennt man beispielsweise aus der
Lokomotive. Hier muss der Fahrer alle paar Sekunden auf einen Schalter
drücken, sonst wird der Zug automatisch gebremst. Für den Zahlensender
besagt die Theorie, dass ein Ende des Funksignals einen atomaren
Zweitschlag auslösen sollte. Würde also die UdSSR von Atomraketen
angegriffen und die militärische Führung abgeschnitten oder
getötet, löste sich automatisch der Zweitschlag.
Ob
das stimmt oder nicht, kann niemand mit Gewissheit sagen. Aber
der Verdacht beflügelt die Phantasien und vereinigt, wie so oft
Fakt und Fiktion im "sub-medialen Raum". Mit diesem Terminus
beschreibt der russische Philosoph Boris Groys, dass sich hinter dem
sichtbaren Zeichenraum, ein unsichtbarer Raum dunkler Geheimnisse
verberge. In seinen Worten also: "dass
sich hinter allem Sichtbaren etwas Unsichtbares verbirgt, das als
Medium
dieses Sichtbaren fungiert".
Das
Symptomatische für das Verhältnis der Menschen Anfang der 1980er
Jahre zur Medien-, Kommunikations-, und Informationswelt lag in jenem, nach Edward Snowden aktualisierten,
Verdacht des Unheils der digitalen, bzw. codierten Nachrichtenwelt
gegenüber der analogen Welt. Was auch Kraftwerk in ihren Song
„Nummern“ und „Computerwelt“ einarbeiten, war die Gewissheit
einer gegenwärtigen und greifbaren medialen Realität, einer
Kommunikation, deren durch die Zeichen selbst versiegelter Inhalt gleichsam Enigma und Tabu ist. Dass also
(in den 1980ern wohlgemerkt in einer völlig anderen geopolitischen Situation) die
Großmächte als abgeschottete Entitäten an den Menschen vorbei
kommunizierten in einer codierten Geheimsprache, auf welche der
gewöhnliche Mensch mit seinen Öffentlichkeitsapparaten keinen
Einfluss nehmen konnte, betonierte das Gefühl des
Ausgeliefert-Seins: Maschinen lenkten das Schicksal der Welt. Apparatschiks drückten in blindem Gehorsam nur noch die Knöpfe. Die Befehlsgewalt hatte Dr. Strangelove oder gar eine außer Kontrolle geratene Maschine, die von Menschenhand nicht mehr aufgehalten werden kann.
Dieses
Verhältnis führte zu einer Skepsis gegenüber Maschinen und
maschinen-basierter Datenerhebung, die in mancherlei kulturellem
Erzeugnis die Feindschaft von Menschengeschlecht und Maschinen
imaginierte und Filme, wie den Terminator von Ridley Scott
hervorbrachte. Auch der Song „Computerstaat“ der Hamburger
Punkband Abwärts zeugte von dieser Entfremdung. In der
bundesrepublikanischen Öffentlichkeit führte die Angst vor
Maschinen- und Geheimdienstkontrolle zum Volkszählungsboykott und
den dazugehörenden Demonstrationen.
Blickt
man im Zeitalter von sozialer Netzwerke auf das zurück, wogegen sich
die Bürgerbewegung in jener Zeit wehrte, kommt einem die Leichtfertigkeit, mit der
man jahrelang soziale Netzwerke und ähnliches mit intimsten
Informationen und sensibelsten Metadaten fütterte, geradezu
wahnsinnig vor. Erst die NSA-Affäre brachte bei Öffentlichwerdung
einen erneuten Einbruch von Skepsis in das Verhältnis von Mensch und
Information. Doch wer heute von Vertrauensbruch spricht, sollte sich
vielleicht zunächst fragen, wie es überhaupt erst zu einem Vertrauen
kommen konnte.
Beides,
das Vertrauen wie das Misstrauen bauen auf dem Verdacht auf:
Einerseits, dass das Netz sicher sei, dass die Technologie die
Privatheit der Menschen schützen könne und dass Staat und die
Firmen, deren Kunde man ist, diese Privatsphäre respektierten.
Andererseits das fatalistische Gegenbild: Einer
omnipräsenten Überwachung sei mehr zu entkommen und
Spione lauerte überall. Doch das neue Gefühl des
Ausgeliefertseins unterscheidet sich von der Situation in den 1980er
Jahren aber in einem besonders: Die damalige Disziplinargesellschaft
und das lineare Kräfteverhältnis der Welt machten den den „Big
Brother“ benennbar. In der heutigen Kontrollgesellschaft ist eine
solche Adressierbarkeit von Kritik nur noch schwer vollziehbar. Ob
und welche Staaten, welche Firmen, Verbrecher-Syndikate,
Marktforschungsinstitute und Web-Dienste für Datengebrauch und
-mißbrauch verantwortlich seien -wer könnte es in einer Welt
potenziell überall lauernder Feindlichkeit noch mit Sicherheit
sagen?
"Die
Verbotenen Aufnahmen" von Jean-Teddy Philippe war eine
Kurzfilmreihe, in der vermeintliche Amateuraufnahmen (angebl. von
1940-1980) von Übernatürlichem, Unerklärlichem und Mysteriösem
berichteten.
Schon
der Titel diese Films deutet an, die Wahrheit der Bilder könnte im submedialen Raum zu finden
sein. Dieser Raum erscheint so unergründlich, die darin verborgenen
Wahrheiten so brisant, dass die Filmaufnahmen "verboten"
sein. Dies suggeriert eine mediale Verschwörung, welche die Existenz
von Außerirdischen, bizarre militärische Experimente und allerhand
Paranormales zu verschleiern sucht.
In Wahrheit handelte es sich um ein fiktives Filmprojekt, dass
mit dem Verdacht des Publikums und einem gebrochenen Verhältnis zur
medialen Realität spielt. Das funktioniert bis heute ebenso gut wie
die Mondlandungsverschwörung. Wer einmal bei youtube nach
Beweisvideos dafür sucht, dass die Mondlandung nie stattgefunden
hat, der kann hier fündig werden: Eine aberwitzige Anzahl von
Beweisen und Interpretationen dafür, dass -so eine der vielen
Legenden- die Mondlandung ausgerechnet von Stanley Kubrick in den
White Sands der Wüste Nevadas aufgenommen wurde. Ähnlich geht es
bei der Frage, wer John F Kennedy getötet habe. Oder bei den weitaus
schwerer zu interpretierenden Bildern aus moderner Kriegsführung, z.B. Drohnenvideos, angeblichen Beweisen für Besuche von Außerirdischen und abstrusen, militärisch-wissenschaftlichen Geheim-Experimenten.
Seit
Jahren kursiert ein schreckliches Video im Netz, in dem russische Forscher in den 1940er Jahren einem
Hund den Kopf abtrennten und diesen durch einen Vorläufer der
Herz-Lungen-Maschine am Leben erhielten. Als ich dieses Video durch
Zufall zum ersten Mal sah, hielt ich es für echt und war von der
Würdelosigkeit dieses Experiments erschüttert. Je mehr
ich aber darüber nachdachte, umso unwahrscheinlicher kam mir dieses
wahnwitzige Experiment vor. Je mehr ich nachforschte, umso mehr
Theorien um Echtheit und Falschheit dieser Aufnahmen fand ich. So
wurden sie für die einen zum Beleg für die Unmenschlichkeit der Forscher, gar zum
Beweis für die Grausamkeit des Kommunismus. Andere fanden Indizien dafür, dass es sich um einen offensichtlich
inszenierten Propagandafilm handelte, der angeblich die Überlegenheit der
russischen Forschung in Szene setzen sollte. Dann wieder handelte es sich um einen
amerikanischer Propagandafilm, der dem Ansehen der Sowjets schaden
sollte. Stets fanden Beobachter Belege für die Echtheit oder den
Fake.
Dabei
spielten 5 Formen des Verdachts gegenüber diesen Bildern eine Rolle:
1. Der Verdacht, die Bilder könnten echt sein. 2. Der Verdacht, sie
könnten lügen. 3. Der Verdacht der Machbarkeit; ein solches Experiment sei 1940
technisch möglich gewesen oder nicht. 4. Der Verdacht,
Wissenschaftler seien zu einer solchen Grausamkeit fähig. 5. Es
könne sich um Propaganda halten. Die ersten beiden Punkte beziehen
sich auf die Glaubwürdigkeit der Technologie der Bildproduktion.
Punkt drei und vier beziehen den Zweifel auf die Kredibilität
des Dargestellten. Der letzte Punkt versucht die Glaubwürdigkeit der
Bilder über eine vermeintliche Kompromittiertheit zu entkräften
oder zu relativieren. Ich konnte jedenfalls keinen wirklichen Beweis
für die Richtigkeit meiner Emotionen gegenüber dem russischen Film finden und
ging dazu über, glauben zu wollen, es handle sich um einen Fake.
Letztlich ist als der Verdacht mein Medium, an der Grausamkeit der
Welt nicht verzweifeln zu müssen und so mein Leben zu erleichtern.
Der
Verdacht, der am Wahrheitsgehalt von Bildern zweifelt, ist oft aber
einer Grundannahme der Überlegenheit in Bezug auf das technische
Vermögen von Bilderzeugern aufgesessen. Im Zeitalter von
Bildmanipulationen und Bildpolitik sind die
Bildproduktionsmaschinen alles andere als verlässliche Träger von
Information geworden. Die plumpen Auslöschungen Leo Trotzkis aus dem
offiziellen Bilderkanon der UdSSR sind in vielerlei Hinsicht
zeitgenössischen Manipulationen ähnlich, obgleich letztere technisch
avancierter sind. Die Fotoretuschen der russischen Propagandamaschine
zogen ihre Kraft aus der damaligen Lesart von Fotografie. Das ist für
unsere digitalen Bildwelten kaum anders. Oft bezieht sich also der
Zweifel am Wahrheitsgehalt der Bilder auf den Inhalt und weniger auf
die Produktionstechnik, deren darstellende Standards wir unbewusst
als authentisch angenommen haben. Obwohl digitale Fälschungen doch
erkennbar sind, ist es aufgrund der Abstraktion digitaler Bilder, das
gilt insbesondere für Streaming-Media, immer schwieriger geworden,
zwischen bearbeitetem und unbearbeitetem Bild zu unterscheiden.
Einige Bilder sind so abstrakt, dass sie ohne Interpretation gar
nicht auskommen können. Die Aufnahmen von Drohnen beispielsweise
liefern Bilder von hohem Abstraktionsgehalt, die ohne externes
Narrativ kaum noch in Beziehung zu setzen sind. Und gerade an den Punkten, an
denen wir es nicht mehr erkennen können und Bilder einen besonderen
Deutungsbedarf auslösen, sind wir geneigt, hinter den Bildern mehr
zu vermuten.
Der
Verdacht, also die Annahme, jemand habe übel gehandelt, hat seinen
sprachlichen Ursprung in der « Vordacht ». Gerne wird
diese Nähe zur Vorverurteilung oder gar zum Vorurteil vergessen. Im
Falle Edathy, in der Causa Wulff oder bei Uli Hoeneß schwingt die
Vordacht mit, Politik und Institutionen hätten Dreck am Stecken.
Dieser Argwohn kann in einer Demokratie hilfreich sein. Zieht er aber
die Gültigkeit rechtsstaatlicher Prinzipien und Weisungen in
konstanten Zweifel, so kann eine Inflation der Skandale ebenso
symptomatisch für eine Krise der Demokratie sein wie das Fehlen
solcher. Aufgabe der Presse ist es, die Demokratie zu kontrollieren,
nicht ihre Legitimität in Abrede zu stellen. In den drei genannten
Fällen betrieben Teile der Presse eine Affizierung der öffentlichen
Meinung, der es an demokratischer Kultur mangelt.
Hinter
jeder mediatisierten Realität lauert der sub-mediale Raum. Dieser
liege, wie der Philosoph Boris Groys beschreibt, wie gesagt, hinter
der medialen Oberfläche und unsereins käme nicht umhin, hinter
jeder normativen Oberfläche einen Abgrund der Lüge zu vermuten. Je
banaler der Anschein, umso stärker der Verdacht. Der Populismus
einschlägiger Medien hat sich die detektivische Praxis von
Medienwissenschaftlern bis zu Verschwörungstheoretikern längst
angeeignet und modelliert damit die Einschlagskraft ihrer
Nachrichten. Stets spüren Kolporteure die Möglichkeit zum Skandal
auf. Volkszorn gegen Wellen der Sympathie. Was sozialen Unfrieden
auch schürt; für den Nachrichtenmarkt ist es immer gut.
Im
Fall Edathy ist bis heute vieles unklar. Der Mutmaßung, es könne
sich bei den Bildern, die Edathy im Internet bestellte, um
Kinderpornografie handeln, reichte dank „gutem“ Timing bereits
für die mediale Guillotine. Dass es sich bei den Bildern um
Darstellungen nackter Kinder im Grenzbereich zur Pornografie handeln
könnte, erfuhr man später. Die Justiz aber kann Grenzwertigkeit
nicht verurteilen. Wo es keinen
Verstoß gegen Gesetze gab, entbrannten erst Moraldebatten, dann der
Ruf nach schärferen Gesetzen. Verdacht ist ein stumpfes Beil.
Früher hat man versucht, durch Unterstellung von Homosexualität,
das Ansehen politischer Gegner zu beschmutzen. Die Affäre Kißling
war ein tragischer Fall. Damals hatte man versucht durch sexuelle
Denunziation, in Form der Behauptung der ranghohe Bundesgeneral sei
homosexuell, sich selbigem zu entledigen. Als Begründung für die
folgende Amtsenthebung galt wiederum ein Verdacht: nämlich, dass
Kißling durch seine sexuelle Orientierung in besonderem Masse
erpressbar sei und durch seinen Umgang ein Sicherheitsrisiko
darstelle. Ronald Schill versuchte später, Ole von Beust durch selbe
sexuelle Denunziation zu erpressen. Er scheiterte. Die öffentliche
Meinung hatte sich geändert. Der Satz: „Ich bin schwul und das ist
auch gut so!“ stammte von Berlins regierendem Bürgermeister Klaus
Wowereit und besiegelte die Epoche homosexueller Denunziation. Wer
sie heute hervorbrächte, würde gegen den neuerlichen moralischen
Standards der political correctness verstoßen. Heute lautet
der terminale Vorwurf: Pädophilie! Von ihm kann man sich nicht
reinwaschen. So wie Kißling trotz Rehabilitierung in militärischen
Kreisen für immer geächtet blieb, gilt heute, dass derjenige, dem
Pädophilie auch nur vorgeworfen wird, selbst bei Freispruch nicht
mehr unbedingt mit einer gesellschaftlichen Rehabilitierung rechnen
kann. Der Verdacht ist, wie bereits erwähnt, gleichzeitig schon das
Urteil. Im Zuge der britischen Operation Ore wurden tausende
anhand von Kreditkartendaten dem Verdacht der Pädophilie ausgesetzt.
Was die britische Polizei der Öffentlichkeit verschwieg, war ein
großangelegter Kreditkartenmißbrauch, dem tausende zum Opfer fielen
und so falsch beschuldigt wurden. Im Resultat bedeutete es über
100-fachen Kindesentzug für Väter und 33 Selbstmorde.
Beim
Verdacht schwingt also auch eine Färbung mit, die wohlwollend oder
eben nicht, die Möglichkeit einer Rehabilitierung ein- oder
ausräumt. Ob eine mediatisierte vermeintliche Tatsache wahr ist oder
nicht, kann dabei unter den Tisch fallen. Das ist bei der Schuldfrage
eine meist personalisierte Angelegenheit, welche sich der
öffentlichen Meinung unterwerfen muss. Zum Beispiel: Hoeneß war es
nicht, und wenn doch, wiege es nicht so schlimm, er habe ja auch so
viel für den Verein, ja für Deutschland getan. Und schon fragt man
sich, ob der Verurteilte die Haftbedingungen überstehen werde oder
ob er nicht daran zugrunde gehen könnte. Eine Empathie tritt zutage,
die normalen Verbrechern normalerweise nicht begegnet. Im Gegenteil,
werden die Normen des Rechtsstaats gerne mal aus den Angeln gehoben
bei lauthalsen Forderungen nach Zwangskastration für
Sexualstraftäter und Wiedereinführung der Todesstrafe. Ähnlich
exzessive Forderungen werden, je nach Feindbild auch gerne für
andere Gruppen als Maßnahmen angeführt. Man erinnere sich an Peter
Fleischmann's Dokumentarfilm „Herbst der Gammler“, in denen
sogenannten „gammelnden“ Jugendlichen, wegen Verstosses gegen das
nazistisch-protestantische Arbeitsethos der Aufbaugeneration, den in
schmerzhafter Kontinuität zur NS-Ideologie so genannten
„Sozialschmarotzern“ Zwangswäsche, Arbeitslager und Todestrafe
anempfohlen wird. Ein Diskurs, der sich -nota bene- bis heute, in
geschwächter Form, in Bezug auf sogenannte „Integrations- und
Arbeitsunwillige“ hält.
Im
letzten Sommer schrieb ich einen Artikel über die Anklage von
Jonathan Meese wegen des Zeigens des Hitlergrusses auf einer
öffentlichen Veranstaltung. Später folgte eine Anklage wegen des
Zeigens des Hitlergrusses und des angedeuteten Oralsex mit einer
Alien-Puppe auf der Bühne des Mannheimer Theaters. Die Auftritte
Meese's haben immer den Charakter der Performance. Eine beflissene
Staatsanwaltschaft versuchte, sich durch eine solche Anklage gegen
einen prominenten einen Namen zu machen. Doch das Zeigen von
verfassungsfeindlichen Symbolen auf der Bühne ist nicht das Selbe
wie auf der Straße oder bei einer Demonstration. Nach dieser Logik
müssten einige berühmte Collagen des anti-faschistischen Künstlers
John Heartfield verboten sein.
Doch
der Gesetzgeber kennt den Unterschied und garantiert die Freiheit der
Kunst. Aus gutem Grund: Wir wollen ja eine Demokratie sein. Im
Gegensatz zu Ländern wie Afghanistan gibt es hier per Gesetz
a priori keine Bilderverbote. Bilderverbote gibt es bei uns -offiziell
jedenfalls- nur in Bezug auf Persönlichkeitsrechte und andere
Grundrechte Dritter, Jugendgefährdung, Pornografie und insbesondere
Kinderpornografie. Jedoch schließt der Tatbestand der Pornografie
den Kunstcharakter nicht zwingend aus. So entschied im berühmten
Mutzenbacher-Prozess gar das Bundesverfassungsgericht in der Revision
einer Klage des Rowohltverlages gegen die Zensur der Autobiografie
der Dirne Josephine Mutzenbacher.
Im
Bezug auf die Bilder ist es klar: Die Freiheit der Darstellung hat
ihre Grenzen in der Verletzung von Grundrechten. Dabei ist es ganz
gleichgültig, ob und wie man etwas moralisch oder qualitativ
beurteilt. In diesem Grenzbereich bewegen sich einige Künstlerinnen
und Künstler. Man kann beispielsweise die Darstellung von Frauen bei
Helmuth Newton oder bei Mel Ramos und Allen Jones geteilter Meinung
sein. Einen Shitstorm löste unlängst eine Skulptur von Bjarne
Melgaard aus, ein angeblich sadomasochistisches und
frauenverachtendes sowie rassistisches Sitzmöbel. Über den
Zusammenhang von Frauenfeindlichkeit und Sadomaso müsste man
gesondert diskutieren. In der öffentlichen Meinung geht es bei so
einer Darstellung vornehmlich um Sexismus. Brisanz erhielt das Werk
des Norwegers Melgaard, als sich eine russische Oligarchenfrau und
Galeristin darauf setzte und für die Öffentlichkeit ablichten ließ.
Verstanden hatte die Kunstkennerin das Werk offenbar nicht Sonst
hätte sie sich als weiße Frau nicht für den Fototermin darauf
gesetzt. Melgaard wurde auch selbst mit dem Vorwurf des Rassismus und
der Frauenfeindlichkeit konfrontiert. Dabei handelte es sich bei dem
Werk um ein Zitat eines Werks von Allen Jones, dessen angenommenen
Sexismus Melgaard ins Rassistische steigerte. Aber ist er deshalb
auch selber ein Rassist? Nein, das ist er nicht. Die Meta-Ebene des
Werks verlangt gelesen zu werden. Gerade hierin besteht ja der
Kunstcharakter.
Balthus
hat sich stets gegen den Pädophilie-Verdacht gewehrt und gesagt, das
läge alles an Nabokov und der Konjunktur der Freud'schen
Psychoanalyse in bürgerlichen Kreisen ab den 1950er Jahren. In der
Tat kann man seinen Gemälden halbwüchsiger Mädchen den
Kunstcharakter nicht absprechen. Dennoch wohnt Ihnen das inne, was
sich in seinen im hohen Alter angefertigten Polaroids offenbaren
sollte: Ein pädophiler Blick.
Auch
Edathy verteidigt sich ähnlich und das ist strategisch klug. Er
behauptet, bei den von ihm bestellten Bildern handle es sich um
Kunst. Das ist geschickt, denn er stellt damit der öffentlichen
Meinung eine Falle. Sein Gegenverdacht: Hinter der entfesselten
Moral lauere die Doppelmoral. Da man die betreffenden Bilder nicht
gesehen hat, findet die Debatte allerdings anhand eines Phantoms
statt. Über die Grenzwertigkeit einiger Darstellungen kann man sich
durchaus auch mit dem Blick auf den bürgerlichen Kunstgeschmack
streiten. Die Gemälde eines Balthus, mit ihrer obsessiven
Darstellung sich räkelnder, halbwüchsiger Mädchen, eindeutiger
noch die jüngst ausgestellten, privaten Polaroids, offenbaren den
lüsternen Blick von Opa Pervers. Der Kunstgehalt ist diskutabel, die
juristische Situation unklar. Die öffentliche Meinung ist aber der
gnadenloseste aller Richter. So beschloss das Essener Folkwang Museum
im Februar die angekündigte Ausstellung der Balthus-Polaroids lieber
abzusagen.
Verselbständigt
sich der zum gesellschaftlichen Medium gewordene Verdacht hier, wird
er zum gelenkten Instrument dort. Das Boulevard ist bei der
öffentlichen Meinungsbildung stets an vorderster Front. Man erinnere
sich an die peinliche Geschichte 2004 im Kunstraum Kreuzberg, als
B.Z. und Bild-Zeitung anlässlich der Ausstellung « When love
turns to poison » zum Thema Pädophilie einen Skandal
herbeiführen wollten, wohl mit dem Ziel, die damalige
PDS-Bürgermeisterin zu Fall zu bringen. Die kritische
Auseinandersetzung mit dem Thema wurde ins Gegenteil interpretiert.
Doch der Skandal war ein Rohrkrepierer. « Wollita », hieß
ein Werk von Françoise
Cactus, auch bekannt als Sängerin der Band „Stereo Total“. Die
große, nackte Strickpuppe mit dem Sex-Appeal des Topflappens wurde
vermeintlich zum Indiz für Pädophilieverharmlosung. Dabei wurde sie
nach dem Vorbild einer Sexanzeige in der B.Z. geschaffen. Abgründe
der Manipulation taten sich auf, als der stadtbekannte Kirchenstörer
Roy im rein zufälligen Beisein der Presse Teile die Ausstellung
zerstörte. Der Zwergenaufstand des christlichen Fundamentalisten
wurde zum Bildersturm einer aufgebrachten Kirchengemeinde
umgedichtet.
Als
habe man nichts dazu gelernt, plante das Boulevard vor zwei Wochen
die aufgeheizte Stimmung um Edathy mit einem weiteren
Pädophilie-Verdacht zu befeuern. In einer Ausstellung in der Galerie
des Lichtenberger Rathauses waren auf Bildern der Malerin Claudia
Clemens nackte Kinder zu sehen. Die üblichen Presseorgane streuten
den Verdacht, im SPD-geführten Rathaus werde Kinderpornographie
gezeigt. Das triefte vor Sensationalismus. Aber leider wieder nur
Fehlanzeige. Als wolle man es betonen, zensierte man für den Abdruck
in der B.Z. den Genitalbereich in zwei Kinderdarstellungen. Es
handelte sich bei den Bildern aber nicht um Pornografie. Wer jedoch
in einer Darstellung eines nackten Kindes partout etwas
pornografisches entdecken möchte, könnte der nicht selbst eines
perversen Blicks verdächtigt werden? Ich selbst habe in meiner Zeit
an der Kunsthochschule beobachten können, wie Gemüter hoch kochten,
als ich ein Foto von einem Jungen zeigte, der in Unterhosen auf einem
Ehebett saß und dessen Augenpaar mit einem schwarzen Balken
anonymisiert wurde. Mit schlimmen Vorwürfen konfrontiert, konnte ich
nur grinsend antworten, dass es sich bei dem Jungen um mich selbst
handelte und verwies, nicht ohne Häme, auf den Titel des Bildes :
« Schönheit und Verbrechen liegen im Auge des Betrachters. »
Was
gezeigt und was verdeckt wird, obliegt immer gesellschaftlichen
Übereinkünften oder Tabus. In der Kunst, kann die rituelle
Rahmenbedingung der Kunstrezeption und ihres Kanons, dafür sorgen,
dass obszöne Inhalte durch die Vergeistigung der Kunst (oder aber
auch der Religion) eine gesellschaftlich akzeptable Form erhalten.
Damit solche Mechanismen zum Funktionieren gelangen, muss die diesem
zugrundeliegende Technê verheimlicht werden. (Zur Erklärung:
Technê, ein Begriff aus der griechischen Antike, in der es
unter diesem Begriff zu keiner Unterscheidung von Kunst und Technik
kam. Einem Verständnis dieses Begriffs können wir näher kommen
können, wenn wir den Begriff der „Fertigkeit“ den Begriffen der
Kunst und der Technik nebenstellen.) So beschreibt in der heutigen
Bedeutung Technê, Achtung!
Jetzt wird es kompliziert!- einerseits die Fertigkeit zur Abbildung
menschlicher Bedürfnisse und Phantasmen und andererseits die
Rückwirkung der hierzu gebrauchten Technik auf die Hervorrufung, die
Imaginationstechniken, gar die Potenzierung besagter Bedürfnisse
und Phantasmen. Moralische und sittliche Standards geben vor, in
welchem Rahmen dies geschehen kann. Mitunter liegt aber gerade in der
Offenlegung der Technê selbst
eine Obszönität. Wenn zum Beispiel Regisseure wie Pasolini oder
Fellini die technische Seite der inszenatorischen Praktiken des
Katholizismus mittels unterschwelliger Obszönität offenlegen.
Sozusagen wird das Aufzeigen der Obszönität selbst als obszön
gebranntmarkt, und zwar von jenen Kräften die obszöne Technê an
den Tag legen. Das kann die katholische Kirche mit ihrer durch und
durch sinnlichen Kunst sein, das kann die US-Regierung mit ihrer
Reaktion auf Whistleblower sein.
Die
Turaeg-Männer bedecken ihren Mund mit einem Schleier. Sie empfinden
das hervorzeigen des Mundes als obszön. Das Verdecken des
Sprachorgans bedeutet ein Verbergen der Körperöffnung durch die
Sprache und Information ausgetauscht und verbreitet wird. Wir alle
kennen die sprichwörtliche Geste der vorgehaltenen Hand, wenn
Indiskretionen, Gerüchte, Geheimnisse und ungesicherte Informationen
verbreitet werden. Das Aufzeigen der Kulturtechnik des Lügens ist
selbst eine Kulturtechnik. In diesem dialektischen Verhältnis steht,
zumindest in unserem Kulturkreis, ein Kreislauf aus Verdacht, Kritik,
Denunziation, Abwehr und Dementi. Ebenso verhält es sich für eine
mediale Welt, in der verborgene Wahrheiten hinter der Technik
aufgedeckt werden. Es gibt eine Szene in Twin Peaks – Fire walk
with me, also der Kinoversion der gleichnamigen Serie, übrigens für
mich ein hiervon getrennt zu beachtendes Filmkunstwerk David Lynch's,
in dem die Protagonistin Laura Palmer in ihrem Schlafzimmer liegt und
eine an der Wand hängende Fotografie betrachtet, in der ihr Zimmer
mit einer zum Spalt geöffneten Tür zu sehen ist.
Je
länger sie das Bild betrachtet, umso mehr hat sie das Gefühl, in
das Bild eindringen zu können, sich in ihm zu bewegen, bzw., dass
das Bild ein Eigenleben besitzt. Dieses Vermögen zur Immersion,
offenbart sich, als sie den Raum verlässt und spürt, dass sich auch
auf der Fotografie die Tür weiter öffnet und sie sich nach kurzem
Zögern entscheidet, ihr Zimmer zu verlassen und den unheilvollen
Raum der unheimlichen Fotografie zu betreten. Die Phantasmagorie hat
ihre Technik gefunden. Laura Palmer betritt den submedialen Raum. Der
Verdacht tauscht die spekulative Ebene gegen eine nicht weniger
spekulative, aber als wahr angenommene mediale Realität ein. In
diesem Zusammenhang sei an die Verhaftung des Berliner Soziologen und
Universitätsprofessors Andrej Holm erinnert. Am 31. Juli 2007 wurde
er wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
verhaftet, weil sich in einem Bekennerschreiben der sogenannten
„Militanten Gruppe“ die Vokabeln „Gentrifizierung“ und
„Prekarisierung“ fanden, die Holm in seinen Veröffentlichungen
auch benutzte, wie das BKA in glorioser Internetrecherche herausfand.
Die Anklage musste später fallen gelassen werden, die Militante
Gruppe stellte sich als kriminelle Vereinigung heraus und nicht als
terroristische. Die Verbindungen zur Gruppe konnten dann doch nicht
nachgewiesen werden, da das Fehlen von Kontaktdaten eben nicht
konspirativer Natur war, so der Verdacht der Staatsanwaltschaft,
sondern wohl eher nicht existent. Ein falscher Verdacht der
offenlegt: die offensichtlich gewordene Totalüberwachung der Bürger
hat nicht dazu geführt, dass diese gesteigerte
Überwachungskompetenzu einer grösseren Effizienz bei der Erfassung
von Straftaten geführt habe. Spiegelt auch hier die Technê der
Überwachung die Fantasmagorien der Staatsanwälte und ermittelnden
Behörden? Eine Antwort erlaube ich mir, juristische Komplikationen
vermutend, nicht und verbleibe, mit herzlichen Grüßen aus dem
Celler Loch!