Donnerstag, 29. Oktober 2009

ART STRIKERS ON STRIKE

Art strikers on strike
Wandmalerei
Diego Castro

Die Arbeit zeigt ein schizophrenes Bild, das politisches Bewusstsein und Solidarität dem künstlerischen Individualismus und Geltungsdrang gegenüberstellt. Unter Bezugnahme auf den 1977 von Gustav Metzger für drei Jahre ausgerufenen Kunststreik, steht hier ein attackiertes Wandbild im Stil sozialistischer Agitprop, dass sich gegen Streikbrecher wendet. Eine an Joseph Beuys angelehnte Figur (Fliegerweste und Filzhut) versperrt den Weg zu einem Fabrik/ Loftgebäude mit der Aufschrift "Galerie". Im Hintergrund schleicht sich eine Gestalt mit Farbtopf und tropfendem Pinsel bewaffnet in das Gebäude. Das Bild ist mit Farbbomben beworfen worden und mit einem Graffitti überschreiben "Go Home", was wiederum eine doppeldeutige Anspielung an das durch den Plagiaristen und Neoisten Stewart Home im Alleingang 1990-93 durchgeführte Plagiat des gescheiterten Kunststreiks von 1977. Aus aktuellem Anlass wird die Ausstellung EGONOMIE am Freitag anlässlich des eintägigen internationalen Künstlerstreiks aus Gründen der Solidarität geschlossen. (http://thebigartiststrike.blogspot.com)

Sonntag, 25. Oktober 2009

Polizeikultur und autoritärer Charakter

Diego Castro
There's one in every crowd


Ausstellung/ Exposition bei/ à

standard/ deluxe


http://www.standard-deluxe.ch/

Rue st. Martin 38bis(bis), CH-1005 Lausanne

Vernissage: 6 nov 2009, 19h

Exposition du 7. au 27. novembre 2009
Ausstellung vom 7. bis zum 27. November 2009

Ouvertures les samedis 7. et 14.11. 14h - 18h
Geöffnet Samstags 7. und 14.11. 14h - 18h
Le vendredi/ Freitag, 27.11. 17h - 22h

Visite sur rendez-vous:
oder nach Vereinbarung:
078 808 5774 / 078 846 7722
In der Ausstellung “There’s one in every crowd” setzt sich der aus Hamburg stammende Künstler Diego Castro mit dem autoritären Charakter in Form der Polizei auseinander. In den Medien Zeichnung, Wandmalerei, Video und Klanginstallation beschäftigt er sich an historischen Beispielen mit strukturellen und psychologischen Aspekten der Polizeikultur und des staatlichen Gewaltmonopols.

“POLIZEI-SA-SS” War ein Song der Hamburger Punkrock Band “Slime”. Der in den 80er Jahren entstandene Song wurde als “Jugendgefährdende Schrift” indiziert und bis heute ist wegen Verunglimpfung der staatlichen Autoritäten das Spielen oder Aufführen des Liedes verboten. Ich plane eine Klanginstallation, bestehend aus 5 Tonspuren auf denen ich den Song in jeweils isolierten Spuren performe, d.h. Bass, Gitarre, Schlagzeug und 2 sich ergänzende Gesangsspuren. Der verbotene Text ist dabei so in Fragmente aufgeteilt, dass er als einzeln für sich genommen keinen Widerspruch gegen geltendes Verbot darstellt.
Die einzelnen Spuren werden nicht synchronisiert, sondern laufen unabhängig von einander, so dass nur ein Zufall von Überschneidungen eine juristische Situation darstellen kann, in der das polizeiliche Verbot juristisch greifen würde. Durch die zufallsgesteuerte Aufführung wird der gesamte Ausstellungsraum auch zu einem juristischen Raum, der sich dem Schicksal und eventuellen Wachhunden des Gesetzes aussetzt.

In einer Serie von 23 Zeichnungen über Karl-Heinz Kurras, den Polizisten der den Studenten Benno Ohnesorg am 2.Juni 1967 bei einer Demonstration erschoss. Der damalige Zwischenfall geschah während einer von Studenten organisierten Demonstration gegen den Staatsbesuch des Schahs vor der Berliner Oper. Die Polizei ging hier grundlos und mit äusserster Härte gegen die Studenten vor. Während der brutalen Polizeiaktion erschoss der Zivilbeamte Kurras den unbeteiligten Studenten Ohnesorg ohne Grund in den Hinterkopf, nachdem mehrere Polizisten gleichzeitig mit Schlagstöcken auf ihn eingedroschen hatten. Der Mord an Benno Ohnesorg hatte Folgen. Im darauf folgenden Gerichtsverfahren, in dem Beweisstücke (unter anderem ein Stück von Ohnesorgs Schädel) verschwanden, gegensätzliche und offensichtliche Falschaussagen vom Gericht hingenommen wurde, ein Prozess, in dem selbst der Staatsanwalt, die Anklage auf Totschlag nicht zuliess, sondern in “fahrlässige Tötung” umwandelte, zeigte sich das Funktionieren eines Staates, in dem immer noch Nazis die Funktionen des Staatsapparates in grosser Zahl besetzten in seiner brutalen Totalität. In diesem Z
usammenspiel aus Justiz, Polizei und parteiischer Presse, wurde Kurras freigesprochen. Diese skandalösen Vorgänge führten zu einer Radikalisierung der Studenten, welche letztlich einige in den Terrorismus führen sollte.

Der Zyklus über Kurras nimmt somit Bezug auf Gerhard Richter’s Stammheim-Zyklus, der das Scheitern der Baader-Meinhof Gruppe in der Stammheimer Todesnacht, und somit das Scheitern einer gesamten politischen Bewegung kommentiert. Der doppeldeutige Titel der Ausstellung “There is one in every crowd” spielt auf das berühmte Bild von Andreas Baader’s Plattenspieler in seiner Gefängniszelle an, auf dem die letzte Platte lag, die er vor seinem Tod hörte: Die gleichnamige LP von Eric Clapton.

Castro’s Kurras-Zyklus nimmt Bezug auf den Anfangspunkt dieser politischen Bewegung, in welcher der Auslöser der Entfremdung gegenüber dem Staat im Mittelpunkt steht: der autoritäre Charakter in Form von Karl-Heinz Kurras. Die Serie reagiert auch, aus aktuellem Anlass, auf die kürzlich entdeckte Stasi-Vergangenheit Karl-Heinz Kurras. Obwohl die Stasi Kurras, als einen ihrer Top-Agenten, keinen Provokationsauftrag erteilte, wurden jüngst Stimmen laut, die aus seiner Stasi-Mitgliedschaft schlussfolgern wollten, die Geschichte der 68er Bewegung müsse daraufhin als eine von Moskau gelenkte Infiltration umgedeutet werden. In Wahrheit aber bleiben die historischen Fakten unverändert: Der westdeutsche Nachkriegstaat, geführt von alten Nazis in Justiz, Politik und Polizei, sprach einen Mörder frei und stellte somit seine scheinbar undurchdringlichen faschistischen Strukturen offen zur Schau. Kurras indes, der Waffennarr, dessen liebste Freizeitbeschäftigung das Schiessen war, und der monatlich eine Summe von 400,- DM für Munition ausgab, dem Herbert Marcuse bescheinigte, er spreche von Studenten im selben Tonfall wie die Nazis über Juden, lebt heute mit einer Rente der Polizei unbehelligt in Berlin. Er fiel dadurch auf, dass er Kindern in seiner Nachbarschaft das Schiessen beibrachte und einem Kind sogar eine Schusswaffe schenkte, oder dadurch, dass er sich vor Nachbarn mit der Erschiessung Ohnesorgs rühmte, dann aber Zeugen dieser Aussage massiv bedrohte. Für Castro repräsentiert Kurras den autoritären Charakter per se, nicht etwa trotz seiner Tätigkeit als Spion der Stasi, sondern auch gerade deswegen.

Eine Videoarbeit collagiert Elemente aus der Verfilmung von Heinrich Manns Der Untertan und Roberto Rossellini’s “Deutschland, Stunde Null. Mann’s Untertan ist die erste künstlerische Auseinandersetzung mit dem Typus des autoritären Charakters. Dagegen steht die Figur des ehemaligen Hitlerjungen, der nach dem Zusammenbruch der autoritären Strukturen jeglichen Halt verliert und sich zu Tode stürzt.

Aktuelle Ausstellung: Agent Double, Genf

Egonomie.

Der Künstler als homo œconomicus.

annette hollywood (D), Klaus Baumgartner (D), Pauline Bonard (CH),
Sylvie Boisseau & Frank Westermeyer (F/D), Diego Castro (CH/D)

Ausstellungskonzept von Diego Castro (siehe unten)

Eröffnung am 22.10.2009 um 18 Uhr,

Ausstellung vom 23.10. bis zum 31.10.2009
Öffnungszeiten: Di-Sa, 11-18 Uhr
Ort: Agent Double, 23, Bd du Pont d'Arve, 1205 Genf, Schweiz
www.agentdouble.ch, info@agentdouble.ch

Die im Zuge der sogenannten 68'er Revolte gestellten Forderung nach Individualisierung und Entmassung der Gesellschaft beantwortete der Kapitalismus in seiner späten Phase mit der endgültigen Akzeptanz dieser Ansprüche. Dies geschah durch die Einbeziehungen der hier gestellten Forderungen nach Individualität und die Beantwortung selbiger mit neuen Produkten, beziehungsweise einer neuen psychologischen Aufladung von Produkten. Dinge, die vorher ausserhalb der Reichweite des ökonomischen Systems standen, erfuhren eine neue Ökonomisierung. An solcher Einbeziehung der Kritik erstarkte das kapitalistische System letztlich. So erklärt sich zum Beispiel das in der Werbung zu beobachtende Phänomen des Wechsels von der Qualitätsanpreisung zum reinen Transport von Images, die persönliche Freiheit und Emanzipation symbolisieren sollen.

Die hier eingeführten differenzierten Warenangebote versprechen dem Konsumenten ein Mass an Individualität, die auch in dem Produkt Kunst ihre Entsprechung finden können: Schon Freud charakterisierte die künstlerische Tätigkeit als Sublimierung, als Überführung nieder Triebregungen in höhere Bereiche. Hier begegnet aber der Eigennutz des Künstlers dem Geltungsdrang des Sammlers oder des Kurators, der auf seine Art versucht, durch sein spezifisches Konsumverhalten einen gewissen Status zu erreichen. Ebenso wie die Individualität des Künstlers auf den Verkäufer oder Vermittler übergehen soll, verspricht sich der Künstler durch diesen Austausch einen Zuwachs an Signifikanz, die der Selbstdarstellung, über die rein künstlerische Seite dieses Aspekts hinaus, auch im sozio-ökonomischen Sinne dient. In diesem Sinne erklärt sich zum Beispiel der reziproke Altruismus des Künstlers auch als Investition. Man erwartet also als Gegenwert für die Selbstaufreibung Möglichkeiten zu einer komplexen Selbstdarstellung, die auf Individualismus, sozialem Status und zu einem gewissen Teil natürlich auch auf Geld beruht.

Egonomie untersucht oder kommentiert die Fallen einer ökonomisierten Kunstrezeption; ökonomisch im Sinne einer Bewertung allen Nutzens künstlerischen Handelns und Rezipierens durch einen wirtschaftenden Geist: Der positive Egoismus des Künstlers steht dabei immer auf der Kippe. Die ursprüngliche ausser-ökonomischen Ziele des Künstlers fallen zunehmend dem spätkapitalistischen Geist zum Opfer. Dieser ist streckenweise so verinnerlicht, dass auch dieser positive Egoismus unter Verdacht gerät.

Egonomie versucht das Verhältnis des Künstlers zu den Akteuren der Kunstwelt, zur Leistungsgesellschaft und nicht zuletzt zum eigenen Werk zu sehen. Egonomie gibt aber auch dem unliebsamen Kippenberger'schen Einwand nach, dass jeder Künstler, in Verdrehung des Beuy'schen Theorems, auch ein Mensch sei: Der Künstler als Mensch ist im Bezug auf die Konstruktion und Durchsetzung seines Egos den selben Zwängen ausgesetzt wie Otto Normalverbraucher. Er verfügt allerdings durch das Werkzeug des Künstlers über besondere Mittel zur Darstellung und Durchsetzung seines Egos gegenüber der anonymen Masse. So kann bei Egonomie auch der Blick auf das Selbst dem sparsamen Wirtschaften, dem Groschenzählen, dem Häusle-Bauen anheim fallen und doch, als lohnende Investition, den Output des Künstlers vergrössern.

(english)

Egonomie

The so-called 68-revolt demanded an individualisation of society. The response to the demands from capitalism in its late phase was their definitive acceptance through integration and through answering them with new products, or rather with psychologically charging products. Things that before stood outside the reach of the economic system, were now subject to marketisation. By incorporating critique in this way, the capitalist system was strengthened. This explains, for example, the shift seen in advertising from emphasising quality to a pure communication of images, supposedly symbolising personal freedom and emancipation.

These differentiated ranges of goods promise the consumer a measure of individuality, which also has its parallel in art: already Freud characterised artistic practice as sublimation, as the transposition of lower drives into higher domains. Here, the self-interest of the artist confronts the desire for recognition of the collector or curator, who attempts to reach a certain status through his/her behaviour as consumer. Just as the individuality of the artist should transfer to the seller or mediator, the artist expects a gain in significance through this exchange. A gain, which will serve his/her self-staging, not only with respect to its artistic side, but also in socio-economic terms. In this way, the artist’s reciprocal altruism can also be explained as investment. It is expected that as countervalue for self-sacrifice, one gets the possibility for a complex self-staging, which is based on individualism, social status and, to a certain extend, also on money.

Egonomie investigates or comments on the case of an economical reception of art. Economical in the meaning of a valuation of all benefits of artistic action and reception through a spirit of business: the positive egoism of the artist is constantly balancing on a knife’s edge. The originally non-economic aims of the artist increasingly fall victim to the spirit of late capitalism. This effect is at times so internalised that also the positive egoism falls under suspicion.

Egonomie attempts to observe the relationship of the artist to the actors of the art world, to the meritocracy and not least to his/her own work. But Egonomie also concedes to the disagreeable objection of Kippenberger – turning the Beuysian theorem upside down – that every artist is also a human being. The artist as human being is, when it comes to the construction and implementation of his/her ego, subject to the same restraints as the average consumer. However, through the tools of the artist, he/she possesses specific means for representing and asserting his/her ego vis-à-vis the anonymous masses. Thus, in Egonomie the look at oneself can also fall prey to economising, penny-pinching, but still, as profitable investment, increase the output of the artist.

sculpture by Annette Hollywood, photos by Pauline Bonard, other images: wall painting by Diego Castro, videos by Annette Hollywood, Frank Westermeyer & Sylvie Boisseau.