Dienstag, 7. April 2015

Räume von morgen, Träume von gestern

Räume von morgen, Träume von gestern
Ein Kommentar zur aktuellen Berliner Kulturpolitik von Diego Castro

Zuerst kam die gute Botschaft. Berlins bildende Künstler sollen neue Ateliers bekommen. Der Atelierbeauftragte Florian Schmidt legte einen Masterplan vor, der 2000 neue Ateliers bis 2020 vorsieht. Nach langem Gezerre ein Zeichen gegen den Ateliernotstand. Ein Einlenken der Stadt in einen Teil der Forderungen der Berliner Künstler und ihrer Vertretungen. Doch kaum ist der Bissen im Mund, macht sich bitterer Nachgeschmack breit. Aus der Kulturverwaltung wurden Pläne laut, den Posten des Atelierbeauftragten, bislang an das Kulturwerk des Berufsverbands bildender Künstler (BBK) angeschlossen, in ein erweitertes Aufgabenfeld zu überführen. Ein “Raumbeauftragter”, so die Idee, soll künftig zur Schaffung einer “einheitlichen Struktur” bei der Herstellung infrastruktureller Maßnahmen die Regie übernehmen. Spartenübergreifend soll er die räumlichen Interessen der „Kreativen“ vertreten. Klingt erstmal gut. Wäre da nicht diese obskure Formulierung „Kreative“, weist sie doch über die Künste hinaus zu einem breiter verstandenen Berufsbild. Im Gegensatz zum Atelierbeauftragten, würde der Raumbeauftragte also die Interessen aller kreativen Gruppen berücksichtigen müssen. Sind damit nicht auch Vertreter der Kreativwirtschaft gemeint?

Doch was gibt es am Atelierbeauftragten eigentlich auszusetzen? Als Vertreter des Kulturwerks des BBK sei dieser nicht neutral, so der implizite Vorwurf der Senatskulturverwaltung, die sich durch eine zentrale Steuerung der Raumfragen auch eine Entlastung ihrer knappen Personalressourcen verspricht. Interessenskonflikte oder Fragen des Mandats bleiben dabei allerdings unberücksichtigt. In seiner derzeitigen Rolle agiert der Atelierbeauftragte mit dem BBK im Sinne einer durch die Berliner Künstlerschaft legitimierten Interessenvertretung. So befürchtet der Berufsverband mit dem Ende des seit 1991 bestehenden Auftrags an das Kulturwerk die kommende Nähe eines Raumbeauftragten zu den Interessen des Senats und seinen kulturpolitischen Zielen. Für die Kunst nicht unbedingt gut. Inwiefern eine solche Umgestaltung des Aufgabenbereichs zu mehr Neutralität beitragen könnte, bleibt nebulös. Zurecht fragt sich der aktuelle Atelierbeauftragte Florian Schmidt, warum die bewährte Struktur aufgelöst werden sollte. Um den unterschiedlichen Bedürfnissen zu begegnen, sei ein zweigleisiges Programm die bessere Lösung, so Schmidt. Durch „trennscharfe Programme“ würde mehr Planungssicherheit möglich und eine Haftungsgemeinschaft sinnvollerweise verhindert.

Doch bei allen positiven Signalen der Kulturverwaltung an die Berliner Kunst: das eigentliche Problem besteht in der Konzeption eines derart breiten und unscharfen Fördermodells. Die Förderung einer schwammig so genannten „kreativen Szene“ lässt argwöhnen, sie verfolge nicht das primäre Ziel der Pflege und Förderung kultureller Reichhaltigkeit. Vielmehr scheint die konzeptuelle Unschärfe dazu angedacht, eine Verquickung von Kultur mit Kulturindustrie voranzutreiben. Was erfahrungsgemäß nicht zum Vorteil der Kunst gereicht, sondern ihre Kommerzialisierung nachzieht. Liest man die neuerlichen Argumentationsversuche des Kulturstaatssekretärs Tim Renner, so sticht eines ins Auge: Wenn Renner über Kunst redet, redet er über Wirtschaft. Die Ausführung des früheren Managers sind geprägt von betriebswirtschaftlichem Denken. Die Kräfte des Marktes sollen, wo es möglich ist, auch eine Ahnung vom Ende staatlicher Förderung anspülen, die sanft die Fundamente der kulturellen Leuchttürme umspült. Und doch: der kommerzielle Erfolg von kulturellen Unternehmungen wie Musicals scheint auch bei Renner nicht ultima ratio zu sein. Andere Kunstsparten ließen sich nicht so breitenwirksam aufstellen und benötigten Unterstützung.

Trotzdem findet sich in Renners Diskurs die „Kreativität der Künstler“ nur als „Rohstoff“ für die Kulturwirtschaft. Den Zusammenhang zwischen Kultur und Wirtschaft zu betonen, sieht er als eine der wichtigsten Aufgaben, ließ er in einem Interview im „Kunstforum“ verlauten. “Damit die kreativ getriebene Zuwanderung anhält und die Transformation von kulturellem in ökonomisches Kapital nicht zu einer Verödung von Stadträumen führt”, müssten diese Rohstofflieferanten geschützt werden, verrät Renner in einem Essay im “Tagesspiegel” und stellt damit die Motivation seines Engagements klar.

Bei solchen Ideen beschleicht einen der Eindruck, unter dem Deckmantel der Kulturförderung könnten kommende Konzepte eher einer verdeckten Wirtschaftsförderung gleichen, neue Räume für Kultur gingen an Start-ups und die Kunst solle lediglich die weichen Standortfaktoren für die Kreativwirtschaft sichern. Über die dahinter stehenden Stadtentwicklungsideen kann man nur spekulieren. Sie erinnern stark an jene überkommenen Vorstellung von Kreativstadt des amerikanischen Ökonomen Richard Florida. Ohne rechte Expertise ersann dieser eine Theorie, die einen Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und der Ansiedlung kreativer Eliten herzustellen versucht. Weiche Standortfaktoren wie „Coolness“ stehen im Zentrum seiner Erwägungen. Hat Berlin sein wichtiges Potenzial in dieser Hinsicht bereits verspielt? Noch sind die Neuköllner Cafés voll von internationalen Hipstern, die zwischen Selfies und Foodies irgendwelche Kreativarbeit auf ihren Macbooks erledigen.

Doch der Brain-Drain, also das Abwandern der kreativen Intelligenz, ist unmittelbar bevorstehende Realität. Das hat mit Mietanstieg, aber auch mit schlechten Verdienstmöglichkeiten für Kreative zu tun. Floridas viel rezipierte, aber wenig nachhaltige Ideen haben in der neoliberalen Entwicklung mancher Stadt großen Flurschaden anrichtet. Kreative Szenen schliefen ein, der Brain-Drain folgte. Nach Gentrifizierung und nur noch geplantem Chaos gab es für den Verbleib der mobilen Eliten wenig Gründe. Fest angesiedelte Künstler hingegen waren in ihrer Existenz bedroht. Weniger Kreative wurden abgehängt. Florida selbst musste das Scheitern seiner Theorie eingestehen: Trotz Talent-Clustering stellte sich wirtschaftlicher Aufschwung nirgends ein. Der Trickle-Down-Effekt der „Kreativen Klasse“ ist ein Mythos. Auch für Berlin könnte sich die Vision vom synergetischen Austausch zwischen Kreativindustrie und Kunstszene als Fata Morgana entpuppen.

Nach der Deregulierung der Raumfrage, mit fatalen Auswirkungen auf die Stadtlandschaft, hat sich gezeigt, dass Steuerung und Mitbestimmung dringend nötig ist. Berlins Kreative brauchen neue Räume und hier wurden die richtigen Weichen gestellt. Doch wer Kultur öffentlich nur als Wirtschaftsfaktor denkt, muss sich über Skepsis von Seiten der Künstlerschaft nicht wundern. Und auch in puncto Stadtentwicklung sollte man sich über die Wirkung einer flüchtigen Ressource wie Coolness auf die komplexe Wirtschaftssituation einer Stadt wie Berlin nicht versteigen. Mit der Schaffung von Kreativ-Ghettos ist es nicht getan. Die Entgrenzung der kulturellen Sparten könnte sich indes kontraproduktiv auswirken. Wenn künftig Start-ups von Kulturförderung profitieren oder Kuratoren Theater leiten, mag das zu kurzfristigen Erfolgen führen. Qualität muss dabei nicht zwingend herauskommen. Die aber braucht Berlin, soll sich die Boom-Town nicht in eine Shrinking-City verwandeln.